Nachruf auf die Mittelwelle

Sie reichte bis ins "Tal der Ahnungslosen"

Altes Radiogerät
Immer schön am Knöpfchen drehen, bis ein Sender gefunden ist: Doch die Zeiten der Mittelwelle sind 2016 vorbei. © picture alliance / dpa /Jens Kalaene
von Wolfgang Noelke · 30.12.2015
Die Mittelwelle hat die Rundfunklandschaft Europas aufgemischt. Sie hatte eine enorme Reichweite und Wirkung – damals, in den braven 60er Jahren, als Sender wie Radio Luxemburg und kleine Piratensender Bewegung in den Äther brachten. Damit ist es ab 2016 vorbei. Ein nostalgischer Rückblick.
"Hier ist England, hier ist England, hier ist England! Zunächst die Nachrichten in Schlagzeilen!"
Ohne Mittelwelle hätten digitale "Feindsender" von den Nazis leicht aussperrt werden können, im Gegensatz zur Mittelwelle. Die ist grenzenlos empfangbar. Ohne Mittelwelle hätten Sender wie Radio Luxemburg oder Piratensender wie Radio Caroline niemals die in den 60er Jahren noch dröge, schulmeisterliche Rundfunklandschaft Europas verändern können.
Ohne Mittelwelle hätten viele Jazz-Fans nicht schnell noch DDR Plattenläden gestürmt, um sich mit den restlichen Platten ihres Idols einzudecken, noch bevor die Stasi deren Verkauf verbieten konnte. Der RIAS sendete – via Mittelwelle – diese weit bis ins angebliche "Tal der Ahnungslosen" vernehmbare Meldung: Der in der DDR prominente und gefeierte Musiker Stefan Diestelmann...
RIAS 1- Nachrichten:
...will nach seiner Teilnahme an einem Jazz- Festival in Hildesheim offenbar nicht in den anderen deutschen Staat zurückkehren. Wie einer der Organisatoren der 'Jazztime Hildesheim' gestern bestätigte, habe der Blues-Star seinen Schritt vor allem mit künstlerischen Argumenten begründet."
Begehrte Welle
Dass die Mittelwelle trotz Störungen so begehrt war, liegt an der physikalischen Eigenschaft der Erdatmosphäre, besonders gut Funkwellen zwischen 530 bis 1720 kHz zu reflektieren und – wie ein riesiger Spiegel – diese sogenannten Mittelwellen bis in 2000 km entfernte tiefe Täler umzulenken.
Der zweite Grund, der den Radiopionieren von Beginn an einen rasanten Erfolg garantierte, war, dass man sich mit einfachsten Mitteln einen Empfänger selbst basteln kann: Zwei lange Drähte, ein Halbleiterkristall, ein Kondensator und zwei selbstgewickelte Spulen genügen, um im Kopfhörer Mittelwelle zu empfangen:
Radio Wien-Lied "Welle 530" (1924):
"Wer eine Drahtmatratze hat, der kauft sich einen Apparat – und spannt sogleich mit frohem Sinn, den Draht zur Wasserleitung hin..."
Die ersten Versuchssendungen aus Königs Wusterhausen, in denen Postbeamte noch mit eigenen Musikinstrumenten, Kollegen in weit entfernten Empfangsstationen erfreuten, durften noch nicht privat empfangen werden.
Erst drei Jahre später war das erlaubt und der Erfolg durchaus vergleichbar, mit dem rasanten Erfolg des heutigen Internets. Vier Millionen – davon vermutlich noch eimal so viele Schwarzhörer - empfingen bis zur Machtergreifung der Nazis die Programme erster Rundfunkveranstalter, wie das der 1923 gegründeten Nordischen Rundfunk AG.
NORAG:
"Hier ist die NORAG für Jedermann, der zwei Mark im Monat noch bezahlen kann..."
Protz mit teuren Geräten
Dieser Rundfunkbeitrag blieb übrigens konstant, bis Mitte 1960. Wer Geld hatte, protzte mit teuersten Empfängern, wie mit einer aus edelstem Holz gebauten Empfangskommode. Am Dutzend glänzend polierter Regelknöpfe durfte man nur nach zuvor bestandener Prüfung und Genehmigung drehen:
Harald Jordan:
"Man kann also bei jeder Röhre die Heizung einstellen, es ist für jede Heizspannung ein Regler da, um das laut und leise zu machen. Man kann die Kopplung der einzelnen Filter einzeln beeinflussen. Man muss also an fünf oder sechs Hebeln zugleich bewegen, um einen Sender richtig einzustellen."
Der heute 71jährige Harald Jordan aus Ronnenberg sammelte bereits als 19jähriger knapp 400 historische Empfänger. Bis kurz vor dem Jahreswechsel wären die noch in der Lage gewesen, das Programm des letzten deutschen Mittelwellensenders zu empfangen.
Nun geht das nicht mehr. Und auch die Techniker werden im kleinen Häuschen, neben dem Sendemast ein Geräusch niemals wieder hören: Die klingenden riesigen Spulen, Jahrzehnte lang von der starken Sendeleistung in Schwingungen gehalten.
Nun herrscht endgültig Ruhe. Die Zeit der Mittelwelle ist abgelaufen.
Funk Stunde Berlin- Lied (1923):
"Tick,Tack,Tick,Tack,Tick,Tack...Achtung, Achtung, hier ist der Sender! Schluss des Programms, nach dem heut'gen Kalender! Morgen wird's schon wieder wärmer werden. Vergessen Sie nicht, die Antenne zu erden! Du drehst den Lautsprecher ab und sagst "leider",doch deine Frau spricht noch lauter dann weiter.Die Hörspiel- Folge wird dann selbst erledigt: Familiendrama und Gardinenpredigt."
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