Nabucco im Westjordanland

Von Ulrike Gondorf · 09.11.2007
Es ist die Geschichte des unterdrückten Volkes Israel, die Guiseppe Verdi in der Oper "Nabucco" musikalisch umgesetzt hat. In derDuisburger Inszenierung des US-Regisseurs Christopher Alden wird das Geschehen ins Heute übertragen und verkehrt sich somit ins Gegenteil: Aus dem gefangenen Volk Israel wird eine Besatzungsmacht im Westjordanland.
Als Giuseppe Verdi als 29-Jähriger mit seinem "Nabucco" berühmt wurde, da hatte ihn nicht nur die melodische Fülle und dramatische Kraft seiner Musik nach oben katapultiert. Die Nabucco-Begeisterung 1842 war politisch motiviert. Verdi, Patriot und Republikaner, hatte ein Fanal gesetzt gegen die habsburgische Vorherrschaft in seinem territorial zersplitterten Heimatland Italien - und war verstanden worden. Sein Chor der Gefangenen wurde eine heimliche Nationalhymne.

Die Geschichte des unterdrückten Volkes Israel, die die Oper auf der Grundlage biblischer Überlieferung erzählt, war von vornherein ein Spiegel für tagesaktuelle Anliegen. Und so ist die Aufführungsgeschichte des "Nabucco" denn auch in besonderem Maße geprägt von aktualisierenden, politischen Interpretationen.

In diese Richtung geht auch der Regisseur Christopher Alden an der Deutschen Oper am Rhein. Er führt uns in ein Niemandsland, auf eine verbarrikadierte Straße, von hohen Laternen kalt und grell erleuchtet. Auf einem riesigen Bagger rückt Nabucco gegen diesen Zaun und die ängstlich dahinter zusammengedrängten Menschen vor. Die Bilder und Pläne der Siedlungshäuser, die jenseits der Grenze errichtet werden sollen, sind am Bühnenportal zu besichtigen.

Spätestens jetzt wird die unbestimmte Assoziation von Kriegsgebiet und Flüchtlingslager, die Alden erzeugt, konkret und natürlich höchst brisant. Aus dem gefangenen Volk Israel der Oper ist eine Besatzungsmacht im Westjordanland geworden. Und Gewalt erzeugt Gewalt, die Eingeschlossenen nehmen Geiseln und bauen Bomben.

Dann aber denkt der Regisseur seine These nicht zu Ende. Die Inszenierung verfranst und verheddert sich in zunehmend unklaren Bildern, begnügt sich dann im zweiten Teil weitgehend mit dem Vater-Tochter- Konflikt, der den wahnsinnig - und hellsichtig - gewordenen Nabucco zwischen der machtgierigen Abigaille und der idealistischen Fenena zeigt.

Aldens Regie hat auch große Defizite: in der konventionellen, aber nicht einmal geschickten Führung der Chöre, in den Abstürzen ins unfreiwillig Komische. Da entlarvt sich der monströse Bagger natürlich ganz schnell als ein Ungetüm aus Theaterpappe, das bloß im Weg herum steht. Und wenn Nabuccos Bauhelm von Abigaille als Krone usurpiert wird, darf man sich auch nicht wundern, wenn sich Heiterkeit breit macht im Saal.

Musikalisch steht der Abend auf festerem Boden. Das fast 90-köpfige Ensemble aus Chor und Extra-Chor meistert seine Hauptrolle sicher, die Duisburger Philharmoniker unter der Leitung von John Fiore bieten nervigen, vitalen Verdiklang. Fiores ungeniert musikantischer Zugriff trifft sich gut mit dem Ungestüm des jungen Verdi. Als Abigaille gibt Therese Waldner ihr Rollendebut, ein wenig vorsichtig vielleicht. Noch ist nicht jeder Ton wie geschliffener Stahl, manch einer sitzt auch nicht ganz sicher, aber angesichts der extremen Anforderungen dieser Partie ist ihre Leistung durchaus beeindruckend.

Jederzeit souverän auf der Höhe der Rolle ist Boris Statsenko als Nabucco. Im Anfang eher kantig und wuchtig, aber in der Krise der inneren Verwandlung der Figur gewinnt die Stimme bezwingend an Flexibilität, Leuchtkraft und Farbenreichtum. Die Sänger wurden vom Duisburger Publikum bejubelt, das Regiekonzept fand keine Zustimmung.