Szilárd Borbely: "Kafkas Sohn"

Ein hochinteressantes Romanexperiment

Undatiertes Porträt des Schriftstellers Franz Kafka.
Einen Kafka-Roman wollte Szilárd Borbely schreiben, das war sein letztes Projekt. © picture-alliance / dpa / CTK
Von Katharina Döbler · 27.03.2017
Ein Buch müsse wirken, wie ein Unglück, forderte Franz Kafka. Für den ungarischen Autor Szilárd Borbely war Kafka die zentrale Bezugsfigur seines Schaffens und diese Bemerkung Kafkas war für Borbely eine Art Grundsatz. Umgesetzt hat er dies in seinem Werk "Kafkas Sohn".
Szilárd Borbelys einziger Roman "Die Mittellosen", erschien 2013 (auf deutsch 2014), und machte diesen ungarischen Autor schlagartig international bekannt. Es ist ein Buch wie ein schwarzer Diamant, eines von den Büchern, die Kafkas Forderung, ein Buch solle "wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt" vollständig einlösen.
Für den Literaturprofessor, Lyriker und Essayisten Borbely war Kafka eine zentrale Bezugsfigur. Als Jugendlicher, erzählte er in einem Interview, habe er den "Prozess" in einem Stück durchgelesen, auf einem Schemel hockend, während er eigentlich das Haus putzen sollte, weil das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Erniedrigung darin ihm so "unsäglich, wirklich unsäglich bekannt war".

Das Projekt: ein Kafka-Roman

Einen Kafka-Roman wollte er schließlich schreiben, das war das letzte Projekt, das er seinem Verleger angekündigt hat. Das Buch wurde nicht mehr fertig, Borbely nahm sich Anfang 2014 das Leben. Das fragmentarische Manuskript aus dem Nachlass jedoch ist nun erschienen, betreut und kommentiert von seinen langjährigen Übersetzern.
Es ist ein hochinteressantes Romanexperiment, geschrieben aus wechselnden Perspektiven und in unterschiedlichen Erzählhaltungen: Hermann und Franz Kafka, Vater und Sohn, gespiegelt und sich spiegelnd im Autor und dessen bitterer Familiengeschichte, die in den "Mittellosen" erzählt wurde.
Beide Väter sind auch Söhne, die wiederum ihren eigenen Vätern mit Ablehnung begegnen. Der Sohn ist, bei Kafka wie bei Borbely, die Negation des Vaters, sein Tod und sein Fluch. Franz Kafkas berühmten Brief an seinen Vater liest man da im Hintergrund mit.

Ein episodische und hochkomplexes Gebilde

Borbely hat auch noch aus anderen Quellen geschöpft: Motive aus den Erzählungen, Briefen und Tagebüchern Kafkas sind in diesem Texten erkennbar wie Fäden in einem Geflecht. Der "Roman" ist eigentlich ein episodisches, hochkomplexes Gebilde, in dem jede Geschichte stets auf eine andere verweist, ihr widerspricht, sie ergänzt, variiert.
Manchmal klingt Borbely wie ein Kafka des 21. Jahrhunderts: Die Komik und die Verzweiflung; die Unmöglichkeit, sich im Machtgefüge der Welt als Mensch zu materialisieren. Borbelys Ich-Erzähler, ob sie sich nun Anselm oder Franz nennen, sind heimatlose Seelen, die auf Brücken den eigenen Tod imaginieren, verfolgt vom Gefühl einer Schande, die nur den Tod nach sich ziehen kann.
In einem Interview sagte Borbely einmal, die menschliche Welt sei "ein seltsames Netz aus Gepflogenheiten, Ängsten, Begehren, Erinnerungen und Hoffnungen. Und als solche ist sie auf Worte gebaut, und keineswegs auf die sogenannte ‘Realität’."
Das Buchfragment, das er hinterlassen hat, ist ein großartiges, dunkles Abbild genau dieser Welt.

Szilárd Borbely: "Kafkas Sohn"
Aus dem Ungarischen von Heike Flemming und Lacy Kornitzer, Suhrkamp, Berlin 2017,
204 Seiten, 24,00 EUR

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