Nahles: "Wir wollen den Kanzler stellen"

Andrea Nahles im Gespräch mit Marietta Schwarz · 30.01.2012
Die SPD hat einer Großen Koalition nach der nächsten Bundestagswahl eine deutliche Absage erteilt. Die Generalsekretärin Andrea Nahles sagte, in ihrer Partei werde "definitiv nicht" über eine Koalition mit der CDU/CSU nachgedacht.
Marietta Schwarz: Die Finanzkrise reißt einen Staat nach dem anderen in den Abgrund, selbst in Davos werden Zweifel am kapitalistischen System geäußert. Aber genau die Partei, die sich einst aus dieser Kritik heraus gründete, zieht daraus kein Kapital. Es gibt sie ja noch, die Sozialdemokratie in Deutschland, aber wofür sie steht, interessiert gar nicht mehr so viele. Und das Wettern der SPD gegen eine CDU-Kanzlerin, die unpopuläre Beschlüsse fasst, hilft auch nichts.

Frau Merkel ist beliebter als Herr Gabriel, Herr Steinbrück und Herr Steinmeier. Die SPD hat lange versucht, mit der Stimmung gegen Angela Merkel zu punkten, und kam damit nicht weit. Nun, knapp zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl, wendet sie sich von Gegnerin Merkel ab und offenbar politischen Inhalten zu. Am Wochenende war Klausurtagung des Vorstands in Potsdam, die geht noch bis heute. Und die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles ist jetzt am Telefon, guten Morgen!

Andrea Nahles: Ja, guten Morgen!

Schwarz: Ja, Frau Nahles, wofür steht sie denn, die SPD, nach dieser Klausurtagung und vor den Wahlen 2013?

Nahles: Also, wir sind mit unseren Zielen, die wir für die ersten zwei Jahre nach der doch historischen Wahlniederlage 2009 hatten, zufrieden. Wir haben in vielen Ländern die Regierungsmacht zurückerobern können, wir werden mit dem Saarland und Schleswig-Holstein in diesem Jahr gute Chancen haben, das fortzusetzen. Und wir haben auch tatsächlich die 30 erreicht. Das ist noch nicht genug, aber wir sind da ganz gut auf dem Weg.

Das heißt aber nicht, dass wir zufrieden sind, und deswegen haben wir uns eine Menge vorgenommen, und das Thema, was wir in den Mittelpunkt gestellt haben, ist Gerechtigkeit. Weil wir glauben, das ist das zentrale Thema in den nächsten Jahren und das ist vor allem ein Thema, was gut zur SPD passt.

Schwarz: Das ist ja eigentlich kein neues SPD-Thema, aber wir haben davon in der letzten Zeit relativ wenig gehört. Warum?

Nahles: Wir haben in den letzten Monaten intensiv zum Beispiel über ein Steuerkonzept geredet und natürlich ging es dabei um Gerechtigkeit, weil wir gesagt haben, Steuersenkung, das geht jetzt nicht. Wir wollen einen fairen Lastenausgleich, also müssen auch die Vermögenden mehr herangezogen werden. Es geht immer – auch bei Themen wie Gesundheitspolitik, wo wir eine Bürgerversicherung fordern – um Gerechtigkeit, aber wir wollen das auch noch mal sehr stark deutlich machen, dass das die Auseinandersetzung sein muss auch im Zusammenhang mit den Finanzmärkten. Da reden wir sehr viel jetzt über kurzfristige Krisenrettung, aber es muss doch am Ende auch, was die Lastenverteilung angeht, gerecht zugehen. Und deswegen werden wir dieses Thema jetzt stärker pushen.

Schwarz: Wenn man von Steuergerechtigkeit … von gerecht … sozialer Gerechtigkeit redet, muss man auch über die Rente reden. Wird die Rente mit 67 aufs Eis gelegt, wie Sie es Anfang des Jahres angekündigt haben?

Nahles: Also, wir sind seit über einem Jahr in der SPD völlig einig, dass wir, solange die Arbeitsplatzmöglichkeiten von Älteren so schlecht sind wie in Deutschland derzeit, die Rente 67 nicht so laufen lassen können, wie wir das ursprünglich selber ja vorgeschlagen haben, und wollen die aussetzen, bis die mindestens mal 50 Prozent sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, die über 60-Jährigen. Davon sind wir noch weit entfernt.

Und das ist keine Position von Andrea Nahles, sondern das hat die SPD auf ihrem letzten Parteitag beschlossen, das wird schon seit Längerem bei uns vertreten und das wird auch im nächsten Wahlprogramm so drin stehen, da bin ich mir ganz sicher. Was uns aber noch nicht gelungen ist, ist, eine klare Antwort zu finden in Deutschland auf das Phänomen der Altersarmut. Und damit wollen wir uns jetzt im nächsten Jahr intensiver auseinandersetzen.

Schwarz: Die SPD als Partei der sozialen Gerechtigkeit hat vielleicht auch deshalb es schwer, sich damit in die Öffentlichkeit vorzudrängen, weil sie in dieser Sache ja auch nicht immer ganz einig ist. Also, da gibt es den Vorstoß des einen, der dann vom Vorstoß des anderen konterkariert wird. Müsste da vielleicht sich auch etwas ändern?

Nahles: Da hat sich längstens was geändert. Da haben Sie recht, das hat das Bild der SPD auch gerade im Jahr 2009 geprägt. Wir haben aber gerade in den letzten zwei Jahren ein hohes Maß an Geschlossenheit und wir haben jetzt auf der Klausurtagung ausgewertet, dass das ganz wichtig ist für den Gesamteindruck, den die Bürgerinnen und Bürger von der SPD haben, und dass wir das weiter durchhalten müssen. Und wir sind eben, auch wenn das oft längere Diskussionen so gebraucht hat, in den Kernfragen – der Steuerpolitik, der Gesundheitspolitik, der Rentenpolitik, Familienpolitik – einig.

Was man von der jetzigen Bundesregierung Schwarz-Gelb ja nicht sagen kann, die sind sich praktisch bei keinem Thema einig. Und deswegen gibt es auch kaum gesetzgeberische Vorstöße. Bestes Beispiel, Pflege: Man konnte sich auf nichts einigen, es wird nichts passieren. Und so ist das bei vielen anderen Themen auch.

Schwarz: Schaden tut das der derzeitigen Koalition aber nicht. Merkel hat sich ja viele SPD-Themen geschnappt, offenbar nimmt man das einer CDU-Politikerin mehr ab als der SPD. Das ist doch eigentlich erstaunlich?

Nahles: Na ja, sie spitzt oft die Lippen, aber pfeifen tut sie nicht. Siehe Mindestlohn: Da wird zwar drüber geredet, aber gemacht wird es nicht. Das ist das eine. Das Zweite: Wissen Sie, die hatten 49 Prozent FDP, CDU, CSU bei der Bundestagswahl 2009 zusammen. Die sind jetzt mal gerade bei 39 und wir haben zusammen mit den Grünen elf Prozentpunkte aufgeholt. In Deutschland werden Parteien gewählt, nicht nur Personen. Und da sieht unsere Bilanz doch deutlich besser aus. Also, von daher heißt es, wir müssen auch noch ein paar%e dazugewinnen, aber die Richtung stimmt. Und offensichtlich, so überzeugend ist Schwarz-Gelb nicht, sonst hätten die nicht so massiv an Zustimmung eingebüßt.

Schwarz: Aber es scheint doch Themen zu geben, die sowohl SPD- als auch CDU-kompatibel sind. Wird da vielleicht nicht heimlich längst über eine große Koalition auf Bundesebene nachgedacht, wie sie ja auch auf längerer Ebene en vogue zu sein scheint?

Nahles: Definitiv nicht. Wir wollen den Kanzler stellen. Wir haben eine klare Alternative mit Rot-Grün zur jetzigen schwarz-gelben Bundesregierung und darauf setzen wird, das ist für uns das zentrale Ziel. Es gibt auch keine heimlichen Neigungen zur großen Koalition. Die SPD hat Erfahrungen in der Großen Koalition bis 2009 gesammelt, das Ergebnis für uns als Partei war desaströs und niemand in der SPD-Spitze sehnt sich danach zurück.

Schwarz: Was hat denn die SPD-Troika, als die Sie ja gerade auftritt, was Frau Merkel nicht hat?

Nahles: Sie hat auf jeden Fall das bessere Programm und vor allem eine Partei, die dann auch – und eine Koalition mit den Grünen, das ist ja unser favorisiertes Modell –, die das dann auch umsetzt. Die Bundeskanzlerin hat einen Hühnerhaufen, der sich streitet und der nichts zuwege bringt. Das ist ein Unterschied, würde ich mal sagen.

Schwarz: SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Nahles: Vielen Dank auch, tschüss!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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