Musik zwischen Nightclub und Kathedrale

Von Stefan Zednik · 30.01.2013
Er gilt als einer der schillerndsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Das Werk des Musikers, der eine Vielzahl von Liedern, Chansons und kammermusikalischen Stücken hinterließ, schwankt zwischen dadaistischem Ulk und Tiefe des Glaubens. Am 30. Januar 1963 starb Francis Poulenc in Paris.
Als der 18-jährige Francis Poulenc sich mit der Vorlage dieser Vertonung eines Nonsens-Gedichtes am berühmten Pariser Conservatoire um die Aufnahme in die Kompositionsklasse bewarb, erreichte er nur eines: Der Professor setzte ihn unverzüglich an die Luft.

Francis Poulenc wurde am 7. Januar 1899 als Sohn einer aus großbürgerlichem Hause stammenden Pariserin und eines aus dem Süden Frankreichs stammenden Industriellen geboren. Diese Pole, die Liebe zur Hauptstadt, das Leben in den Salons, die Auseinandersetzung mit Kunst und Literatur einerseits, eine Sympathie für das Landleben, die Musik einfacher Tanzvergnügen und nicht zuletzt ein naiver Katholizismus andererseits sollten Persönlichkeit und Werk des Komponisten maßgeblich bestimmen. Das Einzelkind lernte früh das Klavierspiel, genoss den besten Unterricht und geriet als junger Mann in Kontakt zur Avantgarde der späten 1910-er Jahre. Deren literarischer Protagonist war Jean Cocteau, der seine Ablehnung der Musik von Wagner bis Debussy programmatisch so zuspitzte:

"Schluss mit der Musik, in der man sich lange treiben lässt. Schluss mit den Wolken, den Wellen, den nächtlichen Düften. Der Musiker muss die Musik möglichst dazu zwingen, dem Zuhörer immer ihr Gesicht zu zeigen. Nur die Realität motiviert ein bedeutendes Kunstwerk, bald darf man ein Orchester ohne das Streicheln der Saiten erhoffen. Einen klangvollen Musikverein aus Holz, Blech und Schlagzeug. Wir brauchen eine Musik, die fest auf Erden steht, eine Alltagsmusik."

Diesem Ideal folgt Poulenc, der 1917 Mitglied der berühmten "Groupe des Six" wird, in hohem Maße. Seine Musik aus dieser Zeit hat einen kurzen Atem, ist oft lausbübisch und frei von schwerfälliger Theorie.
Diese unbefangene Frechheit zeigt jedoch nur die eine Seite des Musikers. Auf der anderen finden sich Selbstzweifel, Depression, Angst vor Isolation und eine spät entdeckte, niemals ganz akzeptierte oder gar angstfrei ausgelebte Homosexualität. 1936 kommt es zu einer Zuspitzung: Während einer Reise in den südfranzösischen Wallfahrtsort Rocamadur erhält Poulenc die Nachricht vom grausamen Unfalltod eines guten Freundes. Unter diesem Schock erlebt er die dort verehrte "Schwarze Madonna" in einer Weise, die ihm die Rückkehr zum abgelegten katholischen Glauben seiner Kindheit möglich macht. Innerhalb weniger Tage komponiert er die "Litanies à la Vierge Noire" für Orgel und Kinderchor.

Es folgen weitere sakrale Werke; Poulenc komponiert eine Oper über das Schicksal einer weiblichen Ordensgemeinschaft in den Tagen der Revolution. Das Libretto seines bekanntesten, wegen des geringen Realisierungsaufwandes häufig gespielten Stücks "La voix humaine" stammt von Jean Cocteau, mit dem ihn seit den Tagen der "Groupe des Six" eine lebenslange Freundschaft verband. Es ist der verzweifelte Monolog einer Frau, die ein letztes Telefonat mit ihrem Geliebten führt.

Francis Poulenc: " "'Die menschliche Stimme' entstand aus einem Scherz. Ich war in Mailand für die Aufführungen der 'Dialoge der Karmelitinnen'. Eines Abends sang Frau Callas mit Del Monaco. Da erregte ein kleiner Skandal großes Aufsehen. Am Ende des letzten Aktes hatte Frau Callas Herrn Del Monaco in die Kulisse geschubst, um sich allein zu verneigen. Da sagte mir mein Herausgeber und Freund Hervé Dugardin, der Direktor bei Ricordi in Paris ist: 'Du müsstest etwas für die Callas alleine machen. So könnte sie sich nach Belieben verbeugen. Warum machst Du nicht 'La voix humaine'? Ich habe sie gemacht, war mir aber sicher, sie der Callas nicht zu geben."

Francis Poulenc, den atonales Komponieren nie interessierte, zählte – vor allem nach dem Krieg - kaum zur Avantgarde der sogenannten Neuen Musik. Seit deren Dogmen jedoch selbst ihre Verbindlichkeit verloren haben, erfreut sich Poulencs Werk eines unbefangenen, wachsenden Interesses. 1963, am 30. Januar, starb mit ihm einer der widersprüchlichsten und schillerndsten französischen Komponisten des vergangenen Jahrhunderts.
Mehr zum Thema