Nach Brandstiftung in Jamel

Politik und Zivilgesellschaft schauen bei Neonazis weg

Polizisten stehen am 30.08.2014 am Rande des Rockfestivals "Jamel rockt den Förster" in Jamel von einem von rechtsradikalen Dorfbewohnern bemalten Haus.
Wenn es in Jamel Aktionen gegen Rechts gibt, wie beim jährlichen Rockfestival für Toleranz, müssen Polizisten anrücken, um für die Sicherheit der Teilnehmer zu sorgen. © picture alliance / dpa / Jens Büttner
Andrea Röpke im Gespräch mit Marianne Allweis und André Hatting · 14.08.2015
Es gebe erschreckend wenig Widerstand gegen Rechts, klagt die Journalistin Andrea Röpke. Mit welcher Selbstverständlichkeit sich die Neonazis in ländlichen Regionen Mecklenburg-Vorpommerns ausbreiteten, sei frustrierend.
Nach dem Brandanschlag in Jamel kritisierte die Journalistin Andrea Röpke im Deutschlandradio Kultur die Gleichgültigkeit gegenüber neonazistischen Aktivitäten in Mecklenburg Vorpommern. Es sei schon lange überfällig, dass Polizei und Politik sich mit Jamel als "nationales Zentrum" stärker beschäftigten, sagte Röpke, die zu den profiliertesten Rechtsextremismus-Experten in Deutschland zählt.
Sie zeigte Verständnis dafür, dass die Polizei nach dem Brand in einer Scheune von Nazi-Gegnern zunächst ermitteln müssten. Allerdings habe ein Zeuge jemanden weglaufen sehen, was ein Indiz für Brandstiftung sein könnte, sagte die Fachjournalistin, deren Buch "Gefährlich verankert" kürzlich erschienen ist. Mittlerweile ist auch ein Brandbeschleuniger gefunden worden, deshalb geht die Staatsanwaltschaft von einem vorsätzlich gelegten Brand aus.
NS-Gedankengut über drei Generationen in Jamel
"Jamel ist natürlich vielleicht das extremste Beispiel in Deutschland", sagte die Journalistin. Aber die Ortschaft sei leider in Mecklenburg Vorpommern nur eine dieser "Heimatbasen" der Neonazi-Szene. "Aber Jamel ist tatsächlich ein Dorf, in dem schon über drei Generationen das NS-Gedankengut ausgelebt wird und selbst die Kinder involviert werden." Dort werde die Sonnenwende gefeiert, es würden NS-Lieder gesungen und man fühle sich dort als Neonazi wohl. Im Juni habe zum elften Mal das "Nationale Kinderfest" in Jamel stattgefunden. "Es gab null Widerstand."
Die brennende Scheune in Jamel in der Nacht zum Donnerstag (13.08.2015).
Der Brand einer Scheune in Jamel in der Nacht zum Donnerstag hat den Ort wieder in die öffentliche Debatte gerückt.© dpa / picture-alliance / Michael KappelerHorst Lohmeyer
Zwei Drittel der Dorfbevölkerung gehörten inzwischen zu den Neonazis. "Man zeigt dort ganz klar, dass man Dominanz ausübt", sagte Röpke. Das Künstlerpaar Lohmeyer sei wegen ihres Engagements gegen Rechts für diese Kreise ein echtes Feindbild.
Es gibt kaum Protest
Die Neonazis hätten sich in Mecklenburg-Vorpommern in ländlichen Regionen niedergelassen. "Dort sind die Immobilien günstiger", sagte Röpke. Aber auch in der Stadt Grevesmühlen fänden ständig Veranstaltungen statt. "Es gibt kaum Protest", sagte die Journalistin. "Wie in Jamel scheint die Gesellschaft das dort einfach hinzunehmen, schon resigniert zu haben." Politik und Zivilgesellschaft schauten da bereits erstaunlich lange weg.
Scheinbar "nette Nachbarn von nebenan"
Viele Neonazis kämen aus der Gegend und erschienen zunächst unauffällig und wie die vermeintlich "netten Nachbarn von nebenan". Zum Vorgehen gehöre, dass sie andere Nazi- Kameraden und deren Familien nachholten. Es gebe deshalb in Mecklenburg-Vorpommern, aber auch in Niedersachsen und Brandenburg immer häufiger Ansiedlungen von Neonazis, die häufig Handwerksberufe ausübten, Lehrer oder Landwirte seien. "Sie können sich nach und nach etablieren." Oft fielen sie erst auf, wenn sie für die NPD kandidierten.

Andrea Röpke, "Gefährlich verankert – Rechtsextreme Graswurzelarbeit, Strategien und neue Netzwerke in Mecklenburg-Vorpommern", Bestellung bei der SPD-Landtagsfraktion möglich

Mehr zum Thema