Nachkriegsliteratur

Sprachgenie im Heidedorf

Eine Box mit Notizen des Schriftstellers Arno Schmidt, steht am 08.01.2014 in seinem ehemaligen Haus in Bargfeld (Niedersachsen).
Eine Box mit Notizen des Schriftstellers Arno Schmidt in seinem ehemaligen Haus in Bargfeld, Niedersachsen © picture alliance / dpa / Christoph Schmidt
Von Hendrik Feindt · 18.01.2014
Von den großen drei Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur — Böll, Koeppen, Schmidt — war Arno Schmidt lange nur einem kleinen Kreis von Interessierten bekannt. Das hing auch damit zusammen, dass Schmidt wie kein anderer experimentierte: mit der Sprache, mit der Rechtschreibung, mit Formen des Erzählens und mit Buchformaten.
"Gesetzt den Fall, es gäbe eine gütige Fee, die Ihnen irgendeinen Wunsch freigäbe, was wär’s?"
"Wenn ich wünschen könnte, würde ich sagen, eine feste Monatsrente von 1000 Mark und dann einmal zehn Jahre lang keinen Besucher."
Arno Schmidt 1964 im Norddeutschen Rundfunk aus Anlass seines 50. Geburtstags. Zwei Konstanten sind es, die Regelmäßigkeit des Geldes und die Abgesondertheit des Daseins, die der Schriftsteller zeit seines Lebens gesucht hat. Geboren wurde er am 18. Januar 1914 in dem Arbeitervorort Hamburg-Hamm, für den Autor das Sinnbild einer "projektierten Wüstenei". Die letzten zwei Jahrzehnte seines Lebens verbrachte er mit seiner Ehefrau Alice in einem bescheidenen Einfamilienhaus am Ortsrand des Heidedorfs Bargfeld bei Celle.

"Das ist letzten Endes eine Frage der geistigen Ökonomie und auch der Gesundheit, nicht nur weil mein Credo lautet: Flachland und Nachschlagewerke, sondern auch, weil ich Tiefdruckgebiete am besten vertrage."
Arno Schmidts weitere Lebensstationen verteilten sich auf so entlegene Orte wie Lauban und Greiffenberg in Niederschlesien, auf Cordingen bei Walsrode, auf Kastel über der Saar; nur einmal, übereilt und aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung im Saarland wegen angeblicher Gotteslästerung und Verbreitung unzüchtiger Schriften, zog er in eine hessische Großstadt.
Schmerz über die eigene Bedürftigkeit
Nicht zufällig sind die ersten Kurzromane Schmidts - sie heißen "Schwarze Spiegel", "Brand’s Haide" oder "Aus dem Leben eines Fauns" - voller Figuren, die umgesiedelt werden, ausgedehnte Fluchtbewegungen vollziehen oder größte Findigkeit beim Errichten und Instandsetzen abgelegener Hütten beweisen. Sie spiegeln nicht allein den Bauwillen bundesrepublikanischer Gründerzeit, sondern zugleich eine schmerzhaft empfundene eigene Bedürftigkeit.
Alice Schmidt:"7.4.1956. Heiter, -1°. Posteingang: Steuerbescheid von Saarburg; für 54: nichts zu zahlen; für 53: Einkommensteuer 56,- DM + 25,65 Notopfer Berlin. Zahlbar bis 8.5. - Natürlich ein Schlag! - Aber andererseits sagt Arno: für fast 10 Jahre Schriftstellerdasein."
Die Tagebücher, die Alice Schmidt über viele Jahre führte, sind Zeugnis der gesellschaftlich marginalisierten Existenz eines von schriftstellerischer Arbeit lebenden Ehepaars. Dabei hatte Arno Schmidt, nach zunächst kaufmännischer Lehre, Anstellung als Lagerbuchhalter und dem Kriegseinsatz als Soldat, erst vergleichsweise spät, im Alter von 35 Jahren zu publizieren begonnen. Noch 1964, kurz bevor er in Berlin den Fontane-Preis erhält, klagt der Autor:
Rundfunk-Interview R. Hagen/A. Schmidt:
- "... ich würde gern noch zwei umfangreiche Bücher schreiben, sehe aber nicht recht ab, wann ich dazu kommen werde, denn ich muss ja leider Brotarbeiten immer wieder einschieben."
- "... Brotarbeiten, das ist für Sie das Übersetzen?"
- "Hauptsächlich ja, 50 Prozent meiner Einnahmen, ja, ziehe ich aus dem Übersetzen, ich mache dann noch einige Arbeiten für den Rundfunk."
Zu den "umfangreichen Büchern" kam es dennoch bald. Das spektakulärste ist "Zettel’s Traum": Die erste Auflage des mit 295 DM ungewöhnlich teuren Bandes war binnen kurzer Zeit vergriffen und konnte in Stadtbüchereien nur in angekettetem Zustand eingesehen werden: trotz eines Gewichts von über neun Kilo.

"ZETTEL’S TRAUM … der Titel natürlich … zunächst SHAKESPEARE. … Es deutet natürlich auch auf die Entstehung aus lauter Zetteln hin. Es ist meine Art, viele, in diesem Fall waren’s 120 000 Zettel, zu sammeln … dann sorgfältig genau hintereinander zupass zu montieren — und dann das Buch zu schreiben."
"Zettels Traum" lebt von fundamentaler Sprachkritik, versucht, Dichtungstheorie und psychoanalytischen Essay, Lehr- und Streitgespräche sowie kleinste Erzählungen zu koordinieren. Dass Arno Schmidts literaturgeschichtlich ausgreifender Zitatismus und seine stupende Freilegung libidinöser Subtexte am Beispiel der Prosa Edgar Allan Poes vieles überflügeln, was später zur Praxis postmodernen Schreibens wird, ist zwar längst anerkannt, hat aber zum Absatz der weiteren späten Werke kaum beigetragen. Zuletzt, bis zu seinem Tod im Juni 1979, schreibt Schmidt an seinem unvollendet gebliebenen Roman "Julia, oder die Gemälde". Wie resümierend heißt es dort:
"Die Welt der Kunst und Phantasie ist die wahre, 'the rest is a nightmare'."
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