Nach dem US-Raktenangriff in Syrien

"Eindruck, dass Russland nicht ganz unglücklich ist"

Ein zerstörtes Flugzeug liegt nach dem US-Luftangriff auf einen Luftwaffenstützpunkt der syrischen Armee auf dem Boden.
Zerstörtes Flugzeug nach dem US-Luftangriff am 07.04.2017 auf einen Luftwaffenstützpunkt der syrischen Armee © picture alliance / dpa / Sputnik / Mikhail Voskresenskiy
Markus Kaim im Gespräch mit Ute Welty · 08.04.2017
Amerikas Verbündete zeigen Verständnis für den US-Luftschlag in Syrien, scharfe Kritik kommt aus Russland. Spitzt sich die Situation zu? Markus Kaim, Experte für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, sieht im Vorgehen der USA kein Potenzial für eine globale Eskalation.
Spitzt sich die Situation in Syrien durch den US-Luftangriff auf einen Luftwaffenstützpunkt der syrischen Armee weiter zu? Verschieben sich die Kräfteverhältnisse im Syrien-Krieg? Der Angriff auf den syrischen Luftwaffenstützpunkt werde nicht zu einer globalen Krise führen, erklärt Sicherheitspolitik-Experte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Die gegen den syrischen Machthaber Baschar al-Assad gerichtete Militäraktion der USA berge keine Gefahr, dass der regionale Stellvertreterkrieg auf eine globale Ebene überspringt, sagte Kaim im Deutschlandradio Kultur. Auch wenn Russland jetzt den militärischen Draht gekappt habe, rechne er nicht mit weiteren Schritten Moskaus:
"Es drängt sich der Eindruck auf, dass Russland vorgewarnt worden ist. Und dass Russland nicht ganz unglücklich ist, dass dieser sperrige Verbündete, Präsident Assad, gemaßregelt worden ist. Ich glaube, es gibt die Möglichkeit für eine weitere diplomatische Offensive beider Länder."
Es sei deutlich geworden, dass beide Seiten an einer weiteren militärischen Eskalation kein Interesse hätten, sagte der Politikwissenschaftler von der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die unter anderem die Bundesregierung berät. Die beiden Hauptakteure seien sehr penibel bedacht darauf, politisch-rhetorisch ihre Differenzen auszutragen, hätten aber kein Interesse an einer unmittelbaren großen und offenen militärischen Konfrontation. Beide hätten sich bereits im Vorfeld bemüht, die Gefahr von ungewolltem militärischem Aufeinandertreffen zu vermeiden.

Der UN-Sicherheitsrat ist ein "Total-Ausfall"

Dem UN-Sicherheitsrat wirft der Politologe einen "Total-Ausfall" im Syrienkonflikt vor. Für die "De facto-Blockade" seien aber die Mitglieder des Sicherheitsrates verantwortlich.
Die Debatte um ein mögliches Eingreifen der Nato in Syrien hält Kaim für abwegig und nicht nachvollziehbar: "Das hat niemand gefordert und würde auch auf erhebliche Widerstände stoßen. Das sehe ich überhaupt nicht."
Die NATO sei aus guten Gründen sehr bewusst mit der Herausforderung umgegangen, im Nahen Osten aktiv zu werden. Dies sei weiterhin auch nicht vorstellbar. Auch ein Einsatz der Bundeswehr stehe aktuell angesichts fehlender Rahmenbedingungen in keinster Weise zur Debatte: "Erstens, es müsste ein Mandat der Vereinten Nationen geben, und zum Zweiten, es müsste einen multilateralen Handlungsrahmen geben." Da es nicht nach einer Mandatierung des Sicherheitsrates aussiehe und auch keine Bereitschaft von Nato oder EU gebe, in Syrien militärisch tätig zu sei: "Von daher kann sich die Bundesregierung vergleichsweise entspannt zurücklehnen. Das ist eine Frage, die sich im Moment wirklich nicht stellt," sagte Kaim.
Grafik: US-Angriff auf syrischen Stützpunkt.
Grafik: US-Angriff auf syrischen Stützpunkt.© picture-alliance/ dpa-infografik

Da Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Rücksichtslos oder nachvollziehbar? Der amerikanische Militärschlag auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt hat sehr unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Und klar ist: Zwischen Washington und Moskau ist das Verhältnis nicht mehr dasselbe, denn Russland steht nach wie vor an der Seite Syriens. Welche Veränderungen und welche Konsequenzen sich jetzt ergeben, das kann ich mit Markus Kaim besprechen, Sicherheitsexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, die auch die Bundesregierung berät. Guten Morgen, Herr Kaim!
Markus Kaim: Guten Morgen, Frau Welty, ich grüße Sie!
Welty: Moskau hat ja bereits reagiert und den Austausch mit Washington von Flugdaten über Syrien aufgekündigt. Mit welchen weiteren Schritten rechnen Sie?

"Der Ton aus Moskau gestern war doch vergleichsweise moderat"

Kaim: Eigentlich eher mit wenigen. Der Ton aus Moskau gestern war doch vergleichsweise moderat. Der Präsident hat sich lange Zeit erst mal gar nicht geäußert, also Präsident Putin, es drängt sich der Eindruck auf, dass Russland ja eingeweiht gewesen ist, wahrscheinlich hat man vier Stunden Vorwarnung an Moskau gegeben, sodass die russische Seite sogar die Syrer noch vorwarnen konnte, und dass Russland auch nicht ganz unglücklich ist, dass dieser sperrige Verbündete Präsident Assad gemaßregelt worden ist. Natürlich wird man das nicht offen so zugeben können, aber ich glaube, es gibt die Möglichkeit für eine weitere diplomatische Offensive beider Länder. Und dass deutlich geworden ist, dass beide kein Interesse daran haben, an einer weiteren militärischen Eskalation, das heißt, dass der regionale Stellvertreterkrieg, um den es sich ja handelt, auf die globale Ebene überspringt … Also, beide Seiten haben sich ja auch im Vorfeld bereits bemüht eben, das ist ja Teil dieses Truppenabkommens gewesen, die Gefahr von ungewolltem militärischem Zusammentreffen im syrischen Luftraum zu minimieren. Daraus kann man ja ableiten, dass sie kein Interesse an einer militärischen, vor allen Dingen auch ungewollten militärischen Eskalation haben.
Welty: Das, was Sie sagen, klingt einigermaßen beruhigend, aber trotzdem treibt ja vor allem auch europäische Politiker die Sorge um, dass die Situation das Potenzial hat, zu einem ganz großen internationalen Konflikt zu eskalieren. Der Außenminister von Luxemburg warnt ja bereits davor, die NATO in den Syrien-Konflikt hineinzuziehen.

Einen NATO-Einsatz hat auch niemand gefordert

Kaim: Ja, das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Das hat gestern niemand gefordert und würde, glaube ich, auch auf erhebliche Widerstände stoßen. Es ist ja kein Zufall, dass die NATO im Rahmen dieser internationalen Militärkoalition gegen den Islamischen Staat überhaupt keine Rolle spielt. Viele einzelne Mitgliedsstaaten in der Tat, allen voran die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland auch, aber die NATO nicht an sich. Das zentrale Argument ist immer gewesen, und ich halte das auch für zutreffend, dass die Reputation der NATO als Organisation im Nahen und Mittleren Osten die wäre, wenn sie denn als Organisation eingriffe, dass eine Art Kreuzfahrerorganisation in den Nahen Osten einfallen würde – der letzte halbe Satz in Anführungsstrichen! Und vor diesem Hintergrund ist die NATO immer sehr bewusst mit der Herausforderung umgegangen, im Nahen und Mittleren Osten aktiv zu werden. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass jetzt angesichts der veränderten Rahmenbedingungen auf einmal die NATO bereit wäre, im Nahen und Mittleren Osten aktiv zu werden, also konkret in Syrien. Und noch einmal, das hat auch niemand gefordert.
Welty: Wie groß sehen Sie denn die Gefahr, dass da so was entsteht wie eine Selffulfilling Prophecy? Nach dem Motto: Man kann so was auch herbeireden?
Kaim: Nein, das sehe ich überhaupt nicht. Ich glaube, man muss realistisch sein. Der Syrien-Konflikt hat ja drei Ebenen. Auf der untersten Ebene haben wir das, was wir gemeinhin als Bürgerkrieg beschreiben, also die Auseinandersetzung zwischen der Regierung und diversen Oppositionsgruppen, auf der zweiten Ebene haben wir den regionalen Stellvertreterkrieg, ausgetragen eben durch unter anderem Iran auf der einen Seite, Türkei und Saudi-Arabien auf der anderen Seite, und auf der dritten Ebene haben wir eben diese globale Konfliktebene, über die wir gerade gesprochen haben. Und auf den ersten beiden Konfliktebenen sehen wir leider eben auch die militärische Austragung dieses Konfliktes. Aber ich habe es ja schon angedeutet, mein Eindruck ist – und da fühle ich mich auch durch die letzten Tage eher bestätigt –, dass die beiden Hauptakteure, nämlich Russland und die USA, sehr penibel darauf bedacht sind, eben auf dieser dritten Konfliktebene zwar politisch-rhetorisch ihre Differenzen auszutragen, also das eher diplomatisch zu tun, aber kein Interesse daran haben, an einer unmittelbaren, direkten militärischen Konfrontation beider Seiten.

Der UN-Sicherheitrat - ein Totalausfall

Welty: Auf der anderen Seite erleben wir die Vereinten Nationen, deren Generalsekretär Guterres sich ja schon auffällig unauffällig verhält. Zementiert sich die UN gerade ein bis hin zur völligen Bedeutungslosigkeit?
Kaim: Ja, den Befund, fürchte ich, muss man leider so teilen, dass mit Blick auf den Syrien-Konflikt die Vereinten Nationen, also konkret der Sicherheitsrat bei Weitem nicht der Funktion nachkommen konnte, der Aufgabe, die er eigentlich hat. Nämlich, es gibt ja in der internationalen Politik nur ein Organ, was für die Sicherstellung des internationalen Friedens und der Sicherheit eben geschaffen worden ist, und das ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Und wenn man Revue passieren lässt, was in den letzten sechs Jahren im Sicherheitsrat passiert ist, dann ist es durchaus zutreffend, dass er aktiv gewesen ist, er hat Resolutionen verabschiedet zur humanitären Situation, er hat Resolutionen verabschiedet zu den politischen Eckpunkten einer Übergangsregelung in Syrien, aber in dem Bereich, der uns jetzt besonders umtreibt, das unmittelbare Krisenmanagement bis hin zum militärischen Engagement, also die Frage, wie kann das Morden, das Leiden, das Töten beendet werden, da ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen letztlich ein, wenn ich es etwas schärfer formuliere, Totalausfall. Wobei das nicht den Vereinten Nationen zum Vorwurf zu machen ist, sondern eben den Mitgliedsstaaten. Die sind dafür verantwortlich, für diese de facto Blockade des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.
Welty: Wie sehen Sie die deutsche Rolle in dieser zugespitzten Situation, die auch völkerrechtlich noch einige Fragen offenlässt?

Die Europäische Union: "Sehen wir im eigentliche Krisenmanagement faktisch nicht"

Kaim: Also, die deutsche Rolle kann man ja nicht abkoppeln von der europäischen Rolle. Und das, finde ich, ist glaube ich doch eher eine bedrückende Bilanz. Die Europäer und damit auch die Bundesregierung spielen eine Rolle, wenn es darum geht, die humanitäre Not zu lindern. Das ist ja in der vergangenen Woche noch einmal deutlich geworden bei der Brüsseler Geberkonferenz, fünf Millionen Syrer sind außerhalb des Landes, sechs bis sieben sind Binnenflüchtlinge, da ist eine prekäre humanitäre Situation und da ist die Europäische Union tätig. Und die Europäische Union plant für den Tag nach einem angenommenen oder gedachten Friedensschluss, nach einer Vereinbarung über eine politische Regelung, wenn es an den Wiederaufbau des Landes geht und grundsätzliche Dienstleistungen wiederhergestellt werden müssen, also Strom, Wasser, Bildung und anderes mehr. Aber der mittlere Teil, das eigentliche Krisenmanagement, da sehen wir die Europäische Union faktisch nicht. Und das merken wir auch, wenn es darum geht, wie Fortschritte in Genf erreicht werden sollen bei den entsprechenden Verhandlungen, da sind dann doch diejenigen im Fahrersitz, die auch militärische Kräfte vor Ort haben, nämlich vor allen Dingen die USA und Russland.
Welty: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen lehnt einen Einsatz der Bundeswehr im Hinblick auf Syrien ab. Wenn es denn hart auf hart kommt, wird Deutschland wirklich Nein sagen können?

Militärischer Einsatz Deutschlands: "Eine Frage, die sich im Moment wirklich nicht stellt"

Kaim: Also, im Moment sind die Rahmenbedingungen noch gar nicht dafür hergestellt. Deutsche Auslandseinsätze, also militärische Auslandseinsätze vollziehen sich immer unter zwei Rahmenbedingungen: Erstens, es müsste ein Mandat der Vereinten Nationen geben, und zum Zweiten, es müsste einen multilateralen Handlungsrahmen geben. Also konkret entweder die Europäische Union oder die NATO oder die Vereinten Nationen. Zum Ersten habe ich was gesagt, es sieht überhaupt nicht nach einer Mandatierung des Sicherheitsrates aus, und zum Zweiten sehe ich im Moment überhaupt nicht die Bereitschaft bei einer dieser drei Organisationen, und am allerwenigsten bei der NATO und bei der Europäischen Union, in Syrien militärisch tätig zu sein. Von daher kann sich die Bundesregierung, glaube ich, vergleichsweise entspannt zurücklehnen. Das ist eine Frage, die sich im Moment wirklich nicht stellt.
Welty: Einschätzungen von Markus Kaim, Sicherheitsexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Haben Sie herzlichen Dank für dieses "Studio 9"-Gespräch!
Kaim: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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