Muße statt Arbeit

14.07.2011
Der Historiker Peter Hersche führt in seinem Buch "Gelassenheit und Lebensfreude" in die Epoche des Barock ein. Er beschreibt, wie die Menschen Arbeit als notwendiges Übel betrachteten, sich ganz dem Hier und Jetzt hingaben - und kontrastiert damit unsere heutige Lebenseinstellung.
Das Lebensgefühl der Menschen im Barockzeitalter war geprägt von Genussstreben und Daseinsfreude. Trotz realer Not und drohender Katastrophen gaben sie sich dem Hier und Jetzt hin. Ohne Angst vor der Zukunft. Ein Blick zurück in die Zeit zwischen den Jahren 1650 und 1770 lohnt: In der momentanen Umbruchszeit kann die Auseinandersetzung mit untergegangenen Lebensformen und Gesellschaftsmodellen die Wahrnehmung schärfen.

"Barock ist eine Kultur der Muße", schreibt Peter Hersche. "Es wird, abgesehen von der Kunst, nur so viel gearbeitet, wie für die Befriedigung der unmittelbaren Lebensbedürfnisse des Individuums und die demonstrative Verschwendung der verschiedenen Gemeinschaften und Gruppen notwendig ist. Arbeit ist nicht Selbstzweck, sondern eher notwendiges Übel. Mußepräferenz ist ein Leitwert aller sozialen Schichten, nicht bloß der oberen." Welch ein Kontrast zur heutigen Lebenseinstellung!

Zeit ist Geld. Der Sinn dieses Aphorismus hätte sich dem Barockmenschen nicht erschlossen. Ebenso fremd wäre ihm der Glaube an immerwährendes Wachstum gewesen. In der landwirtschaftlich dominierten barocken Wirtschaft stand im Mittelpunkt ein Ertrag, der über die Jahre stetig fließt und das Überleben sichert. "Grundsätzlich glaubte man, der Kuchen der materiellen Güter sei gleich bleibend und lasse sich höchstens unterschiedlich verteilen." Natürlich gab es auch damals technische Neuerungen. Doch insgesamt stieg die Produktivität so langsam, dass die damit einhergehenden Veränderungen im Leben der Generationen kaum eine Rolle spielten.

Der Rahmen wirtschaftlicher Tätigkeit wurde vor allem von der Kirche vorgegeben. Sie diktierte nicht nur ethische Gebote, sondern auch Preise und Kreditbedingungen. Die Politik kümmerte sich wenig um ökonomische Belange. Anders als im heutigen Kapitalismus, wo wirtschaftliche Interessen die politische, soziale und kulturelle Sphäre dominieren, war die Barockwirtschaft eingebettet in das vorherrschende religiös-kulturelle Umfeld.

Dem Autor ist eine gut lesbare, kenntnisreiche Beschreibung einer Epoche gelungen, die in der aktuellen Diskussion kaum eine Rolle spielt. Man muss sich diese Zeit nicht zurückwünschen mit ihren Hungersnöten, ihrer Gottesfrömmigkeit und einer geringen Bildung. Und doch ist es ein Verdienst von Peter Hersche, Alternativen zur Ökonomisierung aller Lebensbereiche aus einem historischen Blickwinkel zu beleuchten.

Besprochen von Uli Müller

Peter Hersche: Gelassenheit und Lebensfreude. Was wir vom Barock lernen können.
Verlag Herder, Freiburg 2011
199 Seiten, 17,95 Euro