Nach wie vor Interesse an Europa

Michael Werz im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 26.02.2013
Der Antrittsbesuch von US-Außenminister John Kerry in Europa zeigt, dass die transatlantischen Beziehungen den USA noch immer wichtig sind, so die Einschätzung von Politikwissenschaftler Michael Werz. Allerdings käme es jetzt stark darauf an, "wie die Europäer sich in die geopolitischen Fragen einschalten und wie stark sie sich als Partner der Vereinigten Staaten weiterhin etablieren werden können".
Korbinian Frenzel: John Kerry, der neue amerikanische Außenminister ist zu Besuch in Berlin, seine erste Auslandsreise führt ihn nach Europa, und das allein ist schon eine Nachricht wert in der internationalen Reisediplomatie. Zum Vergleich: Hillary Clinton war zuallererst nach Asien aufgebrochen, als sie Außenministerin wurde. Ob man daraus etwas herauslesen darf, so etwas wie der Auftakt für eine Wiederbelebung zwischen der Alten und der Neuen Welt, diese Frage stellen wir gleich über den Atlantik nach Washington, aber erst mal erzählt uns Sabrina Fritz etwas über diesen Mann, über John Kerry. So viel vorweg: "Ich bin ein Berliner", das könnte er wohl ganz ohne Symbolik mal gesagt haben.

Soweit Beitrag von Sabrina Fritz über John Kerry als MP3-Audio Sabrina Fritz über John Kerry, der amerikanische Außenminister ist zu Besuch in Europa, heute in Berlin, so viel zum Protokoll. Was an politischer Substanz dahinter stecken kann, stecken könnte, darüber habe ich mit Michael Werz gesprochen. Er forscht und arbeitet beim Center for American Progress in Washington, und meine erste Frage an ihn war, ob er gerade so etwas wie eine transatlantische Wiederannäherung erleben, auch vor dem Hintergrund, dass die USA eine Freihandelszone mit der EU anstreben.

Michael Werz: Ich glaube, man kann nicht sagen, dass es eine Wiederannäherung ist, weil das Verhältnis ja über die vergangenen Jahre, gerade was den ökonomischen Verkehr anging, immer eng gewesen ist, aber es ist natürlich auch deutlich, dass es in Europa ein gewisses Maß an Verunsicherung und auch Schulterzucken darüber gab, dass die Vereinigten Staaten sich ziemlich stark in Richtung Pazifik auszurichten schienen.

Von daher kann man schon sagen, die Reise von John Kerry nach Europa und nicht nach Asien auf seiner ersten Dienstreise und auch die Äußerung von dem Präsidenten zeigen, dass man nach wie vor Interesse an Europa hat. Es wird allerdings auch darauf ankommen, wie die Europäer sich in die geopolitischen Fragen einschalten und wie stark sie sich als Partner der Vereinigten Staaten weiterhin etablieren werden können. Und dann wird das Verhältnis sich auch wirklich stabilisieren.

Frenzel: Schauen wir mal auf die wirtschaftliche Seite: Sie haben gesagt, da gab es enge Verbindungen, das ist auf der Handelsebene sicher richtig, aber wenn wir auf der politischen Ebene gucken, da gab es kräftig Streit, gerade auch in Richtung Berlin, die Frage, wie kommt man aus der Eurokrise raus. Gibt es Anzeichen dafür, dass man sich da ein bisschen einander annähert, oder ist diese Freihandelszone vielleicht ein Projekt, wo man sich ein bisschen um diese strittigen Fragen herummogeln kann?

Werz: Ich glaube, das Letztere ist der Fall. Die Diskussion über die Freihandelszone, die auch hier in den vereinigten Staaten relativ stark die Debatten bestimmt, ist ein gutes Signal, weil natürlich solch eine ökonomische Integration für beide Wirtschaftsräume von großem Vorteil wäre.

Auf der anderen Seite muss man auch ein wenig skeptisch sein, wenn plötzlich, gerade im Sicherheits- und außenpolitischen Bereich nur noch über eine Wirtschaftsunion geredet wird. Dann bedeutet das natürlich auch, dass vielleicht in anderen Bereichen die Übereinstimmung nicht so stark ist.

Was die Eurokrise angeht, haben die Vereinigten Staaten in der Tat mit ihrer Finanzpolitik und dem Versuch, den schrumpfenden Handel und die ökonomischen Probleme hier in den Vereinigten Staaten mit großen Geldmengen zu lösen, eine andere Politik als die Europäer, die ja eher auf Austerität und Sparmaßnahmen gesetzt haben. Das hat sich nicht verändert, da gibt es nach wie vor unterschiedliche Einschätzungen, und die Sorge über die Entwicklung in Europa ist nach wie vor groß in den Vereinigten Staaten. Aber ich denke, man hat sich darüber geeinigt, sich nicht zu einigen, und versucht jetzt die Themen in anderen Bereichen konstruktiver fortzuführen.

Frenzel: Ja, andere Bereiche, das ist das Stichwort. Sie haben die Außenpolitik angesprochen, gibt es denn da eine gemeinsame Agenda, oder besteht die vielleicht allein darin, dass man sich darin einig ist, sich eigentlich ein bisschen weniger zu engagieren in der Welt?

Werz: Also, ich glaube, das ist der eigentliche Stolperstein. Es gibt natürlich in der Tat eine Bewegung hin zum pazifischen Raum. Das ist nicht nur, weil die pazifische Zone eine ungeheure ökonomische und politische Bedeutung hat mit 40 Prozent der Weltbevölkerung und 60 Prozent der globalen Warenproduktion. Und das ist nicht etwas, was man jetzt durch Staatsbesuche wieder rückgängig machen kann, sondern da geht es um große globale und historische Prozesse.

Und auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass aus der amerikanischen Perspektive, wie der europäische und insbesondere deutsche Beitrag, wenn es um internationale Sicherheits- und Stabilitätspolitik angeht, wenn man an Libyen zurückdenkt, an Mali, die Situation in Syrien, natürlich häufig die Frage gestellt wird, wo sind die Deutschen und auf welche Art und Weise versuchen sie, sich hier einzuschalten.

Die Tatsache, dass die Europäer keine zusammenhängende und konsistente Sicherheits- und Entwicklungspolitik für ihre unmittelbare Nachbarschaft im Mittelmeerraum, also in Nordafrika und das östliche Mittelmeer vorweisen können, das ist natürlich ein großes Problem für die Vereinigten Staaten, weil, immer wenn es brenzlig wird, man natürlich nach Washington blickt und sagt, was habt ihr denn beizutragen zur Stabilisierung der Sicherung dieser Situation.

Frenzel: Wir haben ja eigentlich die paradoxe Situation erlebt, dass Obama, der Wunschpräsident gerade aller Europäer, vieler Europäer war – vor vier Jahren schon, jetzt noch mal –, aber politisch ist damals zumindest kaum etwas daraus erwachsen. Woran lag das?

Werz: Ich glaube, das waren zum einen überhöhte Erwartungen, mit denen er ja auch hier in den Vereinigten Staaten zu kämpfen hatte, weil er ja mit fast missionarischem Eifer seinen Wahlkampf geführt hat und auf einer Höhe sich bewegte der Versprechungen und der Idealisierungen, das eigentlich der Weg zumindest vorerst nur nach unten gehen konnte.

Zum anderen muss man sehen, wenn man sich die größeren historischen Zusammenhänge ansieht, dass das transatlantische Projekt, also die Zusammenarbeit zwischen Europa und den Vereinigten Staaten ja das 20. Jahrhundert und besonders die Kaltkriegszeit geprägt hat, und auch durch diese ökonomische und politische Situation geprägt worden ist. Und nach dem Ende des Kalten Krieges ist natürlich die Geschäftsgrundlage da verloren gegangen, und das alte Normalmaß der transatlantischen Beziehungen, das gilt nun nicht mehr.

Es ist eine Illusion zu glauben, dass man das jetzt mit viel gutem politischen Willen wieder reparieren könnte, weil die Situation einfach eine andere ist, die Konfliktkonstellation mit der Sowjetunion, die Tatsache, dass so viele Sicherheitsinteressen auf Europa konzentriert waren, und das es auch nur sehr wenige demokratische Staaten in der Welt gab in den 50er- und 60er-Jahren, mit denen die USA ernsthaft und eng zusammenarbeiten konnte. Das alles hat sich ja dramatisch verändert.

Frenzel: Also die Auswahl ist größer geworden. Das sagt Michael Werz, Senior Fellow am Center for American Progress in Washington. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Werz: Vielen Dank, Herr Frenzel!


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