Musikbuch

Der Komponist und sein Klan

Von Olaf Wilhelmer · 17.01.2014
Nicht weniger als 171 Mitglieder der Familie Bach erscheinen in dem unterhaltsamen Buch von Klaus-Rüdiger Mai. Zwischen Reformation und Säkularisierung entfalteten die Bachs eine unvergleichliche musikalische Kunst.
Biografien, Doppelbiografien und Familienporträts haben auf dem Sachbuchmarkt Hochkonjunktur, doch die zweifellos bedeutendste Musikerfamilie der Geschichte, die "musicalisch-Bachische Familie“ (so genannt von ihrem größten Sprössling Johann Sebastian), ging bislang fast leer aus. Nun hat der promovierte Germanist und Sachbuchautor Klaus-Rüdiger Mai die erste umfassende, für ein allgemeines Publikum bestimmte Darstellung der Bachschen Familiengeschichte geschrieben.
Bach, Johann Bernhard I und II; Johann Carl Philipp; Johann Caspar; Johann Christian I bis V; Johann Christoph I bis X; Johann Christoph Friedrich: Es könnte eine Seite aus einem Telefonbuch sein, dabei handelt es sich hier nur um einen Ausschnitt aus dem gewaltigen Register des Bach-Buches von Rüdiger Mai. Nicht weniger als 171 Bache erscheinen hier, die meisten im 16., 17. und 18. Jahrhundert – und die meisten von ihnen verbunden mit der Musik.
Die Blütezeit der Bachs
Beherzt arbeitet sich Mai durch die weitverzweigte Familiengeschichte, deren Hauptstrang um 1580 in einer Mühle im thüringischen Wechmar beginnt und in den 1780er-Jahren mit den vier berühmten Söhnen Johann Sebastians (als da wären Wilhelm Friedemann in Berlin, Carl Philipp Emanuel in Hamburg, Johann Christoph Friedrich in Bückeburg und Johann Christian in London) endet. Das Wunder überragender Musikalität, die sich in einer bodenständigen thüringischen Handwerkerfamilie Ende des 16. Jahrhunderts herausbildete, kann Mai – wenig verwunderlich – letztlich ebenso wenig erklären wie das abrupte Verschwinden der Komponistendynastie am Ende des 18. Jahrhunderts.
Aber im Verlauf dieses gut lesbaren Familienporträts treten immerhin etliche Konstanten hervor, die bei der Beschäftigung mit der Biografie nur eines Familienmitglieds nicht direkt auffallen: Die Blütezeit der Bachs beginnt mit Luther und endet mit Napoleon – zwischen Reformation und Säkularisierung konnte diese unbeirrbar lutherische Familie ihre Kunst zur höheren Ehre Gottes entfalten. Der für die Bach-Familie eigentlich undenkbare Schritt zum Katholizismus – vollzogen von Johann Sebastians experimentierfreudigem und weltläufigem Sohn Johann Christian – fand vielleicht nicht zufällig in den letzten Jahren statt, als sich die Familie in jeder Hinsicht in Auflösung befand.
Die Entwicklung der Musik von einem noch in Zünften organisierten Handwerk bis hin zu den höchsten Sphären der Kunst haben die Bachs wesentlich geprägt, aber in einer bürgerlichen Gesellschaft mit einer privaten Musikkultur konnten sie – die als Kantoren, städtische Musiker oder höfische Kapellmeister stets öffentlichen Auftraggebern gedient hatten – sich nicht behaupten.
Große Liebe zu den Kindern
In seinem Buch zeigt Klaus-Rüdiger Mai die Familie Bach nicht als mehr oder minder zufällig entstandene Schicksalsgemeinschaft, sondern als bewusst gestaltete – und bei vielen Feiern genussvoll inszenierte – Lebensform von Menschen mit ausgeprägtem Familiensinn, starkem Interesse für die eigene Vorgeschichte und großer Liebe zu Kindern. Auffallend, dass viele bedeutende Komponisten der Familie aus damals eher unüblichen "Liebesheiraten" hervorgingen – dass also die Bachs, soweit das aus den Quellen gefolgert werden kann, sehr genau hinschauten, mit wem gemeinsam sie ihre genialen Gene weitergeben wollten.
"Die Bachs. Eine deutsche Familie" widmet sich einem eigentlich populären, aber erstaunlich wenig beleuchteten Thema. Entstanden ist ein kulturhistorischer Schmöker, der sich auch als Geschichte des deutschen Protestantismus lesen lässt. Dem insgesamt schön ausgestatteten Buch hätten einige genealogische Übersichten, Karten und Tabellen zur besseren Benutzbarkeit nicht geschadet, auch hätte der Abbildungsteil etwas opulenter ausfallen können. Die Bachs hatten nämlich noch eine Gabe: Einige von ihnen waren Maler.

Klaus-Rüdiger Mai: Die Bachs. Eine deutsche Familie
Propyläen Verlag, Berlin 2013
448 Seiten, 26,99 Euro

Mehr zum Thema