"Nachhaltige Seelenstörungen"

Uwe Leest im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 11.09.2013
Vor Beginn des ersten Internationalen Cybermobbing-Kongresses in Berlin hat der Vorstandsvorsitzende des Bündnisses gegen Cybermobbing, Uwe Leest, auf die gravierenden Folgen von Beleidigungen im Internet hingewiesen. Er fordert ein Gesetz, das Mobbing-Attacken unter Strafe stellt.
Stephan Karkowsky: Soziale Netzwerke können manchmal ganz schön asozial sein. Da wird beleidigt, verleumdet und gemobbt. Glaubt man den Berichten, dann gibt es sogar Selbstmorde von Mobbingopfern, die den Druck einfach nicht mehr aushalten. Der erste internationale Cybermobbing-Kongress untersucht ab heute in Berlin das Phänomen und seine Folgen für die Gesellschaft. Eingeladen dazu hat Uwe Leest als Vorstandsvorsitzender des Bündnisses gegen Cybermobbing e.V. Guten Morgen, Herr Leest!

Uwe Leest: Schönen guten Morgen!

Karkowsky: Sie sind erstmals, durfte ich lesen, in der eigenen Familie mit dem Thema konfrontiert worden. Wollen Sie uns erzählen, was da passiert ist?

Leest: Ja. Ich hab eine dreizehnjährige Tochter, und gerade Jugendliche in der pubertären Phase sind also sehr sensibel und kommen dann auch mit diesem Thema Cybermobbing in Berührung. Und das war halt ein Fall, wo meine Tochter dementsprechend verunglimpft wurde, wo über sie Lügen verbreitet wurden. Und so bin ich auch zu diesem Bündnis gegen Cybermobbing gekommen, weil ich selber in meinem Umfeld davon betroffen war.

Karkowsky: Und das war für Ihre Tochter eine ganz schlimme Erfahrung.

Leest: Ja natürlich, gerade die Jugendlichen, die in dieser Phase sich selbst finden, die also sehr sensibel sind, die auch auf dem Weg sind, wer bin ich, was bin ich, wohin will ich. Wenn die mit so etwas natürlich konfrontiert werden, dann haben sie natürlich daran zu arbeiten.

Karkowsky: Sie haben dann beschlossen, etwas dagegen zu tun, und diesen Verein gegründet, Bündnis gegen Cybermobbing. Hatten Sie den Eindruck, es wird noch nicht genug dagegen getan?

Leest: Als wir vor zwei Jahren zusammengekommen sind, das waren Pädagogen, das waren Lehrer, das waren Mediziner, Politiker – wo wir gesagt haben, da braut sich in unserer Gesellschaft etwas auf. Das heißt, durch die Veränderung der medialen Landschaft, Internet, Smartphones, Flatrate, hat heute fast jeder Jugendliche die Möglichkeit, rund um die Uhr medial zu empfangen, und das hat dazu geführt, auch leider, wir werden ja gleich auf Zahlen kommen, dass sich dieses Phänomen Cybermobbing in unserer Gesellschaft entwickelt hat.

Karkowsky: Sie haben dann eine große Studie durchgeführt. Was ist dabei herausgekommen, wie viele sind betroffen?

Leest: Ja, wie haben insgesamt über 6800 Schüler in Deutschland befragt. Und dabei ist herausgekommen, dass gerade in der pubertären Phase die Jugendlichen bis zu 20 Prozent mit dem Thema Cybermobbing in Berührung kommen. Und das eine ist, man kommt in Berührung damit, das andere ist aber, wie intensiv, wie stark wirkt das auf die Jugendlichen. Und das ist, glaube ich, das, worauf wir uns in der Gesellschaft einstellen müssen, dass es eben bei den Jugendlichen gerade in dieser Phase tief in das Bewusstsein, in die Seele eingreift.

Karkowsky: Was macht denn Ihr Verein dagegen, was tut er genau?

Leest: Zum einen haben wir als Zielsetzung, dass wir natürlich die Öffentlichkeit, so wie wir das mit dem Kongress jetzt tun und auch in dem Gespräch, wie wir es führen, zu sensibilisieren. Wir haben ein Thema in der Gesellschaft damit. Auf der anderen Seite ist es so, dass wir durch die Studie einfach erst mal eine Transparenz geschaffen haben. Wo ist dieses Problem überhaupt in der Gesellschaft, wie stark ist es verankert? Und das Zweite ist, wir geben Präventivmaßnahmen, das heißt, auf unserer Internetseite kann man zum Beispiel eine anonyme Hotline anrufen, das heißt, ob man älter betroffen ist oder als Jugendlicher. Oder, wenn man einen Rechtsanwalt, eine Polizeidienststelle sucht oder einen Psychologen braucht, dann kann man über diese Plattform sich Hilfe suchen.

Karkowsky: Ich hab den Eindruck, dass das Thema Cybermobbing sich über mediale Aufmerksamkeit eigentlich nie beklagen musste. Da gibt es ja vor allem dieses sensationellen Einzelfälle, die dann von den Boulevard-Medien tagelang ausgeschlachtet werden. Sind die, sind solche Selbstmorde nach Cybermobbing-Attacken, sind sie nicht die absolute Ausnahme?

Leest: Ja, und das Gott sei Dank. Es wäre natürlich fatal für unsere Gesellschaft, wenn das andersherum wäre. Aber wir reden ja nicht nur über die Spitze des Eisberges, sondern wir reden ja über nachhaltige Seelenstörungen, so will ich es mal bezeichnen. Also die jungen Leute, die davon betroffen werden, die dann mit Verletzungen durchs Leben gehen, in ihrer Würde, in ihrer Menschlichkeit, in ihrer Persönlichkeit, die treffen also auch unter der Schwelle des Selbstmordes diese Menschen sehr, sehr stark.

Karkowsky: Sie hören Uwe Leest, den Vorsitzenden des Vereins Bündnis gegen Cybermobbing. Er engagiert sich mit dem ersten internationalen Cybermobbing-Kongress in Berlin gegen das Mobbing im Internet. Herr Leest, Mobbing ist nicht nur im Netz ein Problem. Im Gegenteil, da hat nun eine Studie der Universität Konstanz und anderer herausgefunden, im Internet wird sogar dreimal seltener gemobbt als im realen Leben. Meist, sagen die, sei Cybermobbing nur eine Verlängerung des herkömmlichen Mobbings auf dem Schulhof. Würden Sie zustimmen?

Leest: Ja und nein zugleich. Wenn man sich die Zahlen anguckt, die wir auch ermittelt haben, dann ist es so, natürlich ist das Mobbing vom Schulhof und das Cybermobbing eine Verlängerung. Aber wir haben auch festgestellt, dass ein Teil von Jugendlichen erstmal, seitdem es das Internet und die Medien gibt, zum Cybermobbing greifen. Und das ist auch einfach zu erklären. Weil im normalen Leben ist es so, da mobbt normalerweise der Starke den Schwachen oder die Gruppe den Einzelnen. Oder in vielen Fällen die Jungen die Mädchen – Stark-schwach-Funktion – aber im Internet ist es halt so, da kann der Schwache auch den Starken mobben. Und was noch dazu kommt: die Anonymität. Und durch die Anonymität bekommt das Mobbing eine andere, menschlich negative Dimension.

Karkowsky: Nun ist es ja so, wenn auf dem Schulhof gemobbt wird, dann kennt man die Täter. Im Internet kennt man die Täter nicht. Aber man hat ein Dokument in der Hand. Lässt sich denn darüber, über einen Eintrag in einem Blog zum Beispiel oder bei Facebook, lässt sich da nicht der Täter auch ganz leicht ermitteln?

Leest: Einfach – man kann ja sagen, man könnte ihn leicht ermitteln. Aber wir leben ja in einer Gesellschaft, die auch unter Datenschutzgesichtspunkten jetzt lebt, und wenn Sie bei Facebook oder irgendeinem anderen sozialen Netzwerk eine ID oder ein Pseudonym haben, dann ist es ja nicht so, dann gehen Sie ja bewusst anonym auf diese Plattform oder in diese sozialen Netzwerke. Und das heißt, wenn Sie dort irgendwo gemobbt werden, dann müssen sie natürlich mit diesen Betreibern in Kontakt treten. Und das ist natürlich ein sehr schwieriges Unterfangen.

Karkowsky: In ein paar Minuten beginnt Ihr Kongress, und am Nachmittag dann wird der Passauer Jurist Dirk Heckmann sprechen über die Grenzen des Rechts. Wo sind diese Grenzen? Sagt er, wir müssten im Prinzip diese Firmen, die solche sozialen Plattformen bereitstellen, stärker dazu verpflichten, dann auch mit den Identitäten der Täter rauszurücken?

Leest: Ja. Ich glaube schon, dass die Anbieter von diesen Plattformen, von den sozialen Netzwerken in einer Verantwortung stehen, weil auf der einen Seite eine Plattform zur Verfügung zu stellen und auf der anderen Seite die Inhalte nicht wahrnehmen zu wollen, das widerspricht sich für mich. Das andere ist natürlich, dass wir schon seit längerer Zeit ein Cybermobbing-Gesetz in Deutschland fordern, einfach aus dem Präventivgedanken heraus, weil, wenn die Jugendlichen wissen, und vielleicht nicht nur die Jugendlichen, sondern auch die Erwachsenen wissen, wenn ich hier jemanden mobbe, dann werde ich dafür bestraft, dann ist das auch eine Präventivmaßnahme, und wir würden es sehr begrüßen, wenn sich die Politik dieses Themas annehmen würde.

Karkowsky: Warum braucht es eigene Gesetze gegen das Cybermobbing? Sollte man da nicht gegen das Mobbing insgesamt die Gesetze nutzen und nicht speziell für das Cybermobbing jetzt ein eigenes Gesetz entwerfen?

Leest: Auch da bin ich ganz Ihrer Meinung. Das heißt, wir müssen es nicht nur auf das Cybermobbing begrenzen, sondern wir müssen es auch auf den Tatbestand, der auf dem Schulhof normal passiert oder am Arbeitsplatz, dass wir an den Stellen natürlich genau das mit einbeziehen.

Karkowsky: Und Sie kennen sich aus. Da meinen Sie, ist gesetzlich noch nicht genug getan worden?

Leest: Es gibt genügend gesetzliche Regelungen in Anführungsstrichen, Paragraphen, die man nutzen könnte. Im Moment ist es nur so, dass die rechtlich sozusagen nicht genutzt werden, weil man zu oft von Kavaliersdelikten – das Thema wird in der Gesellschaft noch nicht ernst genug genommen, und gerade deshalb sagen wir, wir haben die Forderung, ein Cybermobbing-Gesetz. Dann habe ich zwar mehrere Tatbestände in einem Gesetz zusammen, aber dann habe ich etwas Plakatives, und ich habe nicht sechs oder acht oder zehn mögliche Gesetzesverstöße, die ich einzeln ahnden kann.

Karkowsky: Ich hab die Studie der Uni Konstanz und anderer Universitäten auch aus der Schweiz bereits zitiert, die sagt, auch die klassische Antimobbing-Prävention, die greife auch in der digitalen Sphäre, also potenzielle Fälle früh aufdecken, Sozialkompetenzen vermitteln, moralische Werte lehren. Sehen Sie da fürs Mobbing im Internet einen ganz speziellen Präventionsbedarf?

Leest: Also, wir haben ein neues mediales Zeitalter. Also die Verfügbarkeit von neuen Medien, von schnellen Medien, erfordert auch von uns Menschen, ich verrate kein Geheimnis, es gibt junge Leute, die haben am Tag 20, 40, 100, 500 SMS, die sie bekommen. Das heißt, wir sind in einem neuen medialen Zeitalter, und das erfordert für die jungen Leute auch, zu lernen den Umgang mit sozialen Medien, mit den Social Networks, das müssen sie lernen. Und hier ist ganz vorne Medienkompetenz ist das Stichwort, über das wir reden, wenn wir über Prävention reden.

Karkowsky: Sie haben das Stichwort genannt, die sogenannten Sozialen Medien, die Sozialen Netzwerke, die tragen ja ihr Attribut "sozial" nicht ganz umsonst im Namen. Gerade bei Twitter, Facebook oder Tumblr, da könnte man doch auch von einer sozialen Kontrolle ausgehen, ja, weil die Kommunikation läuft in der Regel halb öffentlich ab. Da können zumindest die Freunde mitlesen. Bei Twitter kann jeder mitlesen. Und wenn andere zuhören oder mitlesen – greifen die dann nicht ein? Wie war das bei Ihnen, wie war das bei Ihrer Tochter?

Leest: Ja, es ist so: Leider greifen sie zu selten ein. Denn es ist sehr verständlich, und das ist auch eine Art der Prävention. Wenn jemand gemobbt wird in einem öffentlichen Raum, und es treten dann die dazu, die sagen, hey, das kannst du doch nicht machen, oder das stimmt ja gar nicht, und was machst du da eigentlich …

Karkowsky: Das wäre ja leichter als auf dem Schulhof, wo man Angst haben müsste, dann selber Opfer von Gewalt zu werden.

Leest: Genau. Also im Grunde wäre es schön, wenn es so wäre, und wir sehen an der einen oder anderen Stelle, dass da auch etwas passiert. Aber man muss die jungen Leute auch sozusagen da hinführen, dass sie also selber die Möglichkeit haben, präventiv Freunden den Rücken zu stärken.

Karkowsky: Uwe Leest, Ihnen danke für das Gespräch!

Leest: Bitte sehr!

Karkowsky: Der Vorsitzende des Vereins Bündnis gegen Cybermobbing eröffnet in ein paar Minuten den ersten Internationalen Cybermobbing-Kongress in Berlin.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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