Musik machen und Stellung beziehen

Von Gerrit Stratmann · 04.11.2011
Der StattChor aus Duisburg singt nicht allein zum Spaß: Die engagierten Mitglieder arbeiten an eigenen Programmen, in denen sie sich mit Alltagsthemen, der Konsumgesellschaft oder dem Faschismus befassen. So gibt es Auftritte auf Antikriegstagen oder auch zum Volkstrauertag.
Das Internationale Zentrum der Volkshochschule ist jeden Dienstagabend Treffpunkt für die 34 Mitglieder des Duisburger StattChores.

Christa Bröcher: "StattChor mit Doppel-T geschrieben, weil wir eben statt Chor sehr viele andere Dinge auch noch machen, unter anderem auch politische Programme."

Christa Bröcher, pensionierte Lehrerin für Mathe und Physik, singt im Sopran und kümmert sich um die organisatorischen Belange des Chores. Die Anfänge hat sie nicht mehr selber miterlebt. 1986 war das, als ein paar junge Leute einen Fabrikchor gründeten.

Ein Jahr später startete in Duisburg-Rheinhausen der Streik gegen die geplante Schließung des Krupp-Hüttenwerks. Ein bisschen steht auch der StattChor noch in dieser Tradition des Arbeitskampfes. Mit seinen Programmen möchte er sich einmischen und Stellung beziehen. Dabei geht es allerdings keineswegs bierernst zu.

Christa Bröcher: "Ich glaube, was ganz wichtig ist, dass die Programme Spaß machen sollen. Wir singen keine Agitprop-Programme und wir stehen da auch nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern wir suchen uns Stücke aus, Lieder aus, Texte aus, Sketche, die auch in erster Linie Spaß machen sollen und vielleicht zum Nachdenken anregen, aber die Lösung oder das Weiterdenken, das muss das Publikum besorgen."

Mehrere abendfüllende Programme hat der Chor in seiner 25-jährigen Geschichte bereits zusammengestellt. Unter Titeln wie "Geld Macht Sinnlich", "Lautstark für Menschlichkeit" oder "Alles im Fluss" setzte er sich mit gesellschaftlichen Themen oder stadtpolitischen Debatten auseinander. Welchen Schwerpunkt ein Programm bekommt, erklärt Greta Groß-Parlitz aus dem Sopran, das entscheiden die Sängerinnen und Sänger in eigener Regie bei den Proben.

Greta Groß-Parlitz: "Dann werden Vorschläge gemacht zu Themen, übergeordneten Themen, und dann geht jeder sammeln und guckt: Was habe ich dazu, was finde ich dazu, welche Lieder, welche Texte, welche Art von Musik? Und das wird dann in den Chorproben vorgestellt, und dann wird darüber abgestimmt."

Dieses basisdemokratische Vorgehen ist für Cristián Carrasco als Chorleiter eine neue Erfahrung. Der 57-jährige Gesangslehrer aus Chile hat die musikalische Leitung des StattChores erst im März von seiner Vorgängerin übernommen. Damals wusste er noch nicht so genau, was ihn hier erwartet:

"Normalerweise ein Laienchor funktioniert in einer ganz rigiden Struktur. Es gibt einen Chorleiter, der bestimmt und entscheidet. Hier ist es nicht so. Es war eine Neuigkeit für mich, aber finde das interessant. Weil ich spare mir die Mühe, meine eigenen Ideen sozusagen an den Chor zu verkaufen. Das, denke ich, das ist sehr gut."

Auf die lebendige Diskussionskultur innerhalb des Chores wollen die Mitglieder auf keinen Fall verzichten. Auch wenn es dadurch manchmal länger dauert, bis man zu einem Ergebnis kommt.

Greta Groß-Parlitz: "Das ist so wie im richtigen Leben. Es ist schwierig, einen Konsens zu finden, es geht dann auch mal ganz schön zur Sache in den Diskussionen. Aber da wir ja um Inhalte streiten und nicht um persönliche Differenzen, ist das ja eine ganz lebendige Sache."

Petra Wortmann:!"Die Intentionen im Chor sind ja auch immer verschieden. Vielen ist die Aussage besonders wichtig, anderen ist das Singen wichtiger, und da muss man natürlich auch gucken, dass alle Leute zufrieden sind und hinter diesen Sachen stehen."

Petra Wortmann singt bereits seit 1989 beim StattChor. Sie hat schon erlebt, dass nicht alle mit dem Vorgehen des Chores klarkommen. Manche sind wieder gegangen, weil ihnen zu viel oder zu kontrovers diskutiert wurde.

Trotz aller Diskussionen kommt die Musik beim StattChor aber nicht zu kurz. In jedem Jahr gibt es mehrere öffentliche Auftritte, auf Antikriegstagen, zum Volkstrauertag, beim Erinnerungsgottesdienst an das Unglück auf der Love-Parade oder auf Solidaritätskundgebungen für die Duisburger Moschee.

Cristián Carrasco: "Letztendlich es ist ein Chor, der jedes Jahr drei oder vier verschiedene Projekte vor Publikum präsentiert. Also so unproduktiv ist die Diskussion nicht."

Christa Bröcher: "Vielleicht ist wichtig noch zu sagen, dass wir eben nicht in der klassischen Chorbanane da stehen, auch nicht alle einheitlich gekleidet, sondern es ist schon mehr ein Bühnenprogramm mit Bewegung, mit Sketchen und oft auch mit Kostümierungen. Also es hat schon fast einen Revue-Charakter."

Darüber geht aber nie ihr Anliegen verloren, mit ihrer Musik einen kritischen Akzent zu setzen. Selbst in sehr alten Liedern verbirgt sich dafür oft noch ein aktueller Kommentar.

Christa Bröcher: ""Ich liebe zum Beispiel den Psalm 58 von Schütz sehr. 'Wie nun ihr Herren, seid ihr stumm, dass ihr kein Recht könnt sprechen?', ist der Text davon. Und wenn man bedenkt, dass der im 16. Jahrhundert geschrieben wurde, und dann sieht, wie aktuell diese Fragen heute noch sind, finde ich es manchmal auch erschreckend."


Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.