Nachrichten aus dem Sommerloch

Mit Kügelchen gegen Schaum vor dem Mund

Mitglieder der "Berliner Skeptiker" schlucken im Februar 2011 in Berlin vor dem Brandenburger Tor eine "Überdosis" eines homöopathischen Mittels
Mitglieder der "Berliner Skeptiker" schluckten schon 2011 vor dem Brandenburger Tor eine "Überdosis" eines homöopathischen Mittels: Alle überlebten das Happening unbeschadet © picture alliance / dpa / Herbert Knosowski
Von Maximilian Klein und Thomas Klug · 31.08.2016
Warum eigentlich immer die Feuerwehr rufen, wenn es einen medizinischen Notfall gibt? In München kann man auch den homöopathischen Notdienst kontaktieren. Unsere beiden Autoren, unter ihnen ein echter Homöopathie-Gegner, haben es ausprobiert.
Der Kollege hat Schaum vorm Mund. Er hat wieder in meinem Homöopathie-Buch gelesen. Das macht er immer, wenn er sich ärgern will. Es wirkt auch immer. Heute hat er wohl zu lange darin gelesen. Die Homöopathie lehrt: Ähnliches mit Ähnlichem heilen. Der Kollege regt sich über Homöopathie auf. Also kann er nur durch sie geheilt werden.
Wie? Ich rufe den neuen homöopathischen Notfalldienst in München-Giesing, rechts der Isar an. In Bayern schätzen sie noch das Althergebrachte, Heilungsmethoden, die seit über 200 Jahren existieren. Tradition eben. Die ist wichtiger, als die Fakten der Ungläubigen. Jetzt muss es schnell gehen, es ist dringend. Die Not ist groß.
Atmo (Ansage vom Band des Notdienstes): "Leider behandeln wir gerade ..."

Der Kollege sieht überhaupt nicht gut aus

Der Kollege sieht nicht gut aus. Gar nicht. Noch schlimmer als sonst. Ich muss mich wohl ohne die Hilfe der Notfall-Homöopathen durch meine Globulisammlung probieren.
Mit Globuli ist nicht zu spaßen. Ich lege meinen Chemie-Schutz-Overall an. Der Kollege lästert immer, wenn ich ihn anziehe, um mir die Globuli zu nehmen. Später wird er mir sicher dankbar sein, weil ich auf alle Eventualitäten vorbereitet bin. Und ihm so dass Leben rette.
Gut, ich sehe wirklich aus, als müsste ich einen Ebola-Patienten behandeln. Aber sicher ist sicher. Bevor ich meinen Globulitresor öffne, verneige ich mich ehrfürchtig vor der Hahnemann-Büste. Er streckt mir seinen nach oben gereckten Daumen entgegen. Aber an der Büste ist kein Arm. Egal. Es war so. Punkt. Der Globulitresor öffnet sich mit einem Knarzen.

Tausende und aber tausende Fläschchen im Tresor

Tausende und aber tausende Fläschchen stehen darin. Vorsichtig und respektvoll greife ich nach dem ersten Mittel.
Ich schaue, was der Kollege hat: Krampfanfälle, Sabbern, er verdreht die Augen. Er muss vom Teufel besessen sein. Ganz klar. Dagegen hilft Aralia racemosa. Ich mache alles, wie aus dem Homöopathie-Bilderbuch.
Vorsichtig öffne ich die Ampulle. Mit einer Pinzette entnehme ich 20 bis 60 Kügelchen. Es hilft gegen Bösartigkeit, steht auf der Homepage der Münchner Notfallhomöopathen. Außerdem bei Asthma, Leukorrhoe, Diarrhoe, unterdrückte Absonderung, ausschweifende Lebensweise ... Passt! Der Kollege sieht noch immer nicht besser aus. Auch mit den Kügelchen im Mund nicht.
Ich habe noch mehr im Schrank. Lac Delphinium. Hergestellt aus zwei tiefgefrorenen Tropfen Delphinmilch, lese ich auf der Seite des Münchner-Notdienstes. "Lac delphinum ist ein sehr warmherziges und altruistisches Mittel. Sie opfern sich für Andere auf, ohne etwas zurückzuverlangen", schreiben die Notfallhomöopathen.

Nichts hat gewirkt, auch die Delfinmilch nicht

Das würde dem Kollegen gefallen, herrlich könnte er sich darüber aufregen. Aber er muss es ja nicht lesen, er soll nur schlucken. "Delfine sind Meister der Kommunikation." Vielleicht wird es der Kollege auch noch, dank Delfinmilch.
Atmo (Ansage des Notdienstes) ... keiner geht ran
Nichts hat gewirkt. Aber dann: Die Lösung kommt mir wie ein Engel entgegengeschwebt.
Auf der Seite der Münchner-Notfall Homöopathen wir das Arzneimittel des Monats August angepriesen: COLA! Dazu ein Bild eines Coca-Cola–Glases.
Atmo: Zisch, Flasche öffnet sich, Schluckgeräusch
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