Mythos Riefenstahl

Von Thomas Senne · 15.10.2005
In den vergangenen Jahren ist viel über die Rolle Leni Riefenstahls im Dritten Reich diskutiert und gestritten worden. Sie selbst verleugnete stets die engen Beziehungen zu den Spitzen der NS-Führung. Nun zeigt die Ausstellung "Leni Riefenstahl: Fotografie - Film - Dokumentation" in Nürnberg nicht nur ihr künstlerisches Schaffen, sondern belegt auch ihren engen Kontakt zur Nazi-Elite.
Eine Frau mit vielen Gesichtern: Gleich zu Beginn der Ausstellung blickt sie die Besucher von mehreren nebeneinander an einer Wand aufgereihten Starpostkarten an, mal lausbübisch verspielt, mal verwegen, mal dominant überlegen. Leni Riefenstahl, die auch als Tänzerin und Schauspielerin in Bergfilmen reüssierte, ist sich dabei aber immer ihrer Wirkung bewusst und darauf bedacht, ihr glänzendes Image zu pflegen. Diese Idealisierung lässt sich allerdings nach dem Besuch der Schau nicht mehr aufrechterhalten. Denn erstmals seit dem Tod der Künstlerin wird ein ungeschminktes Bild dieser schillernden Persönlichkeit gezeichnet.
"Der Deal war ganz einfach: Sie kam nur, wenn die Ausstellung keine kritischen Untertöne hatte. Kritische Untertöne heißt: Sachen nicht dokumentiert hat, die sie in diesen gesamten letzten Jahrzehnten ausgeblendet hat."
Zum Beispiel ihre Teilnahme am Polenfeldzug 1939, sagt Ausstellungsleiterin Ina Brockmann, bei dem der "Sonderfilmtrupp Riefenstahl" Hitler als ruhmreichen Feldherrn glorifizieren und den Weg zum Endsieg auf Zelluloid festhalten sollte. Dabei wird die "Reichsfilmregisseurin" Zeugin eines Massakers durch deutsche Soldaten, dem über 20 jüdische Bürger zum Opfer fallen. Historische Schwarz-Weiß-Fotos von Wehrmachtsangehörigen zeigen in der Präsentation die Erschossenen und eine sichtlich verstörte Riefenstahl. Die protestierte zwar anschließend über das sinnlose Gemetzel, verschwieg aber später, warum sie sich überhaupt in Polen aufgehalten hatte: Geschichtsklitterung als probates Mittel zur eigenen Glorifizierung.
"Wir erfinden Leni Riefenstahl nicht neu, sondern betten sie nur in den richtigen historischen Kontext ein. Das heißt: Wie war ihre tatsächliche Funktion und Einbettung in die Propagandamaschinerie des Herrn Dr. Goebbels. Sprich: Sie wurde von ihm unterstützt, finanziert und gefördert. Wer finanzierte überhaupt ihre Filme? Sie selbst sagte immer und schreibt es auch in ihrer Biographie, sie sei immer nur eine unabhängige Künstlerin gewesen. Wir stellen es einfach anders in den Raum und dagegen: Sie wurde finanziert mit ihren Firmen von der Partei, vom Propagandaministerium und von Hitler selbst. "
Zu ihm unterhielt sie – wie jetzt Dokumente in Nürnberg beweisen - ein überaus herzliches Verhältnis. In Lobeshymnen dankt sie ihm in einem Telegramm überschwänglich für Grußworte oder lädt ihn zusammen mit Reichspropagandaminister Goebbels in ihre Berliner Villa ein. Freundschaftliche Kontakte hat sie auch zu anderen NS-Bonzen, wie etwa Julius Streicher, dessen antisemitische Tiraden sie nicht weiter zu stören scheinen.
Insgesamt drei heroisierende Filme drehte Leni Riefenstahl über die NS-Reichsparteitage in Nürnberg, Streifen, die so heroische Titel wie "Triumph des Willens" tragen und nur einen Katzensprung von der jetzigen Ausstellungsstätte entfernt entstanden. Filmplakate, aber auch Fotos von den Dreharbeiten sind jetzt im Dokumentationszentrum zu sehen. Aufnahmen, die Riefenstahl zeigen, wie sie beispielsweise in blütenweißem Kostüm auf dem Reichsparteitagsgelände an einer 40 Meter hohen Fahnenstange in einem Fahrstuhl steht.
In einem anderen Kabinett der durch weiße Trennwände unterteilten Präsentation wird auch die Entstehung der beiden Riefenstahl-Filme über die Olympiade 1936 dokumentiert. Dabei räumen die Ausstellungsmacher auch mit dem Vorurteil auf, Leni Riefenstahl habe die Fotos von den Wettkämpfen selber gemacht. Obwohl in einschlägigen Publikationen die Namen der eigentlichen Fotografen im Impressum genannt wurden, Namen wie Walter Frentz etwa, signierte die Regisseurin ohne Bedenken entsprechende Olympiabilder und Bücher.
Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches hörte Riefenstahl mit dem Filmen auf, nachdem sie zuvor skrupellos in Lagern Internierte für ihren Spielfilm "Tiefland" ungefragt eingesetzt hatte. Erst dann begann ihre Karriere als Fotografin. In den 60er Jahren fing sie mit der Linse blutige Tanzrituale von exotisch ausstaffierten Mitgliedern des Nuba-Volkes im Sudan ein. Folkloristisch wirkende Bilder, die um die Welt gingen und die NS-Komplizenschaft Riefenstahls in Vergessenheit geraten ließen, vor allem in der englischsprachigen Welt.
"Ein Engländer oder ein Amerikaner kann viel unbeteiligter damit umgehen und kann es sich viel einfacher machen. Vielleicht auch aus mangelndem Wissen, was ich vielem unterstelle, die sie in den Himmel heben und die moralischen Dimensionen einfach ausblenden, weil sie nicht in dieser Geschichte beteiligt sind oder involviert sind aufgrund ihrer nationalen Zugehörigkeit. Ihre Hauptfans kommen in der Tat aus Amerika und aus England. "
Kein Wunder also, wenn in der Nürnberger Schau Popidol Mick Jagger auf großformatigen Farbaufnahmen Riefenstahls im gelben Anzug auftaucht und sich mit seiner damaligen Frau Bianca divenhaft in Szene setzt. Dass allerdings über die faszinierende Bildersprache Riefenstahls nicht vergessen wird, dass diese ambivalente Künstlerin einst das Aushängeschild der Nazi-Diktatur war, dafür sorgen in der gelungenen Ausstellung etliche kritische Textdokumente und nicht zuletzt die unverputzt gelassenen Backsteinwände, die in der ehemaligen NS-Kongresshalle eine unliebsame Glorifizierung der Opportunistin von vornherein verhindern. Denn viel zu lange hatte der Mythos Riefenstahl eine objektivere Bewertung ihres Oeuvres verdeckt.
Service:
Die Ausstellung "Leni Riefenstahl: Fotografie – Film – Dokumentation" ist vom 15. Oktober bis zum 28. Februar im Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, in der ehemaligen NS-Kongresshalle, zu sehen. Weitere Infos unter: www.museen.nuernberg.de