Myanmar

"Sich der neuen Freiheit bewusst werden"

Ein Junge verkauft Melonen auf einem Markt in Bagan, Myanmar.
Die Gegensätze in der Verteilung des Wohlstands des Landes sind extrem, sagt Augustin. © picture-alliance / dpa / Sebastian Kahnert
Franz Xaver Augustin im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 10.02.2014
Myanmar ist nach 50 Jahren Diktatur auf einem guten Weg in eine offenere Gesellschaft, sagt Franz Xaver Augustin. Das Angebot des Goethe-Instituts in den Sparten Kultur, Bildung und Kunst könne viel zur Entwicklung beitragen, so der neue Leiter kurz vor der Eröffnung.
Liane von Billerbeck: 50 Jahre Militärdiktatur, die werfen einen langen Schatten auf ein Land, auch wenn es sich inzwischen geöffnet hat. Myanmar, das frühere Birma, das im Ausland vor allem mit dem Gesicht von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi verbunden wird, einer Ikone der Freiheit. Bundespräsident Joachim Gauck wird sie heute treffen und er wird – und darum soll es jetzt bei uns gehen – auch ein neues Goethe-Institut in der Hauptstadt Yangon eröffnen. Es ist das 159. und es wird geleitet von Franz Xaver Augustin. Mit dem habe ich vor unserer Sendung über Skype gesprochen und die Aufzeichnung dieses Interviews war überaus kompliziert, denn das Telefonnetz in Myanmar ist wackelig, aber auch via Skype mussten wir mehrere Male ansetzen, um weiter miteinander reden zu können. Da lag es nahe, dass ich den neuen Goethe-Chef Franz Xaver Augustin zuerst gefragt habe, wie denn die Arbeitsbedingungen für ihn und seine Kollegen bei Goethe derzeit sind.
Franz Xaver Augustin: Im Moment ist alles noch sehr, sehr schwierig. Ich bin jetzt seit fünf Wochen offiziell hier. Insgesamt ist die Infrastruktur des Landes immer noch sehr, sehr mau. Da hat sich in den letzten drei, vier Jahren einiges getan. Als ich die ersten male hier war, habe ich immer gesagt, ich fahre jetzt wieder ins Loch. Und war dann vier Tage, fünf Tage, solange ich hier war, verschwunden, denn man konnte tatsächlich weder telefonieren, noch über Internet kommunizieren. Mittlerweile hat sich das erheblich gebessert, aber gut ist es immer noch nicht, wie man gerade merkt.
von Billerbeck: An dieser Verbindung ja auch.
Augustin: An dieser Verbindung. – Das wird sich aber insgesamt bessern, wie man überhaupt sagen möchte, dass das Land auf einem guten Weg ist und wahrscheinlich auch in eine bessere Zukunft blickt.
von Billerbeck: Herr Augustin, nun arbeiten Sie ja mit dem Goethe-Institut in einem Land, das 50 Jahre unter einer Militärdiktatur leiden musste. Das muss erst wieder lernen, wie es ist, frei zu leben. Wie erleben Sie denn diesen Prozess von einer Angstgesellschaft zu einem freien Land?
Augustin: Vielleicht muss man noch dazu sagen, wieder ist wahrscheinlich nicht richtig. Myanmar hat noch wenig Phasen erlebt, wo es eine Demokratie war oder wo eine offene Gesellschaft geherrscht hätte. Das ist ein asiatisches Land, das lange Zeit unter der Kolonialherrschaft der Briten stand. Dann gab es nach der Unabhängigkeit so einen ersten Versuch einer Demokratie. Das hat aber auch nicht so richtig funktioniert. Und dann kam gleich 1962 die Militärdiktatur, die dann eben 50 Jahre gedauert hat. Ich glaube, die müssen insgesamt, die Menschen hier, sich dieser neuen Freiheit bewusst werden, sie nutzen. Dazu gehört natürlich auch, dass die unendlichen Gegensätze in der Verteilung des Wohlstands, dass die ein bisschen gebessert werden. Wir haben auf der einen Seite eine riesige Masse von armen Menschen. Und in den letzten 20 Jahren, wo dann nicht mehr Sozialismus praktiziert wurde, sondern so ein Crowny-Kapitalismus, also so eine Vetternwirtschaft, da gab es dann eine kleine Gruppe, die sehr, sehr reich geworden ist. Das ist eine der großen Herausforderungen dieses Landes.
von Billerbeck: Nun steht ja in so einem Prozess immer die Politik sehr im Vordergrund. Aber welche Rolle kann die Kultur dabei spielen, denn das Goethe-Institut liefert ja viel in diesem Bereich?
Bildung und Information sind entscheidend
Augustin: Ich spreche natürlich für mein eigenes Metier. Ich glaube sehr wohl, dass die Kultur, die Bildung vor allen Dingen einiges liefern muss. Die bisherige Abgeschiedenheit, die bisherige Isolation des Landes hat dazu geführt, dass die meisten Menschen eigentlich keine Vorstellung von dem haben, was draußen passiert ist. Was die Standards sind, was sich entwickelt hat in den letzten Jahrzehnten. Und da ist Bildung, ist Information über das, was in der Welt passiert, ganz, ganz entscheidend.
Das Zweite ist, dass wir jungen Menschen die Chance bieten, sich auf ein Studium in Deutschland vorzubereiten, sprachlich und auch landeskundlich. Das ist sicher auch eine große Aufgabe. Und die dritte große Aufgabe sehe ich im Kulturbereich auch wiederum in der Qualifikation von Kulturberufen. Sei es im Bereich des Films, des Dokumentarfilms - da haben wir jetzt in letzter Zeit einiges gemacht. Sei es im Bereich der Musik, der künstlerischen Auseinandersetzung in der bildenden Kunst. Das sind alles Sparten und Genres, in denen Selbstbewusstsein entsteht.
von Billerbeck: Das klingt alles so, als ob sich die Lage schon sehr entspannt hat. Wenn Sie da sprechen, dass Sie Dokumentarfilm-Veranstaltungen machen, dass Sie Künstlern helfen, berufliche Qualifikation und sprachliche Qualifikation zu bekommen. Ich will noch mal auf ein Stichwort eingehen, nämlich das Stichwort Information. Sie haben gesagt, Informationen aus der Welt sind hier auch wichtig, aber wahrscheinlich auch aus Myanmar selbst. Das ist ja ein multiethnisches Land und wir hören immer wieder von großen Spannungen, von gewaltsamen Übergriffen, das Auswärtige Amt warnt vor bestimmten Gegenden, wo Rebellen-Armeen operieren. Und wir haben gehört, dass investigative Journalisten dann auch eingesperrt werden, wenn sie da Enthüllungen verbreiten. Im Gegensatz dazu soll in ein paar Wochen ein großer Journalisten-Kongress in Myanmar stattfinden. Wie erleben Sie diesen Zwiespalt? Das ist ja so eine Spannung zwischen Hoffnung und Enttäuschung.
Heikle Thematik der Minderheiten
Augustin: Das ist richtig. Das ganze Thema der Minderheiten, die praktisch am Rand dieses Beckens, des Ayeyarwady-Tales oder der Ayeyawardy-Ebene leben. In der Mitte des Landes leben die sogenannten Bama, sozusagen die Mehrheitsbevölkerung. Und am Rand in den Hügeln und in den Bergen leben Minderheiten, die ganz andere Sprachen sprechen, die auch meistens kulturell ganz anders orientiert sind. Ganz im Norden gibt es eine große Gruppe von Christen. Die Shan sind eigentlich kulturell sehr viel näher den Thai verbunden. Diese Minderheitsthematik ist und bleibt ein ganz großes heikles Thema. Da ist auch nach wie vor die Regierung ausgesprochen empfindlich und wenn da Dinge enthüllt werden. Es wird weiterhin geschossen, es gibt im Kachin-Staat weiter eine Guerilla. Im Chin-Staat an der Grenze zu Indien und zu Bangladesch kann man zum Beispiel nicht durchreisen, weil da weiterhin Aufstände sind, weil da weiterhin separatistische Rebellen unterwegs sind. Das ist eine große Belastung für dieses Land, eine große Hypothek, und leider kommt man damit auch noch nicht so richtig zurecht. Das ist ein Tabu, an das man eigentlich nicht wirklich rühren darf.
Das andere ist jetzt dieser Konflikt mit den Muslimen, die ja im Grunde eine kleine Minderheit sind, die vor allem aus der Kolonialzeit nach Burma gekommen sind. Die werden verachtet, vor denen hat man aufgrund ihrer gewissen Tüchtigkeit, die sie gegenüber den umwohnenden Birmanen haben und zeigen, großen Respekt. Und es ist im Vergleich zu anderen Ländern in Südostasien – gerade in Thailand erleben wir jetzt auch wieder die Phase, da gibt es ja auch Tabus: König, Königshaus, da darf nicht drüber gesprochen werden. Wenn Sie selbst Singapur, das hoch effiziente Singapur anschauen: Große wirkliche Meinungsfreiheit gibt es da auch nicht, da darf auch nicht alles ausgesprochen werden. Am ehesten ist es in Indonesien gegeben. Das, würde ich sagen, ist das Land mit der größten Liberalität. Hier in Myanmar habe ich den grundsätzlichen Eindruck, dass die Regierung das will und die wollen auch durchaus eine größere Freiheit und eine große Freizügigkeit praktizieren. Aber es gibt halt Probleme, vor denen sie dann davor stehen wie der Ochs vorm Berg, und dann panisch reagieren, wenn zu herbe Kritik kommt. Das muss eingeübt werden.
Es gibt auch noch gar keine wirklich guten Journalisten oder ganz wenige Journalisten, die wirklich auf einem Niveau schreiben und reflektieren, wie wir das gewohnt sind und wie wir es erwarten würden. Es gibt eine ganze Reihe von Intellektuellen, gerade auch im journalistischen Bereich, die lange Zeit im Ausland gelebt haben, von dort natürlich auch gelernt haben. Die kommen jetzt zurück mit Engagement und möchten für ihr Land was tun und mit denen zusammen kann man hier eine ganze Reihe von Dingen tun. Ein Beispiel hatte ich vorhin schon angedeutet: Diese Dokumentarfilm-Ausbildung, die wir machen.
von Billerbeck: Das heißt, das sind Leute, die zurückkommen aus dem Ausland, die ihre Kenntnisse einbringen und sich in Myanmar engagieren?
Augustin: Ja. Das ist sicher das, was im Land am meisten fehlt. Die Entwicklungszusammenarbeit konzentriert sich meistens auf die wirtschaftlichen Zusammenhänge, aber ich glaube, dass es mindestens genauso wichtig ist, dass man im kulturellen, im geistigen, im Bildungsbereich hineininvestiert und von außen auch unterstützt. Es fällt uns immer schwer, als Kulturinstitut diesen Anspruch vorzutragen, aber das nur am Rande.
von Billerbeck: Nun wird ja Ihr Institut eigentlich nicht neu eröffnet, sondern wieder eröffnet. Das gab es ja bis 1962. Lässt sich da eigentlich noch an was anknüpfen und wie werden die Angebote in Myanmar angenommen werden? Wie groß ist das Interesse, was spüren Sie da?
Birma war wohlhabendstes Land der Region
Augustin: Zum einen: Das Anknüpfen an einem Institut, das 1962 geschlossen wurde, und zwar nicht von uns selbst, sondern von dem Regime, das ist natürlich viel zu weit weg. Im übrigen: Kurioserweise war das Institut in Rangun oder in Yangon das erste, was wir aufgemacht haben bereits 1959. Das war noch vor Bangkok und Jakarta und Manila. Das hing auch damit zusammen, dass Birma damals eines der reichsten und wohlhabendsten Länder der Region war. Es hatte das doppelte Pro-Kopf-Einkommen von Thailand und das dreifache von Indonesien und ist dann durch die Diktatur und diese 50 Jahre verpasster Chancen zurückgefallen auf den allerletzten Platz in der Asien-Kommunität.
Diese Tragödie, die sich da abgespielt hat, nicht nur politisch und ökonomisch, sondern eben auch kulturell, die spiegelt sich auch wieder in der Tatsache, dass wir keine Chance hatten, in dem Land zu arbeiten. Und der Versuch, jetzt sich zu liberalisieren, bedeutet auch, sich herauszubewegen aus dieser selbst verschuldeten oder selbst gewollten Isolation und wieder Anschluss zu finden an globalen Zusammenhängen. In dem größeren Kontext oder in diesem größeren Zusammenhang steht die Gründung des Goethe-Instituts, die wir am Dienstag mit Herrn Joachim Gauck vornehmen werden.
von Billerbeck: Franz Xaver Augustin war das. Er leitet das neue Goethe-Institut in Myanmar, Sie haben es gehört, das morgen eröffnet wird. Joachim Gauck ist dort und Klaus-Dieter Lehmann, der Präsident des Goethe-Instituts. Das Gespräch mit ihm haben wir vor unserer Sendung aufgezeichnet. Die Verbindung via Skype war manchmal etwas wackelig, wie Sie ja wohl gehört haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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