Muslime in Deutschland

Mehr Toleranz gegenüber dem verweigerten Handschlag

Farbfoto, Nahaufnahme, Handschlag zwischen Mann und Frau über einem Plan, Symbolfoto
Halten manche orthodoxen Muslime für nicht erlaubt: Handschlag zwischen Mann und Frau © IMAGO/Westend61
Von Florian Werner · 17.07.2016
Entspannter mit der Verweigerung des Handschlags durch Muslime umgehen - das empfiehlt Florian Werner. Weil tolerant sein auch erdulden heißt und weil es kaum weniger archaisch sei, jedem zur Begrüßung die geöffnete Pranke entgegenzustrecken.
Als muslimischer Mann wäre ich gerade hochgradig verwirrt. Wenn ich eine fremde Frau berühre, bekomme ich Ärger — klar. Wenn ich eine fremde Frau nicht berühre, bekomme ich aber ebenfalls Ärger – zumindest, wenn die eingeforderte Berührung ein Handschlag ist und ich diesen unter Verweis auf meine Religion verweigere. Ja, was denn nun? Gilt der Grundsatz des "Nein heißt Nein" nicht auch für muslimische Männer?
Die Fälle häufen sich, in denen orthodoxe Muslime Lehrerinnen, Politikerinnen oder anderen weiblichen Autoritätspersonen die Grußhand vorenthalten, da der Islam ihrer Auffassung zufolge den Körperkontakt zwischen Menschen unterschiedlichen Geschlechts untersagt. Zuletzt in Hamburg, wo ein Abiturient die angebotene Hand einer Lehrerin ignorierte. Und wenige Wochen zuvor in Berlin, wo die Schulleiterin einem Imam insgesamt viermal die gut-deutsche Grußgeste aufgedrängt haben soll, bis sie ihn schließlich hinauswarf - die Schule hat sich dafür diese Woche entschuldigt.

Geste der Missachtung oder Respektsbezeugung?

Der Vorwurf des Sexismus führt wohl nicht weit, da die Regel ebenso andersherum gilt: Strenggläubige Muslimas schütteln auch keine fremden Männerhände. Zudem handelt es sich, das beteuern zumindest die betroffenen Muslime, nicht um eine Geste der Missachtung, sondern des Respekts. Warum also führt die Nicht-Geste - das wörtliche Gegenteil eines "Übergriffs" - so zuverlässig zum Eklat?
Vermutlich, weil sie zentrale Fragen zu unserem Verständnis von Identität aufwirft: Verstehen wir sie als etwas Statisches, Unabänderliches - müssen Menschen, die hier leben, sich also an die "gesellschaftlichen Gegebenheiten" halten, wie die Sprecherin der Hamburger Grünen meinte? Entspricht der händische Gruß, wie die Berliner Schulleiterin insistierte, festen "deutschen Gebräuchen"? Oder verstehen wir Identität eher als etwas Fluides, Veränderliches, etwas im Werden Begriffenes - in den Worten des Philosophen Gunter Gebauer als einen "Aushandlungsprozess zwischen Aufnahmegesellschaft und Neuankömmlingen" -, an dessen Ende etwas Anderes, Neues stehen kann?
Vieles spricht dafür, dass gerade das Vokabular der Körpersprache erheblichen Aushandlungen und Wandlungen unterworfen ist: Die Grußgesten des deutschen Totalitarismus sind aus gutem Grund verboten. Der sozialistische Bruderkuss ist zwar erlaubt, aber nicht mehr en vogue. Dafür sind in den letzten Jahrzehnten neue Formen der Begrüßung wie die Ghetto-Faust, das Abklatschen mit High Five oder das Wangenküsschen dazugekommen. Warum nicht auch jene Geste, die der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland vorschlägt, wenn es zu Konfliktsituationen wie jenen in Hamburg und Berlin kommen sollte? "Die Hand aufs Herz legen. Das zeigt ebenfalls Ehrerbietung und Respekt."

Wechelseitig unsere Dummheiten verzeihen

Und was kann uns beim Zusammenleben helfen, bis diese Grußformel etabliert ist? Nun, nichts als Toleranz. Toleranz - das besagt schon die lateinische Wurzel tolerare, 'erdulden' - beschreibt die Fähigkeit, auch Dinge und Verhaltensweisen zu ertragen, die man für falsch hält: "Toleranz", so der Philosoph Rainer Forst, "müssen wir nur aufbringen, wo uns etwas stört." Zumindest gilt dies, solange durch das fragliche Verhalten keine Menschenrechte oder Grundnormen der Gerechtigkeit bedroht sind.
Das kann man von einem verweigerten Handschlag nun nicht gerade behaupten. Natürlich: Die Annahme, dass die flüchtige Berührung zwischen Lehrerinnen- und Schülerhand bereits der erste Schritt auf dem Pfad der Untugend ist, mag überkommen und weltfremd sein. Aber Hand aufs Herz: Die Vorstellung, dass man bei jeder Begrüßung dem Gegenüber die geöffnete Pranke entgegenrecken muss, um ihm zu zeigen, dass man keine Waffe darin hält, ist kaum minder archaisch - und mag so manchem Beobachter aus anderen Kulturkreisen reichlich albern erscheinen. "Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern", schrieb entsprechend Voltaire im Philosophischen Wörterbuch zum Stichwort "Toleranz". "Darum sei erstes Naturgesetz, daß wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen."
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