Musikalisches Multitalent aus Prag

Von Christian Rühmkorf · 04.12.2012
"Raduza, Medusa, Tuse, Prothese in Aspik" - so wurde sie in der Grundschule in Prag gehänselt. Sie sei eben nun mal seltsam. Seltsam und nie wirklich Teil der Gemeinschaft gewesen, erzählt Raduza. Die 39-Jährige sitzt in der spärlich eingerichteten Garderobe des Prager Theaters Gong. Eine halbe Stunde noch bis zum Soundcheck. Dann der Auftritt. Raduza wirkt ruhig und konzentriert.
"Ich habe irgendwann kapiert, dass mir dieser Spitzname immer anhaften wird. Also habe ich ihn einfach mit einem anderem Inhalt gefüllt. Aus einer Beschimpfung habe ich meinen Künstlernamen gemacht, den Namen, unter dem ich heute auftrete - Raduza. Das ist gut, finde ich."

Ihr bürgerlicher Name bleibt privat, den will sie nicht in den Medien haben. Also Raduza - die ewige Außenseiterin. Das ist schwer vorstellbar. Die schwarzhaarige und etwas mollige Frau erscheint selbstbewusst und stark.

"Auch wenn das heute nicht mehr so aussieht, ich habe mir üble Sachen gefallen lassen. Ich habe gedacht, ich muss alles aushalten. Aber das stimmt nicht. Ich sage jetzt einfach: So will ich das nicht! Früher hatte ich gedacht, ich darf das nicht sagen."

Lieber über Musik sprechen, meint sie. Flöte und Waldhorn lernt sie schon als Kind an der Musikschule. Bald setzt sie sich auch ans Klavier und nimmt die Gitarre zur Hand - sie hat Talent. Ihr erstes eigenes und öffentliches Publikum findet Raduza mit 15 Jahren auf der Straße. Während eines Schulaustausches in Moskau macht sie sich einfach davon, legt ihre Gitarrenhülle vor sich auf die Arbat-Straße und los geht´s.

"Und plötzlich schreit mich eine Slowakin an, dass ich den Ruf der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Ausland beschädige. Da kam es fast zu Handgreiflichkeiten, denn die Russen wollten sie zum Schweigen bringen. Damals habe ich mir jedenfalls mit Straßenmusik das Geld für eine Tschajka-Uhr zusammenverdient. 35 Rubel - damals viel Geld."

Straßenmusik - Raduza war auf den Geschmack gekommen. Dabei hatten ihre Eltern für sie eine strenge Karriere als Soldatin vorgesehen. Beide, Vater und Mutter, waren Berufssoldaten in der tschechoslowakischen Armee.

"Als ich mit 14 gesagt habe, ich will aufs Konservatorium, da hieß es zu Hause: Ja, aber auf das Armee-Konservatorium. Ich wäre eine schlechte Soldatin geworden. Ich gebe nicht gern Befehle und noch weniger gern bekomme ich Befehle. Das wäre einfach nicht gegangen."

Der Soldatenberuf der Eltern hatte sich ohnehin schon auf Raduzas Kindheit ausgewirkt. Die Eltern hatten sich früh scheiden lassen und die Mutter musste - gerade weil sie Soldatin war - oft nachts Dienst schieben. So lebte Raduza die ersten Jahre bei den Großeltern, in Mähren auf dem Land. Eine schöne Zeit. Aber regimetreu seien sie in der Familie alle gewesen, sagt sie mit dem Blick zurück.

"Krass war das. Mein Großvater war ein eingefleischter Kommunist. Meine Eltern als Berufssoldaten auch. Als 1989 die Samtene Revolution kam, da war ich 16 Jahre alt. Ein Alter, in dem mir langsam bewusst wurde, dass alles anders ist, als die offizielle Version."

Und dass die Welt hinter dem Eisernen Vorhang weitergeht. Mit Rucksack und Gitarre bereist sie halb Europa, verdient mit Straßenmusik das Wenige, was sie braucht und saugt begierig die Lieder anderer Länder auf.

Gut drei Jahre später dann der Durchbruch in Prag. Raduza wird von der populären Sängerin und Liedermacherin Zuzana Navarová regelrecht von der Straße "weg-entdeckt". Sie singt vor und steht schon drei Tage später auf einer der bekanntesten Bühnen in Prag. In den kommenden Jahren steigt Raduza zu einem Stern am tschechischen Liedermacherhimmel auf. Und nebenbei absolviert sie sogar das ersehnte Konservatorium.

Es klingt eigentlich wie ein Märchen. Aber Raduza winkt ab.

"Nein, das ist kein Märchen. Das ist das Leben. Das war Zufall."

Heute ist sie nicht nur vielfach preisgekrönte Musikerin, sondern auch Mutter. Fünf und drei Jahre sind die beiden Kinder alt, die sie allein erzieht, seit sie sich vom türkischen Vater der Kinder getrennt hat.

"Ich bin einfach Mutter, Vater, Musikerin, Holzfällerin, Gärtnerin, Köchin, Bäckerin, Wäscherin. Ich glaube, zu Hause nehmen mich die Kinder nicht so sehr als Musikerin wahr. Ich renne da durch die Gegend mit dem Rasenmäher, mit Heckenschere oder Motorsäge."

Und Unternehmerin ist sie mittlerweile auch. Vor zwei Jahren hat Raduza ihr eigenes Platten-Label gegründet. Beide Kinder wissen, was es bedeutet, eine Musikerin zur Mutter zu haben.

"Die Kinder waren in der Wanne, ich hatte den Dudelsack umgebunden, stand vor dem Bad, um sie sehen zu können und habe geübt. Und habe ich mit dem Dudelsack um die Brust immer heißes Wasser nachlaufen lassen. Danach dann sofort in Küche, um das Gulasch umzurühren. (O-Ton kurz hoch) Das alles mit diesem Dudelsack um. Na ja, und dann wundere ich mich, dass auch meine Kinder nicht ganz normal sind."

Schön, aber ebenso ein bisschen verrückt ist eines von Raduzas neuesten Liedern. Hördöm – ein Lied in einer Sprache, die es nicht gibt.