Nachruf

Fragt nicht nach unserer Jugend

Tadeusz Rozewicz
Tadeusz Rozewicz 1966 © dpa / picture alliance / Stanislaw Moroz
Von Sigried Wesener · 24.04.2014
Als Tadeusz Różewicz 1947 in Polen den schmalen Gedicht-Band "Unruhe" veröffentlichte, machte eine Stimme auf sich aufmerksam, die schnörkellos und lakonisch von den Erfahrungen einer Generation sprach und auch scheinbar banale Dinge des Lebens in den Weltzusammenhang stellte.
1921 in Radomsko geboren, brachte der deutsche Überfall auf Polen das vorzeitige Ende seiner Jugend. Der Tod lauerte in den Häusern und Straßen, trieb den 18-Jährigen in die Wälder zu den Partisanen, ließ sich nicht mehr abschütteln.
"Mein Lebenslauf war schon mehrmals zu ende/ mal besser mal schlechter", schrieb Różewicz, dennoch fühlte er sich nicht zum Richter berufen: "ich sah: / einen menschen der war/ schuldig und schuldlos zugleich" und er verweigerte sich der Erinnerungskultur: "vergesst uns/ fragt nicht nach unserer Jugend/ lasst uns".
"Als junger Mann schlief ich ein, nachts schneite es, ich wachte auf als alter Dichter, zwischen uns lag eine grüne Wiese, aschebedeckt, ich hatte geträumt, ich schreibe Gedichte."
Różewicz hielt sich an das Faktische und musste doch im Nachkriegspolen begreifen: "Letztendlich ist die verständliche Lyrik unverständlich." Die Bürde der Todeserfahrung machte ihn wach für die überlebenswichtigen Dinge, führte zu seiner radikalen Moralität, die er auch in der absurden Alltagswelt des Sozialismus nicht aufgab. Das provozierte die Mächtigen, machte seine Texte so politisch. Als poetische Stimme seiner "dezimierten Generation" setzte er auf Humanität, auf individuelle Freiheit und wurde abermals betrogen. Różewicz gab nicht auf und avancierte auf der Bühne mit Grotesken wie "Kartei", "Die Zeugen oder Unsere kleine Stabilisation" und "Laokoongruppe" in den 70er- und 80er-Jahren zu einem viel gespielten Autor, seine Einakter füllten auch die Theater in Deutschland West und Ost.
"Ich hatte immer gesagt: Wissen Sie, das war ganz realistisches Theaterstücke in sozialistischen Gesellschaft, nur: das war absurd alles und darum: Man denkt, ich habe absurdes Theater gemacht, aber leider, diese Probleme waren damals ganz realistisch, das ist super realistisches Theater, dieses surreale, absurde Theater."
Auf Kafkas Spuren
Dennoch kehrte Tadeusz Różewicz, der Jahrzehnte im Zentrum von Wroclaw, dem ehemaligen Breslau lebte, dem Land zwischen Oder und Weichsel nicht den Rücken:
"Ich hatte nie im Sinn, auf Emigration gehen, nie... ich muss in meiner Sprache leben, meine Sprache ist mein Land, mein Land meine Sprache, manchmal war es sehr schwer für meine Generation, denn meine Generation war am meisten idealistisch, romantisch. Fast alle meine Freunde, die Dichter, sind gestorben im Warschauer Aufstand, in Kämpfen, dann müssen wir durchgehen durch diese stalinistische Ära ..."
Als Europa noch geteilt war, reiste er nach Italien, las in Leipzig und in München, suchte Kafkas Spuren in Prag und kam immer wieder nach Polen zurück − als Europäer. In "Der Hungerkünstler" und "Die Falle" collagierte er Kafkas Leben und Schreiben vor dem historischen Hintergrund der Massengräber und Vernichtungslager.
Die Bücher von Nietzsche, Dostojewski und Joseph Conrad haben ihn ein Leben lang begleitet, gehörten zu seinem Gepäck in der polnischen Heimatarmee. Die Romane des russischen Realisten reizten den Dramatiker Różewicz zeitlebens; auf die Bühne gebracht haben Dostojewskis Prosa andere Regisseure.
Nach langen Denk- und Schreibpausen entstanden Erzählungen und Essays und immer wieder Gedichte, er begeisterte sein Publikum bei gemeinsamen Auftritten mit seinem deutschen Verleger Michael Krüger.
"Das Böse kommt vom Menschen"
Aber Tadeusz Różewicz sah auch, wie nach der "samtenen Revolution" im neuen Touristenmoloch Prag Franz K. zur Werbe-Ikone gemacht worden ist, das Gesicht auf Hemden, Socken und Gläsern ihm entfremdet wurde. Auch wenn er von Rinderwahn und Recycling sprach, Wirtschaftsmeldungen und Börsennachrichten in Verse setzte, fragte er nach Gewissen und „gesundem Menschenverstand", und klang immer zorniger. "Das böse kommt nicht aus dem mangel/ noch aus dem nichts/ das böse kommt vom menschen" heißt es in einem späten Gedicht.
"Für mich die Gedichte ist die wichtigste Form. Die wirklich wichtigste. Ich glaube, dass das Geheimnis von Gedichten ist so, dass ich einmal sagte im Scherz, dass meine kurzen Gedichte sehr lange manchmal, wenn man tief geht."
Tadeusz Różewicz gehörte zu den großen Poeten des 20. Jahrhunderts. Wie die Literatur-Nobelpreisträger Wislawa Szymborska und Czeslaw Milosz und der 1998 verstorbene Dichter Zbigniew Herbert hat er der Poesie polnische Akzente gegeben.
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