"Musik muss authentisch sein"

Von Gerhard Richter · 13.07.2010
Freejazz ist Geschmackssache. Für die einen ist er laut und nervig, für die anderen voller Kreativität und Lebendigkeit. Louis Rastig gehört zweifelsohne zu den Fans dieser Kunst - er kann sich ein Leben ohne Musik und vor allem ohne den Freejazz nicht vorstellen.
"Das ist mir das Wichtigste eigentlich, dass was in der Luft liegt, was durchaus auch revolutionären Charakter haben darf."

Louis Rastig rutscht auf der Klavierbank hin und her, er steht auf, beugt sich über die Oktaven. Er biegt und windet sich und entlädt die ganze nervöse Spannung seines jungen, schlaksigen Körpers in die Tasten. Lauter kleine Vulkanausbrüche.

"Da ist natürlich dann die Performance das eine, aber es ist auch gut für mich - für die Musik, die ich vortragen möchte. Denn für mich steht der musikalische Vortrag automatisch in Verbindung mit Ekstase und Intensität. Weil erst dann wird es für mich persönlich authentisch und ich bin der Meinung: Musik muss authentisch sein, sonst sind es nur Töne. "

Louis Rastig ist 23 Jahre alt. Ein Frühstarter, aber ein Spätaufsteher. Um elf Uhr vormittags sitzt er auf dem Sofa vor einem Teller Müsli. Schwarzes Shirt, Jeans, die nackten Füße in Pantoffeln. Ein paar Tassen Kaffee hatte er schon. Immer wieder fährt er sich mit der Hand durchs ungekämmte Haar und bildet neue Frisuren, die immer an "Seitenwind" erinnern.

Unruhig sausen seine dunkelblauen Augen durchs Zimmer. Es gibt wenig Möbel in seiner Zweiraumwohnung. Auf dem Schreibtisch - zwischen Kabeln und Plattenspieler - ein umgekippter Stapel Demo-CDs. Zwei Blechregale voller Platten und Noten.

"Von meinem großen Held Johann Sebastian Bach angefangen über meine Lieblingsepoche, sozusagen der Romantik. Rachmaninoff, und Beethoven natürlich."

In der Zimmermitte das Klavier. Daneben an der Wand lehnt ein Synthesizer. Louis Rastig musiziert zweigleisig. Für seine Band Oozing Goo schreibt er Stücke. Durcharrangierten Jazzrock.

"Dort geht man auf die Bühne und rockt det Ding runter. Da sind´s dann eher Timing-Fragen und Tightness, damit´s fett bleibt, junky und geil. "

Gleichberechtigt neben der Band Oozing Goo pflegt Louis Rastig die freie Improvisation in wechselnden Formationen.

"Gerade bei der freien, improvisierten Musik finde ich es besonders reizvoll, dem Risiko in die Augen zu sehen, und man muss straight forward einfach durchgreifen, damit bestimmte Momente entstehen können. Wenn man sich ausruht und auf ein Wunder hofft, wird nichts passieren auf der Bühne."

Kreativität ist Familienerbe. Louis´ Mutter beschäftigt sich mit Malerei, Collage und Kostümbild. Louis´ Vater ist der bekannte Jazz-Posaunist Conny Bauer. Dessen Brüder Johannes und Matthias sind ebenfalls erfahrene Improvisateure. Im Familienquartett Bauer 4 spielt Louis Rastig neben Vater und beiden Onkeln eine selbstbewusste Stimme am Piano.

"Das ist natürlich hervorragend für mich, weil ich dadurch auch den einen oder anderen Draht zu Musikern, mit denen ich gerne spielen möchte, zu denen ich gern Kontakt aufnehmen möchte, das mir ja die Wege ebnen kann und bereits konnte und das ist eigentlich ein großes Glück."

1987 wird Louis Rastig in Berlin geboren. Er wächst in Berlin Mitte auf, bekommt Klavierunterricht und besucht eine jüdische Oberschule. Als Jugendlicher interessiert er sich für Philosophie und Religionskritik. Mit der Fachhochschulreife in der Tasche besucht er zurzeit einen Studienvorbereitungskurs. Louis Rastig will Komposition studieren. Er lebt von Musik und er will weiter von Musik leben.

"Diese ewige Floskel: Musiker-Sein wär' ein hartes Brot und Ähnliches, interessiert mich überhaupt nicht. Es ist wahr, es gibt quasi nur zwei Extreme: Entweder du bist am Start oder du bist nicht am Start. "

Louis Rastig ist am Start. Seine Pläne kreisen um Musik, um Musiker, um Orte, an denen Jazz gespielt wird. New York, Chicago, Tokio. Aber erst will er sich in Berlin etablieren und zwar auf der Bühne.

"Ich lege großen Wert darauf, auf der Bühne eine große physische Präsenz zu präsentieren und da ist es sehr hilfreich, mich auch mal ins Klavier zu werfen. "