Muskeln spielen lassen

Von Franziska Rattei · 07.05.2013
Maus und Tastatur sind out - Spielenavigation mit dem ganzen Körper ist in. An der Universität Bremen haben Studenten eine Steuerung für das Strategie- und Rätselspiel "Portal 2" entwickelt, bei der sich die Spieler über Fernbedienungen etwa an ihren Schienbeinen durch die Aufgaben navigieren.
"Bei 'Portal 2' geht es darum, dass man aus der Ego-Perspektive durch eine Welt läuft und in dieser Welt muss man bestimmte Puzzles lösen. In dem Spiel selbst ist man sozusagen eine Versuchslaborratte, in der Gewalt eines allgegenwärtigen Computerwesens, was einen testen möchte, die Intelligenz des Spielers testen möchte und herausfinden möchte, ob man die Testkammer lösen kann oder daran scheitert und im Endeffekt stirbt."

Daniel Apken, Student für "Digitale Medien" an der Uni Bremen, steht vor einem Bildschirm. Dort ist ein grauer Raum zu sehen, an den Wänden Gitter und verschlossene Türen. Die Welt von "Portal 2" wirkt trostlos und kalt. Es gibt wenig Tageslicht und wenig Hoffnung. Der Spieler ist ein eingesperrtes Wesen, das aus einem Labor fliehen muss. Der einzige Weg in die Freiheit: die sogenannten "portals", Türen, die andere Ebenen eröffnen. Nur wer räumlich und strategisch denken kann, hat eine Chance.

Benjamin Walther-Franks: "Wie man's normalerweise spielt: Man sitzt auf dem Sofa und drückt ein paar Knöpfe auf seiner Tastatur, auf seiner Maus oder auf seinem Gamepad. Und wir haben eben ein Interface gebaut, wo man nahezu die Bewegungen, die die virtuelle Figur in dem Spiel macht, auch nachmachen muss oder vormachen muss, besser gesagt."

13 Studenten haben am Interface gearbeitet
Benjamin Walther-Franks, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Technologie-Zentrum Informatik und Informationstechnik. Ein Semester lang hat er die Projektgruppe "sPortal" betreut und mit 13 Studenten eine Computerspielsteuerung entwickelt, die Gamer vom Sofa weglocken soll und vollen Körpereinsatz fordert. Das Ergebnis: ein funktionierender Prototyp. Daniel Apken probiert ihn gerade aus.

Benjamin Walther-Franks: "Er tritt auf der Stelle, um sich vorwärts zu bewegen. Das ist schon mal das Wichtigste eigentlich. Um im Spiel zu springen, macht er genau das Gleiche: Er springt. Also wirklich, meine ich: er als Spieler. Nicht, indem er einen Knopf drückt, sondern indem er seine Beine von dem Boden hebt. Und jetzt gibt’s verschiedene Stellen in dem Spiel, wo er bestimmte Aktionen machen muss. Zum Beispiel diesen Quader hier aufheben. Das macht er, indem er auch eine ähnliche Bewegung macht. Er nimmt die Arme nach vorne, jetzt muss er bisschen manövrieren …"

Daniel Apken trägt drei Fernbedienungen am Körper, die seine Bewegungen mit der Computerspiel-Software verknüpfen. Die sogenannten "modes" haben die Studenten nicht selbst entwickelt, aber neu eingesetzt. Zwei von ihnen stecken in Schienbeinschonern an den Beinen, eine weitere hält Apken in seinen Händen. Sie ist in einem Plastik-Maschinengewehr verbaut. Mit der sogenannten "portal gun" zielt er ab und zu auf den Monitor und schießt Löcher in Wände und Gitter. Anschließend springt oder läuft er durch sie hindurch.

Ein Schritt auf dem Teppichboden, ein Schritt im Computerspiel
Damit die Bewegungen des Studenten auch im Spiel ankommen, interagiert das Signal der Fernbedienungen mit einem Bewegungssensor, dem sogenannten "Kinect", der über dem Monitor installiert ist. Die Studenten haben Geh-Algorithmen berechnet und programmiert. Die Fernbedienungen an Apkens Beinen liefern Beschleunigungsdaten, die der Bewegungssensor in Bewegungen im Computerspiel umwandelt. So wird jeder Schritt, den der Student auf dem Teppichboden macht, zu einem Schritt im Computerspiel.

Die Hardware, um so spielen zu können, kostet rund 200 Euro. Und viele Gamer besitzen sie ohnehin schon, sagt Daniel Apken. Trotzdem hat "sPortal" mehr zu bieten als die bekannten Bewegungs- und Fitnessspiele auf dem Markt.

Daniel Apken: "Unser Ziel war es, ein ganzheitliches Spiel zu nehmen, was man auch wirklich ohne diesen Sportaspekt spielen könnte; und daraus ein Sportspiel zu machen. Das heißt: Es ist ein Spiel, das man so spielen kann, aber wir spielen das mit dem Körper. Und das gibt’s bei der 'wii' so an sich nicht."

Für Spieler, denen das Laufen auf der Stelle nicht genügt, haben die Studenten um Walther Franks eine Geh-Hängekonstruktion gebaut. Ein Geschirr, wie es etwa Kletterer benutzen, hält den Gamer ein paar Zentimeter über dem Boden. Zwar bewegt er sich nicht vom Fleck, aber das Gefühl kommt dem echten Laufen sehr nah. Körperlich in die graue Strategie- und Rätsel-Welt von "Portal 2" eintauchen – darum ging es, sagt Projektleiter Benjamin Walther-Franks:

"Wir machen wirklich 'ne Art Virtual-Reality-Erfahrung. Das Ziel ist halt, möglichst in eine Welt sich reinzudenken, reinzukommen, reinzufühlen, indem man die steuert, mit möglichst ganzheitlichen Ganzkörperbewegungen und halt auch Bewegungen macht, die sich so auswirken wie die gleiche Bewegung in der echten Welt."

Trainingsparcours für ungeübte Spieler
Ungeübte Spieler brauchen eine Weile, um die eigenen Bewegungen mit denen auf dem Monitor verknüpfen zu können. Für solche Gamer haben die Studenten einen Trainingsparcours entwickelt. Danach, also nach circa einer halben Stunde, können sich die meisten gut durch die virtuelle Welt bewegen, sagt Benjamin Walther-Franks, der Projektleiter. Und dann wird es auch bald anstrengend, sagt er:

"Nach 20 Minuten war ich am Schwitzen, und ich bin jetzt nicht so unsportlich!"

Vor Beginn des Spiels kann man Größe und Gewicht eingeben. So kann der ungefähre Kalorienverbrauch berechnet werden. Außerdem legen die Benutzerdaten fest, wie anspruchsvoll das Spiel wird. Mit dem sogenannten "map editor" haben die Studenten beispielsweise programmiert, wie viele Laserstrahlen übersprungen werden müssen oder wie schnell und weit ein Spieler laufen muss.

Das Master-Projekt der Studenten für "Digitale Medien" ist inzwischen abgeschlossen. Es zeigt: Für ein neues Computerspiel braucht es nicht unbedingt neue Technik, wohl aber kreative Köpfe, die zum Beispiel Bewegungssensoren, Controller und ausgereifte Level-Editoren intelligent einsetzen und mit frischen Ideen, zum Beispiel einer Geh-Hängekonstruktion, kombinieren.


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