Musik verbindet

Wie ein Frauenchor Flüchtlinge integriert

Ein Notenständer mit einem geöffneten Notenheft, welches durch zwei orangefarbene Klammern befestigt ist.
Ein Notenständer mit einem geöffneten Notenheft. © imago / Westend61
Von Dietrich Mohaupt · 22.10.2015
Die Gemeinde Lunden liegt an der Westküste von Schleswig-Holstein und hat gut 1700 Einwohner, etwa 50 davon sind Flüchtlinge. Der Frauenchor des Dorfes zeigt, wie gemeinsames Singen bei der Integration hilft.
Jeden Donnerstag treffen sie sich abends im Hotel Lindenhof – etwa 30 rüstige, ältere Damen. Vor dem Beginn der Probe ist noch Zeit für ein wenig Klönschnack, in gemütlicher Runde wird über dies und das geplaudert – typischer Dorftratsch eben. Mittendrin sitzt Anna Arusyak – die Armenierin versucht, so gut es geht an den Gesprächen teilzunehmen. Aber... das mit der deutschen Sprache klappt einfach noch nicht so, wie sie es gerne hätte.
"Es ist schwer ... aber ich denke, aller Anfang ist schwer, und ich denke, alles wird langsam gut."
Anna – so wird sie von allen im Chor nur genannt – wirkt sehr zurückhaltend, fast ein wenig schüchtern inmitten der munteren Damenrunde. Das ändert sich aber schlagartig, sobald es ums Singen geht. Das ist Annas Welt, da fühlt sie sich wohl – und möchte das mit einer kleinen Kostprobe aus ihrer Heimat Armenien auch beweisen.
"Ich singe gerne ... ich möchte ein armenisches Lied singen, ein kleines – ja?"
Das wollen natürlich auch die anderen Chormitglieder hören – es wird still in dem Raum.
Regelmäßiger Probentag für den "Lundener Flüchtlingschor"
Ein kleines armenisches Liebeslied ... dass Anna ganz gut singen kann, ist damit wohl erwiesen. Vor gut einem Jahr war das auch Hannchen Knäblein aufgefallen. Gemeinsam mit anderen Freiwilligen in der Gemeinde Lunden hatte sie einen Helferkreis für Flüchtlinge ins Leben gerufen. Bei einem Treffen dieser Gruppe erzählte der Sohn von Anna Arusyak, dass seine Mutter sehr gerne singe, und brachte damit – kurz vor der geplanten Weihnachtsfeier für die Flüchtlinge – den Stein ins Rollen, berichtet Hannchen Knäblein:
"Spontan – nachdem eine Helferin in unserer Gruppe hörte, Anna singt gerne – hat sie sie sofort mit in den Kirchenchor genommen. Und am selben Abend noch ist Anna mit singen gegangen. Und dann hat sie bei der Weihnachtsfeier ihr Solo gesungen ... wunderbar."
Mit diesem kleinen Auftritt war eine Idee geboren: Nach einem der regelmäßigen Flüchtlingstreffen – die finden in Lunden immer dienstags statt – kam Hannchen Knäblein noch spät am Abend der Gedanke:
"Man müsste mit den Leuten doch mal singen – singen ist doch schön – und dann habe ich nachts angefangen zwei kleine Liedtexte umzutexten, daraus wurde dann ein Dankeschön-Lied an Lunden, und bin am Dienstag zum Treffen mit Mundharmonika angekommen und habe diese beiden Lieder vorgespielt. Ich kriegte Beifall von den Flüchtlingen – aber die wussten ja noch nicht, was sie sollten. Und dann habe ich ihnen erzählt: Heute wollen wir singen!"
Es blieb dann nicht bei dem einen Mal – der Dienstag war von da an regelmäßig Probentag für den "Lundener Flüchtlingschor". Und das klang dann ganz schnell ganz gut:
"Heute singen wir euch ein Lied ... kurzes Vorspiel und dann sagen wir, wann es losgeht..."
"Singen ist ja Medizin"
Zur Melodie von "Kumbaya My Lord" hatte sich Hannchen Knäblein einen neuen Text ausgedacht – bei den Proben standen insgesamt 40 Flüchtlinge und einige Unterstützer des Helferkreises auf der Bühne.
Nach ein paar Wochen war der Chor schließlich reif für den großen Auftritt – und den gab es Ende August bei den Feiern zum 875. Geburtstag der Gemeinde Lunden. Der Dank der Flüchtlinge an ihre neue Heimat kam ganz gut an.
Den "Lundener Flüchtlingschor" gibt es inzwischen in dieser Form nicht mehr – das Ganze war eine einmalige Aktion. Aber immerhin für die Armenierin Anna Arusyak, die ja diese ganze Geschichte angestoßen hatte, ist mehr daraus geworden: Sie ist seither fester Bestandteil des Lundener Frauenchors. Dessen Leiterin, Maren Tiessen, ist fest überzeugt von der ganz besonderen Integrationskraft, die in einem solchen Chor stecken kann.
"Singen ist ja Medizin – von der Atmung her, von der Gemeinsamkeit her. Und der Chor, die anderen Sängerinnen, sind bemüht – und wollen es auch – dass Anna sich bei uns wohl fühlt, und jede hilft ihr, wenn sie irgendwelche Fragen hat. Und das finde ich für einen Dorfchor sehr wichtig, dass wir einander tragen – und ich denke, Anna darf sich bei uns im Chor getragen fühlen."
Angekommen in Deutschland
Mit ihrer Stimme und ihrer ganzen Persönlichkeit ist Anna für den Frauenchor eine Bereicherung, das bestätigen auch die übrigen Chormitglieder. Und sie senkt den Altersdurchschnitt erheblich, ein durchaus positiver Nebeneffekt, meint augenzwinkernd die Vorsitzende des Chors Waltraud Sonnberg.
"Sie ist ja auch noch etwas jünger – wir sind ja schon ... na, ich meine der Schnitt so halbe 70 ... und ich bin auch der Meinung, dass sie sich bei uns ganz wohl fühlt – ja, das passt alles ganz gut zusammen."
Die Armenierin Anna Arusyak ist angekommen in Deutschland – auch dank der Unterstützung und Hilfe, die sie im Lundener Frauenchor erfahren hat. Und das mit der deutschen Sprache – das wird schon noch. Vorerst klingt es halt noch ein bisschen holprig, wenn sie sich für die freundliche Aufnahme in ihrer neuen Heimat bedankt.
"Deutschland sehr gut! Frei ... ich bin frei – und meine Familie auch. Danke!"