Nachruf auf Hilmar Thate

"Spielst Du einen Helden, suche das Negative"

Der Schauspieler und Autor Hilmar Thate auf der Internationalen Frankfurter Buchmesse, aufgenommen am 07.10.2006.
Der Schauspieler und Autor Hilmar Thate auf der Internationalen Frankfurter Buchmesse, aufgenommen am 07.10.2006. © dpa / Frank May
Von Peter Claus · 17.09.2016
Jahrzehntelang war Hilmar Thate einer der ganz großen Theater- und Filmstars. Er selbst nahm es gelassen, trat in Gesprächen gern bodenständig auf, arbeitete nach der knappen Devise: "Nichts ist schöner als der eigene Einfall!" Jetzt ist er im Alter von 85 Jahren gestorben.
Er war über Jahrzehnte ein wirklicher Star, einer, wegen dem die Leute sich an der Kasse anstellten, egal was auf dem Spielplan des Theaters oder des Kinos stand. Das war so im Osten, an Brechts Berliner Ensemble und am Deutschen Theater Berlin. Das war auch so im Westen, ob am Schillertheater in Berlin oder in Wien, am Burgtheater.
Er selbst nahm es gelassen, trat in Gesprächen gern bodenständig auf: "Ich bin ein Landmensch. Ich bin ein Dorflümmel, aus dem Dorf Dölau, bei Halle an der Saale - und bin auch so groß geworden, bis ins Jungmannalter hinein sozusagen war ich in diesem Kaff."
1931 war er dort geboren worden, als Sohn sogenannter kleiner Leute. Schon als Kind trat Hilmar Thate in Laienspielgruppen auf, absolvierte mit 18 die Hochschule für Musik und Theater in Halle, ging nach Chemnitz ins erste Engagement - und musste einiges an Selbstzweifeln überwinden. "Mein Lehrer hat mal gesagt, 'Wissen Sie Herr Thate, wenn Sie nicht von sich selber überzeugt sind, können Sie auch keinen andern überzeugen.' Und daran habe ich ständig gearbeitet: dass ich von mir selber überzeugt bin."

"Ich bin ein Dorflümmel"

Das ist ihm gelungen: Regie-Stars wie Peter Zadek, Ingmar Bergman und George Tabori, mit denen Thate am Theater arbeitete, oder Fassbinder und Schlöndorff, die ihm große Filmrollen anvertrauten, haben sich nie über mangelndes Selbstbewusstsein des Schauspielers beklagt. Der erfahrene Hilmar Thate arbeitete nach der knappen Devise: "Nichts ist schöner als der eigene Einfall!"
Hilmar Thate gemeinsam mit seiner Schauspiel-Kollegin Rosel Zech bei den Berliner Filmfestspielen 1982.
Hilmar Thate gemeinsam mit seiner Schauspiel-Kollegin Rosel Zech bei den Berliner Filmfestspielen 1982.© dpa / Eva von Maydell
Dabei diente er aber immer dem Publikum, den Charakteren, die er verkörperte, dem Dichterwort. Er setzte immer aufs Geistreiche: "Spielst Du einen Helden, so suche das Negative in ihm, spielst Du einen Negativen, so suche das Produktive in ihm. Diese Dialektik muss man schon ernst nehmen. Und das fängt bei Shakespeare an. Auch Richard ist nicht nur ein Schurke."
In seinem ersten Leben - in der DDR, die er 1980 in Folge der Biermann-Affäre mit seiner Frau, der Schauspielerin Angelica Domröse, verlassen musste, war Shakespeares Richard III. denn auch Hilmar Thates Rolle schlechthin. Ab 1972 verkörperte er ihn am Deutschen Theater Berlin - gänsehautträchtig, weil er die Zuschauer dazu brachte, sich als Kumpane des mörderischen Monarchen zu erkennen, als Menschen, die allein durch ihr Schweigen viel Unrecht um sie herum, kleines und großes, zugelassen haben.

Mit flirrender Intelligenz und beherrschter Emotionalität

In seinem zweiten Leben, ab 1980 in der Bundesrepublik, brillierte Hilmar Thate zunächst auf der Bühne - etwa in West-Berlin am Schillertheater in Zadeks Fallada-Revue "Jeder stirbt für sich allein" oder in Wien, neben Domröse, in Edward Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?". Jeder Auftritt Thates war einmalig, unvergesslich. Denn immer überraschte er mit neuen Nuancen, stellte nie sich aus, sondern schlüpfte mit flirrender Intelligenz und beherrschter Emotionalität in die Rollen.
Um die Jahrtausendwende begann er, sich am Theater rar zu machen. Das sogenannte Regie-Theater war seine Sache nicht: "Ich meine, dass man die Stücke zu sehr zum Trampolin runterwirtschaftet, dass man nicht mehr die Fabel ernst nimmt, sich nicht mehr hineinarbeitet, hinein-intellektualisiert. Es klingt ein bisschen geschwollen, aber es hat etwas damit zu tun, wie man die Fantasie in Gang setzt für ein Thema, das ja von einem möglicherweise großen Dichter geschöpft wurde."
Unvergessen sind auch viele Leinwand- und TV-Auftritte, etwa in "Der geteilte Himmel", "Daniel Druskat", "Die Sehnsucht der Veronika Voss" oder "Der König von St. Pauli".
Als die guten Angebote weniger wurden, drängte sich Hilmar Thate nicht auf, nahm nicht eine einzige Rolle an, nur um noch einmal im Scheinwerferlicht zu stehen. Wenn er im Alter auftrat - etwa als Bischof in Volker Schlöndorffs Anti-Nazi-Drama "Der neunte Tag" - dann, um mehr zu bieten als Schauspielkunst.
Thate wollte zum Nachdenken anregen, zum Denken überhaupt. Er wollte, dass die Leute sich jenen - von ihm auch im neuen wiedervereinigten Deutschland ausgemachten - Entwicklungen widersetzten, die ihn und seine Frau einst aus der DDR getrieben hatten: "Eine Gesellschaft, die keine Außenseiter verträgt, ist ziemlich gefährdet. Das hat etwas mit Kultur zu tun: Wenn Kultur abgeschnürt wird, ist der nächste Schritt der Schritt in die Barbarei. Wie sagt Goethe: 'Nur der verdient sich Freiheit, wie das Leben, der täglich sie erobern muss.' Mit dem täglichen Erobern hapert's im Moment. Wir reden zwar sehr viel, aber es geschieht nix."