Muslimbruderschaft "ist weiterhin eine starke politische Kraft im Land"

Guido Steinberg im Gespräch mit Nana Brink · 09.07.2013
Trotz des Sturzes von Präsident Mursi wird die Muslimbrüderschaft weiter eine große Rolle in Ägypten spielen, glaubt Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Für Abgesänge sei es zu früh.
Nana Brink: Der Ramadan, der heute beginnt, ist der Fastenmonat im Islam. Gläubige Muslime dürfen dann nur nach Sonnenuntergang essen und trinken. Eine Fastenzeit gibt es auch im Christentum, es ist die Zeit vor Ostern. Es ist also ein traditioneller religiöser Brauch in vielen großen Religionen. Allerdings in unserem säkularen Staat in Deutschland, spielt er keine große Rolle. Ganz anders natürlich in vielen muslimisch geprägten Ländern, wo wir gerade, wie in Ägypten oder in der Türkei, die Auseinandersetzungen zwischen strenggläubigen Muslimen und solchen sehen, die der Religion keine so fundamentale Bedeutung beimessen wollen. Wir blicken dann irritiert auf diese blutigen Kämpfe, weil wir die Trennung von Staat und Kirche als etwas Elementares für unsere Demokratie empfinden. Also ist ja der Beginn des Ramadan kein schlechter Anlass, um über die Rolle des politischen Islam zu sprechen. Und genau das will ich jetzt tun, und zwar mit Guido Steinberg von der Forschungsgruppe Naher Osten der Stiftung Wissenschaft und Politik. Schönen guten Morgen, Herr Steinberg!

Guido Steinberg: Guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Wenn man auf die momentane Entwicklung in Ägypten blickt, könnte man ja meinen, der politische Islam, also in Gestalt der Muslimbruderschaft, hat verloren. Wie sehen Sie das?

Steinberg: Kurzfristig hat er natürlich verloren. Es war für die Muslimbruderschaft, für die Islamisten in der gesamten Region ein großer Erfolg, dass Islamisten im größten Land der arabischen Welt an die Macht gekommen sind, dass sie dort die Parlamentswahlen gewonnen haben, den Präsidenten gestellt haben. All das ist jetzt kurzfristig vorbei, aber es ist ja kaum vorstellbar, wie sich das politische System in Ägypten weiterentwickelt, wenn dort nicht die Muslimbrüder eine Rolle spielen. Insofern gehe ich davon aus, dass wir jetzt noch nicht mit Abgesängen starten sollen, wie das ja in den letzten Tagen schon so oft zu hören ist. Die Muslimbruderschaft wird da bleiben, sie ist weiterhin eine starke politische Kraft im Land und wird auch in jeder denkbaren Konstellation, und sei es in der Opposition, eine ganz wichtige Rolle spielen.

Brink: Suchen jetzt die Muslimbrüder vielleicht den Schulterschluss mit den Salafisten, die ja noch weitaus radikaler sind und die ja immerhin verhindert haben, dass so jemand wie El Baradei Präsident wird.

Steinberg: Also in Ägypten sieht es im Moment nicht danach aus. Und interessanterweise waren es die Salafisten in den letzten Monaten, die Mursi immer wieder aufgefordert haben, doch etwas politischer zu agieren, mit seinen Gegnern zu sprechen, nach Lösungen zu suchen, während Mursi und die Muslimbruderschaft sich immer darauf zurückgezogen haben, dass sie ja die Wahlen gewonnen hätten und eigentlich mit niemandem reden müssten. Also die Nur-Partei, die wichtigste Vertretung der Salafisten in Ägypten, hat sich da als politisch sehr, sehr viel reifer erwiesen. Es gibt da eine ideologische Nähe, aber es gibt überhaupt keinen Anlass zu glauben, dass das in Ägypten nicht auch zu längerfristigen Konflikten zwischen diesen beiden Strömungen insgesamt führen kann. Das wird sich erst erweisen, wie denn das Militär auch mit den Salafisten umgeht. Ich denke, wenn sie auf die Repression der Muslimbruderschaft setzen, werden sie gerade dann versuchen, die Salafisten für sich zu gewinnen, wie das ja auch schon Mubarak getan hat. Also, von einem engeren Zusammenwirken würde ich nicht notwendigerweise ausgehen.

Brink: Sie warnen auch davor, jetzt schon einen Abgesang auf den politischen Islam, zumindest in Gestalt jetzt meinetwegen auch der Salafisten und auch der Muslimbruderschaft zu setzen. Wenn wir jetzt den Blick ein bisschen weiten von Ägypten weg – im Iran sehen wir ja auch, dass dort, ich will mich vorsichtig ausdrücken, vielleicht nicht reformistische Kräfte, aber doch Kräfte im Gange sind, die nicht so radikal erscheinen. Gibt es da mehr Spielraum in der arabischen Welt?

Steinberg: Ich glaube ganz einfach, dass die Muslimbruderschaft dort gerade erst begonnen hat, eine Rolle zu spielen. Nach Jahrzehnten der Repression hat sie in mehreren Ländern Wahlen gewonnen oder hat zumindest dort eine starke Rolle gespielt. Und selbst wenn Ägypten jetzt zunächst einmal verloren ist, gilt das ja immer noch für andere Länder wie Tunesien, wie Libyen. In Syrien spielt die Muslimbruderschaft im Aufstand eine wichtige Rolle. Insofern sehe ich da noch keine Tendenz. Der Iran ist ohnehin ein Sonderfall, aber ich würde auch da nicht davon ausgehen, dass wir es mit einem Ende der islamischen Republik zu tun haben. Ruhani ist ein Pragmatiker, aber er ist ein Kind der islamischen Republik. Er ist also gerade einer dieser Islamisten, die einen islamischen Staat der eigenen Interpretation weiter fortbestehen lassen wollen. Ich denke, wir werden da in den nächsten Jahren noch sehr viel von diesen Leuten hören. Für die Salafisten gilt das ohnehin. Sie genießen die Unterstützung von anderen wichtigen Akteuren wie vor allem der Saudis, und die werden sich aus dem politischen Leben der gesamten Region auf ganz, ganz lange Zeit ebenfalls nicht verabschieden!

Brink: Also sind dann eher die Salafisten, sag ich jetzt mal, das Problem des politischen Islam?

Steinberg: Nein, es sind schon beide Strömungen innerhalb des politischen Islam, die für uns ein Problem darstellen. Allerdings ist das eben häufig in diesen – Transformationsstaaten nennen wir sie ja gerne – nicht so sehr der Islamismus dieser Gruppierungen als vielmehr ihr Autoritarismus. Die haben ja ein modernes politisches System, ein demokratisches politisches System nie kennengelernt. Und gerade die ägyptische Erfahrung zeigt, wie große Probleme dann eine solche Bewegung hat, wenn sie sich in einem zumindest teilweise demokratischen System bewähren muss. Es war ja bei Mursi nicht so sehr das Problem, dass er versucht hat, Ägypten zu islamisieren. Das hat Mubarak schon vor ihm begonnen. Sondern das Problem war, dass die Partei versucht hat, die Chance jetzt zu nutzen, Positionen im autoritären System zu kontrollieren und einen eigenen Autoritarismus aufzubauen. Und das halte ich für das größere Problem an diesen Organisationen. Und ähnliches gilt für die Salafisten, die allerdings etwas unpolitischer sind und tatsächlich weniger ernst zu nehmen als politische Akteure und ja auch einen viel kleineren Teil der Bevölkerung repräsentieren. Das politische Problem der nächsten Jahre werden wahrscheinlich zunächst einmal die Muslimbrüder sein. Die Salafisten sind demgegenüber dann doch eher eine Fußnote.

Brink: Und ist auch genau dieses Problem des Autokratismus, den Sie genannt haben, das Problem, was wir auch haben, die westliche Welt dann mit ihnen in irgendeiner Art und Weise zu – ja, ich will nicht sagen, kooperieren, aber zumindest in Verhandlungen zu treten?

Steinberg: Nein, ich sehe das tatsächlich insgesamt als Problem für diese Länder an. Wenn man sich die Reaktion des Westens anschaut, dann muss man doch befürchten, dass vor allem die Amerikaner mit Autoritarismus per se ja nicht das große Problem haben. Sie haben ja insgesamt doch zumindest nicht sehr negativ auf diesen Militärputsch reagiert. Das gilt auch für einige europäische Staaten. Die deutsche Reaktion, die war da eher, je nach Institution, gemischt. Und insofern muss man davon ausgehen, dass Autoritarismus für uns leider – leider – kein Problem darstellt.

Brink: Guido Steinberg von der Forschungsgruppe Naher Osten der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Steinberg, schönen Dank für das Gespräch!

Steinberg: Danke auch!

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