Mut zum Risiko im kurzen Format

Von Susanne Burg · 16.02.2010
Seit 1955 verleiht die Berlinale den Goldenen und Silbernen Bären für den besten Kurzfilm. Seit 2003 mit einer eigenen internationalen Jury und seit 2006 in einer eigenen Sektion. Die Sektion Berlinale Shorts zeigt um die 30 Filme, die um den Goldenen Bären konkurrieren. Das Programm präsentiert alle Facetten und Genres des kurzen Films und hat formal keine Einschränkungen.
Er hat das Rennen gemacht, und das zu Recht: "Incident by a Bank", der schwedische Beitrag von Ruben Östlund. In einer einzigen Einstellung stellt Östlund einen Banküberfall nach, den er selbst erlebt hat. Spektakulär ist das nicht - und das ist das Großartige. Die Kamera bleibt auf der Straße und fängt den Alltag ein, der dort weitergeht, in einer grandiosen Choreographie von Bewegungen. Einschneidende Erlebnisse im Leben kommen eben manchmal ganz profan daher, und deswegen fragen sich zwei Männer, die alles auf der Straße beobachtet haben, am Ende nur, ob die Qualität ihrer Handykamera auch gut genug ist.

25 Filme aus 15 Ländern haben am Wettbewerb teilgenommen. Während "Incident by a Bank" ganz ruhig erzählt ist, springen andere mit ihren Bildern durch die Gegend und experimentieren in Form und Bildsprache. Eines ist jedoch durchweg zu beobachten: Bei der digitalen Technologie geht es nicht mehr in erster Linie darum, billig Filme zu machen. Stattdessen wird fröhlich ausprobiert, was die Technik noch so alles hergibt, sagt Maike Mia Höhne, die Leiterin der Berlinale Shorts.

"Das heißt, ich kann spielen mit dem Material, ich kann übers Bild erzählen. Das Bild selber ist Erzählung, das ist in einigen Filmen der Fall, und das ist ganz großartig zu sehen, wie man das noch ausspielen kann."

Dass man auch mit 16 mm über das Bild erzählen kann, das zeigt der Dokumentarfilm "Geliebt" von Jan Soldat. Der 25-jährige Filmstudent sorgt mit seinem Werk für einige Irritation bei den Zuschauern.

"Puh, der muss erst mal sacken. Den habe ich noch nicht komplett verdaut."
"Nicht so mein Geschmack. Gut gemacht, der Film, aber es ist nicht mein Thema."
"Ich denke, es war auch mutig, ihn zu zeigen. Dieses Tabuthema öffentlich zu machen, bedarf schon einigen Mut."

"Geliebt" beginnt mit einer Nacktszene. Das Ungewöhnliche dabei: Der Sexpartner des nackten Mannes ist ein Hund.

Jan Soldat: "Die Szene war ja letztendlich entscheidend, damit man was sieht. Ich will ja auch immer Filme machen, damit man irgendwas aus dem Dunkel rausholt und das ist dann da."

Ein Filmemacher auf der Suche.

"Jetzt haben wir das Bild und viele werden sagen: ihh, eklig, warum zeigst du uns das? Aber letztendlich finde ich, ist die Auseinandersetzung besser, um auch zu einer Sicherheit zu gelangen. (....) Ohne das jetzt zu werten, aber man sieht, dass er auch mit Bedacht mit dem Hund umgeht und dass er total zärtlich ist und dass da kein Zwang ist und das ist wichtig, dass man das zeigt."

Trotz Intimszene bleibt die Kamera auf Distanz. Fast ein wenig verloren wirken die beiden Männer, wenn sie aufrecht auf ihrem grauen Sofa sitzen und von ihrer Beziehung zum Hund erzählen.

"Also bei mir ist 100 Prozent so, ich hab's mit Menschen versucht, ich konnte keine Beziehung aufbauen, irgendwann bin ich auf den ersten Hund gestoßen, so eine Verbundenheit wie zum Hund hatte ich vorher noch nie. Er ist treu, zeigt mir seine Liebe, belügt einen nicht, hintergeht einen nicht."

Die Kamera begleitet die beiden Männer, wie sie im Schnee mit den Hunden spielen, nach Hause kommen und sie füttern. Ganz unaufgeregt, in klaren Bildern und wenigen Einstellungen erzählt der Film von Liebe, Einsamkeit, schwierigen und erfüllenden Beziehungen und macht doch deutlich: Die Welt ist komplex, und deswegen kann man zwar genau beobachten, nicht aber urteilen. "Geliebt" sorgt damit für einigen Diskussionsstoff, ist aber auch einer der Filme, die stringent erzählen und gleichzeitig Fäden offen lassen.

"Die Erzählung ist zurück, also die Geschichte als solche"."

- sagt Maike Mia Höhne.

""Die Kurzgeschichte, die wir aus der Literatur kennen, hat einen großen Stellenwert dieses Jahr, das heißt, es werden Geschichten erzählt. Und die werden auch offen erzählt zum Ende hin. Aber man merkt sofort, es geht nicht darum, dass keine Entscheidung getroffen wurde von Regieseite: Oh, ich weiß nicht, wie's ausgehen soll, ich lasse es mal offen, sondern sehr wohl weiß man, das hat Sinn und Zweck und das spürt man und es ist ein Sicheinlassen auf eine Geschichte nach dem ganzen Zweifel: Kann ich überhaupt erzählen?"

Der schwedische Gewinner, Ruben Östlund, ist 35 Jahre alt und hat bereits zwei Spielfilme gedreht. So sehr er herausragt, so sehr passt er auch in den diesjährigen Berlinale-Jahrgang. Denn das Durchschnittsalter der Filmemacher liegt genau bei 35 Jahren und für viele sind Kurzfilme keine Fingerübung oder Eintrittskarte. Sie haben die Form bewusst gewählt und wissen, was sie tun. Und das hat sicher auch damit zu tun, dass sich in den letzten Jahren ein Markt für den Kurzfilm herausgebildet hat.