Musik

Hochkultur inmitten des Grauens

Blick durch Stacheldraht auf die Gebäude des 1941 von der SS errichteten Konzentrationslagers im tschechischen Theresienstadt.
Blick durch Stacheldraht auf die Gebäude des 1941 von der SS errichteten Konzentrationslagers im tschechischen Theresienstadt. © picture alliance / dpa
Von Stefan Zednik · 16.10.2014
Die tschechischen Komponisten Pavel Haas, Victor Ullmann, Hans Krása waren im Ghetto Theresienstadt interniert. Hier schufen sie einige ihrer wichtigsten Werke, nahmen Teil am musikalischen Leben, bis sie am 16. Oktober 1944 in die Vernichtungslager deportiert und dort umgebracht wurden.
Er war eines der perfidesten Produkte nationalsozialistischer Propaganda, der kurze Streifen mit dem Titel: "Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet." Für die Beruhigung der Weltöffentlichkeit gedacht, zeigt der in dem Ghetto gedrehte Film ein selbstverwaltetes Leben in angeblich schönster kultureller Blüte.
"Die reich ausgestattete Zentralbücherei enthält neben schöngeistiger auch reichhaltige wissenschaftliche Literatur und wird den verschiedensten Ansprüchen gerecht."
In Wahrheit war die ehemalige Militärstadt unweit von Prag längst zum Konzentrationslager umfunktioniert worden. Ihr Hauptzweck, spätestens seit der Wannsee-Konferenz im Januar 1942: Ein Durchgangslager für den Transport in die Vernichtung, vor allem nach Auschwitz. Der Außenwelt, etwa dem auf eine Inspektionserlaubnis drängenden internationalen Roten Kreuz, versuchte man ein völlig anderes Bild zu vermitteln.
"Musikalische Darbietungen werden von allen Kreisen der Einwohnerschaft gerne besucht. In einem Konzert wird ein Werk eines in Theresienstadt lebenden jüdischen Komponisten aufgeführt."
Raum zum Komponieren und Musizieren
Tatsächlich konnten jüdische Musiker, wenn auch unter extremsten Bedingungen, hier komponieren, proben und musizieren. Unter ihnen Pavel Haas, Victor Ullmann und Hans Krása, drei schon vor 1933 in der internationalen Musikszene bekannte Komponisten. Sie hatten eine große Zahl von qualifizierten Musikern, Sänger wie Instrumentalisten, zur Verfügung, und die SS gestattete der jüdischen Lagerleitung die Organisation von Konzerten, Theater- und gar Opernaufführungen. Von den von Pavel Haas in Theresienstadt geschaffenen Kompositionen ist keine erhalten, doch der Kollege Ullmann, im Lager auch als Musikkritiker tätig, beschrieb ein Konzert mit dessen Musik:
"Haas' Musik ist durchaus zu bejahen, sie ist spielend-kraftvoll, ungezwungen mehrstimmig, durchsichtig im Klaviersatz, interessant und graziös. Ich gebe der kleinen Air den Preis, ohne darum die anderen Suitensätze herabsetzen zu wollen. Bernhard Kaff spielt die Partita mit Elan und meisterlich."
Victor Ullmanns in Theresienstadt komponierte Oper "Der Kaiser von Atlantis", eine Allegorie auf die Diktatur, wurde zwar verboten, doch zahlreiche andere Werke erfuhren hier ihre ersten Aufführungen. Dies galt insbesondere für Kammermusik, etwa Ullmanns Klaviersonate Nr. 7.
Es war eine ebenso skurrile wie grausame Situation: das Nebeneinander von Hochkultur auf der einen, Hunger und Krankheit, Tod und Verzweiflung auf der anderen Seite. Ein Widerspruch, der auch in einem Aufsatz Ullmanns mit dem Titel "Goethe und Ghetto" zum Ausdruck kam.
"Ich habe in Theresienstadt ziemlich viel neue Musik geschrieben, meist um den Bedürfnissen der Freizeitgestaltung des Ghettos zu genügen. Zu betonen ist nur, dass ich in meiner musikalischen Arbeit durch Theresienstadt gefördert und nicht etwa gehemmt worden bin, dass wir keineswegs bloß klagend an Babylons Flüssen saßen und unser Kulturwille unserem Lebenswillen adäquat war."
Tod in Auschwitz
Eines der erfolgreichsten Stücke in Theresienstadt war die Kinderoper "Brundibar" von Hans Krása. Noch in Freiheit komponiert, erlebte das Stück um den Widerstand zweier Geschwister gegen die Kaltherzigkeit der Erwachsenenwelt erst im Ghetto seine Premiere - und weitere 52 Aufführungen. Die Schlussszene ist in jenem unsäglichen Propagandafilm festgehalten.
Im Herbst 1944, nach Beendigung der Filmaufnahmen und zu der Zeit, als Ullmann seinen Aufsatz schrieb, hatten die Gerüchte vom Vorrücken der Roten Armee, dem gescheiterten Attentat auf Hitler und der Landung der Amerikaner auch die Insassen des Lagers erreicht. Die Hoffnung keimte auf, das Grauen könnte endlich ein baldiges Ende haben. Doch es kam anders: Ende September begannen die großen Deportationen, mit der vom 16. Oktober 1944 wurden auch die drei bekanntesten tschechischen Komponisten nach Auschwitz verbracht und wenige Tage später in den Gaskammern ermordet. Und mit ihnen starb ein Großteil der hier, gedacht zur Täuschung der Weltöffentlichkeit, fröhlich singenden Kinder.
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