Musische Erziehung in herrschaftlichem Ambiente

Von Alexandra Gerlach · 26.05.2008
Leipzig ist die Bachstadt weltweit und der weltberühmte Thomanerchor, der 2012 sein 800-jähriges Bestehen feiert, ihr bester Repräsentant. Doch selbst so ein berühmter Chor hat manchmal Nachwuchssorgen. In immer weniger Familien wird nach Beobachtung des Thomaskantors das Gewicht auf eine musische Prägung der Kinder gelegt, immer seltener wird gesungen. Dieser Entwicklung soll das neue Forum Thomanum mit seiner Kindertagesstätte und seinem internationalen Bildungszentrum und seinen neuen Probenräumen in der frisch sanierten Villa Thomana entgegenwirken. Ein Musterbeispiel für bürgerschaftliches Engagement im Schatten des altehrwürdigen Alumnats der Thomaner in Leipzig.
Thomaner, 12. Klasse: "Ich bin begeistert, ja, es ist recht schön, dass die Übungsräume größer sind, dass es viel lichtdurchfluteter ist, man hat mehr Tageslicht, also es ist viel schöner einfach."

Ein wenig sehnsüchtig schaut dieser Thomaner schon. Für den Abiturienten ist bald Schluss mit dem Chorleben, was er angesichts des neuen Hauses sehr bedauert. Noch vor etwas mehr als einem Jahr war das Areal rund um die Villa an der Sebastian-Bach-Straße in einem bejammernswerten Zustand, ebenso wie weite Teile der Straßenzüge rund um die dringend sanierungsbedürftige Lutherkirche. Fotos zeugen von vergammelten, einstürzenden Dachbalken, verfallenen Sandstein-Fenstereinfassungen, nacktem Mauerwerk unter bröseligem Putz.

Ein Bild des Niedergangs, bis die Stiftung der Chorherren zu St. Thomae die Villa erwarb und das millionenschwere Projekt in Angriff nahm. Eine prachtvolle, nach italienischem Vorbild errichtete Villa, die im Innenraum mit reichhaltigen Kassettendecken und Wandmalereien versehen ist. Der Thomaskantor, Christoph Biller, ist begeistert:

"Dieses wirklich sehr edle Haus wird vor allem dazu dienen, bestimmte Dinge aus dem Alumnat herauszulösen, die Unterrichtsräume, Übungsräume, ein Kammermusiksaal, der hier entsteht, und dadurch wird im Alumnat mehr Raum gefunden, mehr Wohnraum für die Thomaner, die dadurch großzügiger wohnen können als bisher."

Das neue Forum Thomanum mit seinen hochmodernen Übungs- und Probenräumen sowie einem international ausgerichteten Bildungszentrum, hat jedoch mehr vor, als lediglich die Wohn- und Freizeitmöglichkeiten der Chorknaben zu verbessern. Leipzigs Kulturbürgermeister, Georg Girardet, spricht von dem wichtigsten kulturpolitischen Vorhaben der Stadt für die nächsten Jahre.

"Dieses Forum Thomanum hat ja im Grunde drei Ziele: die Lebens- und Freizeitbedingungen der Thomaner zu verbessern, den Nachwuchs zu sichern und dem Chor durch eine internationale Akademie eine höhere Ausstrahlung zu geben. Das sind die drei wichtigsten Ziele, und da sind wir in diesen Tagen einen wichtigen Schritt vorangekommen."

Insgesamt rund 10 Millionen Euro wird die Stadt investieren, um das Gesamtbild und die Infrastruktur des Viertels rund um das Alumnat der Thomaner, Thomasschule und das neue Forum Thomanum aufzuwerten. Der Bekanntheitsgrad des weltberühmten Leipziger Knabenchores kann nämlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in einer mehrheitlich atheistisch geprägten Umgebung und auch als Folge schwacher Geburtenraten zunehmend schwerfällt, genügend Nachwuchs für den Chor zu finden. Außerdem beklagt Thomaskantor Christoph Biller, dass in den Familien immer weniger gesungen wird.

"Und dadurch sind wir überhaupt dazu gekommen, dass wir sagen, wir müssen das selber in die Hand nehmen, wir müssen also selbst dafür sorgen, dass musikalische Kinder auch selbst ausgebildet werden, schon frühzeitig, wo sich auch noch sehr viel schneller ausbilden lässt, als das später der Fall ist."

Somit wird die neue Kindertagesstätte im Forum Thomanum, die sich hochmodern und doch sehr organisch in den unter Denkmalschutz gestellten Garten der Villa Thomana einpasst, ein Hort der musischen frühkindlichen Erziehung sein. Das Konzept für die rund 100 Kinder, die ab dem 2. Juni diese Kindertagesstätte besuchen werden, sieht zudem eine zweisprachige Betreuung vor, Deutsch und Englisch sowie Deutsch und Italienisch werden die Umgangssprachen sein.

Bodentiefe Fenster in den puristischen Räumen erlauben den Kindern auch im ersten Obergeschoss einen freien Blick nach draußen. Innen kein bunter Schnick-Schnack, stattdessen eigens entwickelte, mobile und kindgerechte Möbel, in gedeckten Naturfarben. Die 100 Plätze sind schon ausgebucht, glücklich ist, wer einen ergattert hat, so wie dieser junge Vater.

"Ja, wunderbar, wir schicken unsere Kinder auch in die Kita und finden, die Schwerpunkte, die hier gesetzt werden, die christliche Prägung, die musische und die sprachliche Prägung, all das fördert, glaube ich, unsere Kinder sehr gut!"

Für den Pfarrer der Thomaskirche, Christian Wolf, der sich seit Jahren intensiv für die Umsetzung der Idee des "Forum Thomanum" eingesetzt hat, ist das Projekt ein wichtiges Vehikel, um nicht nur innerkirchlich wirken zu können, sondern auch atheistisch geprägten Familien einen Zugang zur geistlichen Musik und deren christlicher Botschaft zu eröffnen. Denn die Kinder, die hierher kommen, müssen nicht getauft sein, betont Pfarrer Wolf.

"Es liegt auf der Hand, wenn wir hier diesen Thomanerchor haben, der im Jahr 2012 800-jähriges Jubiläum feiert, dass wir dieses Pfund nutzen, dass wir das weiterentwickeln und dass wir alles tun, dass möglichst viele Menschen daran teilhaben können. Und im Übrigen ist es so, dass heute ganz, ganz viele Familien, Eltern insbesondere, sinnvolle Einrichtungen suchen, Kindertagesstätten, Schulen, wo ihre Kinder auch kulturell, religiös und sozial gebildet werden."

Freuen können sich nun die kleinen Thomaner. Tobias und Artur etwa, beide sind zehn Jahre alt und seit einem Jahr im Chor. Derzeit haben sie noch unter der Enge im alten Alumnat zu leiden und freuen sich auf ihr neues Haus.

"Dadurch, dass wir das neue Haus haben, ziehen wir dann alle um, und ich denke, das wird etwas besser als so viele auf einem Haufen. Vielleicht wird uns da drinnen etwas Neues überraschen, was wir hier noch nicht haben."