Musikalisch gegen den Strom schwimmen

Von Petra Marchewka · 14.09.2012
An diesem Wochenende wird Hamburg zum Treffpunkt der internationalen Chorszene: Das A-cappella-Festival "acappellica" möchte mit auf diese besondere Form des Chorgesangs aufmerksam machen. Mit dabei: Der Chor Cantaloop aus Hamburg, eine 43-köpfige, 5- bis 12-stimmige Gruppe ambitionierter Sängerinnen und Sänger, die sich auf Pop-, Funk-, Soul- und Jazz-Stücke spezialisiert hat.
Ein großes Ereignis wirft seine Schatten voraus. Wie soll sich Cantaloop am besten aufstellen, auf der Bühne des ehrwürdigen Hamburger Konzerthauses?

Chorleiter Christoph Gerl und die 43 Sängerinnen und Sänger proben heute für die Abschlussmatinee von "acappellica", dem internationalen Festival, das in diesen Tagen in Hamburg stattfindet.

Obwohl für die 28-jährige wissenschaftliche Mitarbeiterin Wiebke Schubert und den 41-jährigen Werbetexter Marc Drewes das Singen "nur" ein Hobby ist, stürzen sich die beiden wie all die anderen Sängerinnen und Sänger mit ganzem Herzen und großer Professionalität in die musikalische Arbeit. Die Idee, als Chorsänger könne man sich auch mal hinter den anderen verstecken, lässt Marc Drewes daher gar nicht gelten.

"Es geht darum, das Kunststück zu schaffen, einerseits mit einer gewissen solistischen Haltung daran zu gehen und zu sagen: Es kommt auf mich an, aber gleichzeitig ist mir auch klar, dass das, was ich gebe, verschmelzen muss mit dem Chorklang. Da ist klar, dass sich das Ego dem Chorklang immer unterordnen muss."

Chorleiter Christoph Gerl liebt es, für Cantaloop Stücke jenseits des Mainstream auszugraben und sie chortauglich zu arrangieren. "Heaven or Hell" zum Beispiel von Osmo Ikonen aus Finnland. Gerl, der gebürtige Landshuter, hat in Weimar Musik, später in Würzburg Klavier und Chorleitung studiert. Heute arbeitet der Wahl-Lübecker als Musiklehrer und hat einen Lehrauftrag an der Lübecker Musikhochschule.

Musikalisch ein bisschen gegen den Strom zu schwimmen, dabei alles Biedere hinter sich zu lassen, was der Chormusik immer noch anhaftet: Das hat auch die 32-jährige Diplomübersetzerin Milena Münch für Cantaloop eingenommen.

"Ich war auf der Suche nach einem Chor, wo ich wusste, ich muss mich vorbereiten, zu Hause auch was machen, meine Stimme wird weiter gefördert und gefordert, und ich weiß, dass ich irgendwann mal auf einer Bühne stehe, zusammen mit den anderen 42 Rampensäuen (lacht) ja, und dann den Applaus genießen kann."

Für die zierliche Frau mit dem dunklen Zopf war das erste Zusammentreffen mit Christoph Gerl bei einer nervenaufreibenden Audition, denn anders als viele andere Laienchöre hat Cantaloop keinerlei Nachwuchssorgen und kann unter vielen singbegeisterten Interessenten auswählen, die gerne Schlange stehen, wenn Christoph Gerl zum Vorsingen einlädt.

"Wir fanden von Anfang an, dass es doch ganz wichtig ist, diese Hürde einzubauen, um sagen zu können: Okay, wir brauchen auch dieses Level im Chor, weil wir sonst als Chor nicht funktionieren würden und weil wir doch relativ komplexe Dinge musikalisch machen, dann werden beide Seiten nicht glücklich, und um das zu vermeiden, kommt diese Hürde."

Cantaloop besteht in diesem Herbst gerade mal vier Jahre, aber der musikalische Ehrgeiz, den alle miteinander teilen, hat die Gruppe weit gebracht.

"Jeder kennt 'Ain't Nobody' von Chaka Kahn. Als Discokracher..."
Gesang

"....Aber niemand rechnet damit, wenn er in ein Chorkonzert geht, besonders wenn er Ballast mit sich führt wie: Chor? Das ist doch immer Kirchenchor, und dann kommt er da hin und kriegt so einen Discoklassiker unterbreitet..."

Gesang

"....in einem flächigen Soundteppich-Arrangement, 12-stimmig, und dann im Nachhinein, wenn das Intro abgelaufen ist, dann merkt er: Das ist doch Ain't nobody! Das kenn ich doch, aber doch nicht so!"

Gesang

"Das sind so die Reaktionen, die wir gerne hervorrufen."

Der Auftritt in der Hamburger Laeiszhalle am kommenden Sonntag gehört zu den Höhepunkten der Chor-Geschichte, auch weil nach Cantaloop der dänische Chor Vocal Line auftreten wird - Europas bester Popchor, wie Wiebke Schubert schwärmt.

"Darf ich jetzt verraten, dass wir auch mit denen zusammen singen? Das ist irre! Wenn man sich als Chorsänger was wünschen könnte, wenn man die berühmten drei Wünsche frei hätte, dann wäre einer, mal mit Vocal Line zusammen zu singen! Die sind Vorbild für uns alle, so gut werden wir nie werden, und mit denen auf der Bühne zu stehen oder Vorband für die zu sein, ist irre!"

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.
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