Nach dem Anschlag in Berlin

Angst führt selten zu den richtigen Antworten

Polizisten stehen nach dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz Wache.
Polizisten stehen nach dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz Wache. © pa/dpa/von Jutrczenka
Von Hans Dieter Heimendahl · 24.12.2016
Die Welt wird immer komplexer, das befördert Unsicherheit und Ängste - zusätzlich befeuert durch schreckliche Ereignisse wie den Anschlag in Berlin. Doch einfache Lösungen wird es nie wieder geben, meint Hans Dieter Heimendahl.
Nun ist der Terror endgültig bei uns angekommen. Mitten in unseren Städten. Wir haben es gewusst, dass es wohl nur eine Frage der Zeit sein würde, bis es so weit so weit käme. Aber es macht doch einen Unterschied, wenn ein Anschlag genau dort verübt wird, wo wir unseren Alltag verbringen, wo wir leben. Es macht Angst, in einem neuen, unmittelbaren Sinne Angst. Das ist natürlich genau das, was die Terroristen wollen. Sie haben Erfolg. Viele Menschen bei uns haben Angst, ihr vielleicht schon vorher vorhandener Argwohn gegenüber dem Islam wächst, ihr vielleicht schon vorher vorhandenes Misstrauen gegenüber Flüchtlingen wächst, ihre Empörung, dass scheinbar keiner ihren Ängsten Rechnung trägt, wächst.
Diese Ängste kann man als Gefühl nachvollziehen, aber als politisches Argument taugen sie nicht. Wer anfängt, darüber nachzudenken, kann an den kurzschlussartigen Antwortreaktionen nicht lange festhalten. Natürlich ist der Islam nicht die Ursache des Terrorismus. Angesichts der vielen Millionen friedlichen Moslems in Deutschland und in der Welt ist die Verunglimpfung von Moslems als potenzielle Terroristen genauso plausibel wie die von allen Deutschen als Nazis. Nein, es ist eine kleine Gruppe von gewaltbereiten, vorwiegend jungen Leuten, die eine Auseinandersetzung, die wahrscheinlich im Kern ein Kampf einer jungen Generation gegen alte Machthaber in der arabischen Welt ist, weltanschaulich auflädt mit einer Vision eines verzweifelt frommen Islam, der im Kampf gegen die amoralische westliche Coca-Cola-Gesellschaft steht.

Gute Gründe für die Verunsicherung

Und wir wissen auch, dass nicht jeder Flüchtling ein potenzieller Terrorist ist. Zwar nutzen gewaltbereite Terroristen Möglichkeiten, sich unter dem Schutz eines Flüchtlingsstatus einzuschleichen, aber wenn es diese Möglichkeit nicht gäbe, würden sie eine andere wählen. Die Terroristen in Frankreich und in Belgien waren zum größten Teil EU-Staatsbürger. Wir wissen das, aber wir projizieren doch auf die Fremden, dass sie für unsere Probleme verantwortlich seien. Warum tun wir das? Weil wir verunsichert sind.
Und dafür gibt es gute Gründe. Unsere Gegenwart ist in einem rasanten Wandel begriffen. Globalisierung, Freizügigkeit und internationale Vernetzung, Individualisierung, die Digitalisierung der Arbeitswelt und das Verschwinden vertrauter lokaler Strukturen stellen extreme Anforderungen an unser Abstraktionsvermögen. Wir wissen eigentlich, dass in unserem Rechtsstaat polizeiliche Ermittlungen klaren Regeln unterliegen, die das Abhören von Telefonaten, die Überwachung von Menschen und die Inhaftierung oder Verurteilung von Straftätern an harte Bedingungen knüpfen und wir sind stolz auf diese Bedingungen, weil sie auch unsere individuelle Freiheit schützen und verbürgen, aber wir hadern damit, dass in einem Fall wie der Fahndung nach Anis Amri unsere Polizei nicht schnell den Verdächtigen überführt.
Die Frage, ob die Polizei zu lange in die falsche Richtung ermittelt oder das Material zu spät ausgewertet hat, muss genauso gestellt werden wie auch die, ob unsere Verfahrensregeln bei der Abschiebung adäquat sind. Aber an der großen Schwierigkeit, in einer Stadt wie Berlin einen Verdächtigen zu fassen, und an der Zeit, die es dafür braucht, können wir nur in Maßen etwas ändern.

Notwendigkeit einer großen Verstehensleistung

Die Komplexität unserer Lebensverhältnisse ist nicht rückholbar und wir sehen uns Mal um Mal mit der Notwendigkeit einer großen Verstehensleistung und großer Geduld konfrontiert. Das fordert unsere moderne Welt von uns, deren Möglichkeiten und Wohlstand wir ja sehr schätzen und kaum jemand ernsthaft eintauschen will. Wir müssen uns dieser Realität stellen und mit ihr umgehen lernen. Die Sehnsucht nach einfachen Lösungen ist zwar nachvollziehbar, aber am Ende nichts anderes als Zukunftsverweigerung.
Angst kann zu den richtigen Fragen führen, aber selten zu den richtigen Antworten. Die Herausforderungen sind komplex und fordern adäquate komplexe Maßnahmenbündel. Wie organisieren wir Freizügigkeit und gewährleisten doch Sicherheit, wie schützen wir die Privatsphäre und identifizieren doch die Straftäter, wie bieten wir Flüchtenden Schutz, ohne Angst vor ihnen zu haben, und wie werden aus Fremden Mitbürger? Darauf müssen wir Antworten finden.
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