Musikarchäologie

Die Melodien der Steinzeit

Nachgebaute Knochenflöten, aufgenommen am 02.07.2015 in der Werkstatt von Instrumentenbauer Ralf Gehler in Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern)
Nachgebaute Knochenflöten aus der Werkstatt von Instrumentenbauer Ralf Gehler in Schwerin © picture-alliance / dpa / Jens Büttner
Arnd Adje Both im Gespräch mit Ute Welty · 15.08.2015
Der Steinzeitmensch war erfinderisch: Aus den Knochen von Geiern machte er Knochenflöten, deren Klang der Piccolo-Flöte ähnelt. Mit dem sogenannten Schwirrholz wurden die Ahnen herbeigerufen. Der Musikarchäologe Arnd Adje Both führt Instrumente der Steinzeit vor.
Schon der Mensch der Steinzeit hatte ein besonderes Verhältnis zur Musik. Wie sich Instrumente aus jener Zeit anhören, hat der Musikarchäologe Arnd Adje Both im Deutschlandradio Kultur beschrieben und akustisch vorgeführt.
Ein aus der Steinzeit stammendes Instrument ist beispielsweise das Schwirrholz, so schilderte es Both:
"Ein längliches, rhombisch geformtes Plättchen mit einer Durchbohrung an einem Ende, da wird dann eine Schnur befestigt. Wenn man das dann durch die Luft wirbelt, entsteht dieser interessante Klang. Es ist tatsächlich ein sehr komplexer aerodynamischer Prozess, der hier vonstatten geht."
Das kulturelle Wissen der Ahnen
Die Erzeugung dieser Töne habe eine bestimmte Funktion gehabt, erklärte Both.
"Häufig wird mit diesem Klang die Stimme der Ahnen verbunden, die dann in Initiationsritualen herbeigerufen werden: Um eben ihre Macht und ihr kulturelles Wissen auf die nächste Generation zu übertragen. Wir haben nämlich in einigen steinzeitlichen Höhlen Fußspuren von Kindern entdeckt."
In diesen Höhlen hätten auch Hochzeits-, Heil und Jagdrituale stattgefunden:
"Das sind eigentlich Kathedralen. Die haben ja auch eine ganz besondere Akustik, diese Höhlen. So liegt es eigentlich nahe, dass diese Objekte dort - und dort wurden sie auch gefunden, in diesen tiefen Höhlenbereichen - zu etwa Initiationsritualen verwendet wurden."
Gemeinschaftliches Musizieren in der Steinzeit?
Gab es in der Steinzeit auch schon so etwas wie gemeinschaftliches Musizieren? Das sei schwer zu sagen, meinte Both:
"Aber es kann natürlich gut sein, dass Musik auch zum Zeitvertreib, zum Genuss produziert wurde. Wir haben tatsächlich auch Funde von Knochenflöten auch in den Eingangsbereichen von Höhlen neben Feuerstellen. Warum also nicht? Vielleicht haben die Menschen auch auf solchen Instrumenten die durchaus Melodien produzieren können, auch zum Zeitvertreib und zum Genuss schon gespielt."
Der Klang einer Knochenflöte ähnele dem einer Piccolo-Flöte, so der Musikarchäologe Both:
"Das sind Instrumente aus den Flügelknochen von Vögeln. Häufig wurden Geier- oder Schwanenknochen verwendet. Die Geierflügelknochen sind schwer und dick, deshalb ist der Klang auch etwas tiefer. Die kleineren Schwanenflügelknochen dagegen klingen westlich höher."


Das Interview im Wortlaut:
(Einspielung: Klangbeispiel Schwirrholz)
Ute Welty: Nein, keine Sorge, Sie sind nicht in einen Ventilator geraten, das ist Musik! Das ist Musik aus der Steinzeit, die uns Arnd Adje Both mitgebracht hat. Arnd Adje Both ist Musikarchäologe, unter anderem beschäftigt am Deutschen Archäologischen Institut in Berlin, Kurator einer geplanten Wanderausstellung, Initiator eines entsprechenden EU-Projekts, Herausgeber von Büchern zum Thema und er veranstaltet an diesem Wochenende eine Sommerschule für Laien zur Musikarchäologie. Guten Morgen!
Arnd Adje Both: Guten Morgen!
Welty: Was war das für Musik, und vor allen Dingen: Was war das für ein Instrument?
Both: Das war ein sogenanntes Schwirrholz. Ein längliches, rhombisch geformtes Plättchen mit einer Durchbohrung an einem Ende, da wird dann eine Schnur befestigt. Und wenn man das dann durch die Luft wirbelt, entsteht dieser interessante Klang. Es ist tatsächlich ein sehr komplexer aerodynamischer Prozess, der hier vonstattengeht. Instrumententypologisch ist es ein sogenanntes freies Aerophon. Und da scheint etwas zu passieren, was auch akustisch-physikalisch sehr schwer zu beschreiben ist.
Welty: Ganz schön tricky für jemanden aus der Steinzeit!
Both: Ja, auf jeden Fall! Und häufig wird mit diesem Klang zum Beispiel verbunden die Stimme der Ahnen, die dann in Initiationsritualen herbeigerufen werden, um eben ihre Macht und ihr kulturelles Wissen auf die nächste Generation zu übertragen. Wir haben nämlich in diesen steinzeitlichen Höhlen Fußspuren von Kindern entdeckt. Das sind die Bereiche, in denen möglicherweise Initiationsrituale, Riten, Heilrituale, Jagdzauber und so weiter betrieben wurden.
Welty: So eine Art Kirche, ich versuche das mal, ein bisschen zu übersetzen.

Die Steinzeithöhle als eine Art Kathedrale
Both: Ja, das sind eigentlich Kathedralen. Die haben ja auch eine ganz besondere Akustik, diese Höhlen.
Welty: In der Tat.
Both: So liegt es eigentlich nahe, dass diese Objekte dort – und dort wurden sie auch gefunden, in diesen tiefen Höhlenbereichen, etwa zu Initiationsritualen verwendet wurden.
Welty: Gab es denn auch so etwas wie Popmusik in der Steinzeit, also Musik, die von allen gemacht wurde?
Both: Das ist sehr, sehr schwer zu sagen. Aber es kann natürlich gut sein, dass Musik auch zum Zeitvertreib, zum Genuss produziert wurde. Wir haben tatsächlich auch Funde von Knochenflöten, auch in den Eingangsbereichen von Höhlen neben Feuerstellen. Warum also nicht haben die Menschen auf solchen Instrumenten, die durchaus Melodien produzieren können, auch zum Zeitvertreib und zum Genuss schon gespielt!
Der Klang der Knochenflöte
Welty: Wie klingt so eine Knochenflöte?
Both: So eine Knochenflöte klingt im Grunde genommen wie eine kleine Piccolo-Flöte. Das sind Instrumente aus den Flügelknochen von Vögeln. Häufig wurden Geierknochen oder auch Schwanenknochen verwendet. Die Geierflügelknochen sind relativ groß und dick und deswegen ist der Klang auch etwas tiefer, die Schwanenflügelknochen. Ich habe hier ein Beispiel dabei, das sind alles Replikate, aber aus Originalknochen. Das ist ein Schwanenflügelknochen, der ist wesentlich kleiner, vielleicht halb so dick wie der Geierknochen. Er klingt wesentlich höher.
((Klangbeispiel))
Welty: Das war jetzt die Flöte aus Schwanenflügel.
Both: Genau. Aus einer Höhle, die Geißenklösterle heißt, in der Schwäbischen Alb. Und das ist ein Fund, der 38.000 Jahre vor Christus datiert und eines der ältesten Instrumente der Menschheit ist. Im Grunde genommen, relativ kurz nachdem der Mensch Europa besiedelt hatte, der anatomisch moderne Mensch. Ungefähr 40.000 vor Christus, fängt das an, dass er über die Levante Europa besiedelt.
Hier vor Ort lebten 100.000 Jahre vorher die Neandertaler, die wurden nach und nach verdrängt. Und wenige tausend Jahre später auch am Oberlauf der Donau, die möglicherweise so eine Art steinzeitlicher Highway war, weil über die Donau eine Einwanderungswelle erfolgte, so wird zumindest vermutet. Und am Oberlauf der Donau in Seitentälern der Schwäbischen Alb, Süddeutschland heute, sind in verschiedenen Höhlen solche Instrumente gefunden worden.
Welty: Sie sagten, eines der ältesten Instrumente der Menschheit wahrscheinlich. Wir haben hier aber nicht das Original, oder?
Both: Nein, das ist ein Nachbau.
Nachbau steinzeitlicher Instrumente als "Klangartefakte"
Welty: Und wie geht man da vor, wenn man einen solchen Nachbau erstellt?
Both: Es ist originales Klangartefakt - so nennen wir diese Objekte als Musikarchäologen. Weil wir ja ganz häufig eigentlich gar nicht wissen, ist damit tatsächlich Musik gemacht worden in unserem heutigen Verständnis oder was ist damit überhaupt gemacht worden? Es produziert Klänge, das können wir auf jeden Fall sagen. Und alles, was ich darauf auch spiele, was wir gerade gehört haben, ist natürlich reine Interpretation.
Also, man muss zunächst das originale Objekt, so wie es denn erhalten ist, so exakt wie möglich vermessen. Und dann muss man einen ähnlichen Knochen auftreiben. Das ist gar nicht so einfach: Es sind geschützte Arten, sowohl Schwan als auch Geier sind geschützte Arten.
Aber es gibt natürlich auch in Gefangenschaft lebende Tiere, die irgendwann mal verenden, und mit den entsprechenden Zertifikaten bekommt man auch tatsächlich originale Knochen. Ja, und dann muss halt versucht werden, möglichst mit auch steinzeitlichen Werkzeugen wie zum Beispiel Feuersteinklingen dieses Objekt so zu bearbeiten, dass man eben ein Replikat herstellt, was möglichst nah am Original ist.
Welty: Wenn wir relativ sicher sind, dass Menschen in der Steinzeit musiziert haben, weiß man oder lässt sich darüber eine Aussage treffen, was das für die Entwicklung des Menschen bedeutet hat? Der Neurologe Eckart Altenmüller hat hier im Deutschlandradio Kultur die These vertreten, dass Musik durchaus ein Evolutionsvorteil gewesen ist!
Both: Ja, das kann durchaus sein. Wenn wir daran denken, zu was Musik und Klänge fähig sind, Heilrituale, Kontakt mit Göttern und Ahnen. Und das ist unglaublich wichtig gewesen in allen Kulturen, bis heute im Grunde genommen, nur in unserer westlichen Welt ist das verloren gegangen. Das sind sicherlich Evolutionsvorteile gewesen!
Welty: So klingt die Steinzeit. Und diese Impressionen hat uns geliefert der Musikarchäologe Arnd Adje Both, der an diesem Wochenende die Laien in seiner Sommerschule informiert und sich dann in der kommenden Woche mit Expertenkollegen trifft. Offenbar gibt es viel zu besprechen! Ich jedenfalls sage herzlichen Dank für diesen Besuch hier in "Studio 9"!
Both: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema