Musik als Propagandamittel

Jochen Müller im Gespräch mit Katrin Heise · 16.06.2011
Musik ist ein wichtiges Identifikationsmittel für Jugendliche. Das haben auch die radikalislamistischen Salafiten erkannt, sagt der Islamwissenschaftler Jochen Müller. Diese Art der Musik sei ein Feind der Demokratie.
Katrin Heise: Musik schafft ein Zusammengehörigkeitsgefühl, Identifikation, kann Auflehnung sein, Musik will provozieren. All diese Aufgaben hat Musik vor allem für Heranwachsende. Das macht sie besonders geeignet, bestimmte Botschaften zu vermitteln. Nicht ohne Grund bringen Neonazis ihre CDs auf Schulhöfen in Umlauf. Aber mit Musik lassen sich alle Arten von Botschaften und Ideologien transportieren, auch radikal-islamistisches Gedankengut.

Islampop, oder grüner Pop, wegen der Farbe des Propheten, ist international auf dem Vormarsch, auch in Deutschland. Wo die Grenze zwischen Frömmigkeitsbekundung, Provokation und dem Transport gewalttätiger, menschenverachtender, barbarischer Weltanschauung ist, damit beschäftigt sich Jochen Müller, Islam-Wissenschaftler und Gründer von Ufuq.de, einer Diskussionsplattform Jugendkultur, Medien und politische Bildung in der Einwanderungsgesellschaft. Schönen guten Tag, Herr Müller!

Jochen Müller: Guten Tag!

Heise: Ich schlage vor, Herr Müller, dass wir – damit wir im Ohr haben, worüber wir reden, erst mal einen Ausschnitt hören, und zwar aus einem Song von Abou Maleeq, früher bekannt als Rapper Deso Dogg.

[Musikeinspielung]

Ein Ausschnitt war das aus einem Titel von Abou Maleeq, dem früheren Rapper Deso Dogg – übrigens ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen unberechtigten Munitionsbesitzes. Herr Müller, das, was wir da eben gerade gehört haben, war das sozusagen die extremistische Spitze der islamistischen Musik?

Müller: Das kann man so formulieren, dass es sich um die extremistische Spitze von islamistischer Musik handelt. In dem Stück, das wir gehört haben, von Abou Maleeq, der ja ein Gangster-Rapper aus Berlin gewesen ist, der jetzt zum islamischen Prediger und Sänger quasi umfunktioniert worden ist, sind typische Motive radikalislamistischer Ideologie, die da auftauchen; also etwa das Bild, dass der Islam und die Muslime überall auf der Welt bekämpft werden. Sie zerstören unseren (?), heißt es da, sie zerstören unsere Religion, und daraus leiten Salafiten – um die handelt es sich hier, diese radikalislamistische Strömung der Salafiten –, die Radikalen leiten daraus ab die Berechtigung, weil man unterdrückt wird, weil man verfolgt wird, selbst sich zu wehren und in den Krieg zu ziehen, und dazu fordert Abou Maleeq hier in diesem Gesang ganz eindeutig auf. Er sagt, wandert aus, wandert aus, geht nach Afghanistan und zieht in den Krieg gegen die Ungläubigen, wie er sagt.

Heise: Wen will er damit erreichen, für wen singt er das?

Müller: Er singt das vor allem für Jugendliche, und insofern ist das auch ganz typisch für die salafitische Szene, diese Gangster-Rapper – also, das versprechen sich die Salafiten von jemandem wie Abou Maleeq –, der ist populär bei Jugendlichen, die nicht besonders religiös sein müssen, die sich aber vom ihm quasi eine Anleitung erwarten.

Heise: Hat er die mitziehen können, von seinem Gangster-Rapper-Dasein jetzt in diese Predigerstellung?

Müller: Also, bei einigen Jugendlichen dürfte das auf jeden Fall so sein, weil viele Jugendliche, die auf der Suche nach Identität sind – gerade vor dem Hintergrund ihrer Situation auch in der deutschen Gesellschaft, wo sich viele unterdrückt, nicht anerkannt fühlen – sind viele auf der Suche nach Information zum Beispiel über den Islam, weil sie den Islam, auch wenn sie nicht besonders religiös sind, für einen wichtigen Aspekt ihrer Identität begreifen. Sie suchen nach Informationen, und sie suchen die auch vor allem im Internet. Und dort stoßen sie sehr stark – weil das Internet ist voll mit der salafitischen Propaganda – dort stoßen sie auf diese Videos von Salafiten, die erklären: Wir repräsentieren den wahren Islam! Und dort ist so ein Sänger wie Abou Maleeq natürlich eine Figur, an der sich einige Jugendliche zumindest dann auch orientieren.

Heise: Das heißt aber, solche Musik kann jetzt beispielsweise nicht normal vertrieben werden. Die muss man sich so auf Wegen im Internet suchen?

Müller: Die ist vor allem im Internet präsent, und Jugendliche sind im Wesentlichen im Internet unterwegs, wenn sie auf der Suche auch nach Informationen sind. Das hat auch damit zu tun, dass viele Jugendliche, wenn sie auf der Suche nach Informationen sind, sich oft nicht an ihren örtlichen Imam zum Beispiel, also in der Moschee wenden können, zum Beispiel, wenn der nicht genügend Deutsch versteht, und auch die Eltern sind oft nicht in der Lage, ihnen die Informationen zu geben, die sie sich wünschen, weil sie sich als Muslime verstehen und dort nach Informationen suchen. Deswegen suchen sie im Internet und stoßen dort auf die Salafiten.

Heise: Übrigens, diese Art des Gesanges – diese doch eher Predigt eigentlich –, hat diese Art des Gesanges mit den Inhalten auch zu tun? Denn ich kann mir vorstellen, so, dieser Gangster-Rap ist unter Salafiten wahrscheinlich gar nicht richtig erlaubt.

Müller: Nein, der Gangster-Rap ist unter Salafiten ganz und gar nicht erlaubt. Abou Maleeq, also ehemals Deso Dogg, der erklärt auch ganz klar, dass er sich von dieser Welt des Gangster-Raps, in der er vorher gelebt hat, verabschiedet habe, also diese Welt aus Sex and Drugs and Rock'n'Roll, wenn man so möchte, die Welt der Straße, in der es darum geht, mit Frauen, mit Autos, materialistischer Welt zu protzen, von der hat er sich verabschiedet.

Und das ist auch Teil der Ideologie der Salafiten, die diese Welt als Ausdruck der dekadenten, materialistischen westlichen Welt beschreiben, und die Musik ist für sie ein Teil dieser Welt, und von der grenzen sie sich ganz stark ab. Es geht bis dahin, dass Musik insgesamt – das begründen Salafiten, einige von ihnen jeweils dann auch religiös, das heißt, aus religiösen Quellen - Musik ist insgesamt – also das Spielen von Instrumenten – für viele Haram, das heißt auch religiös verboten.

Heise: Islamistische Predigt im musikalischen Gewand – unser Thema im Deutschlandradio Kultur mit dem Islamwissenschaftler Jochen Müller. Herr Müller, viel mehr Hörer erreicht wahrscheinlich dann doch ein Rapper im alten Gewande, nämlich wie Bushido. Wenn ich mal aus einem seiner Texte zitiere, einem Song zum elften September, dann heißt es da: "Der elfte September, der Tag der Entscheidung. Ich bin dieser Junge, über den man las in der Zeitung. Wenn ich will, seit ihr alle tot, ich bin ein Taliban, ihr Missgeburten habt nur Kugeln aus Marzipan." Und das klingt dann auch sehr martialisch. Was steckt dahinter? Wie gefährlich ist das?

Müller: Das ist ein ganz anderes Publikum, an das sich Bushido da in so einem Stück wendet; das ist die reine Provokation. Es geht hier schlicht und einfach darum, jungen Männern vor allem ein Bild von Stärke, Macht und Autonomie zu vermitteln, jungen Männern, die in der Regel genau dieses vermissen, also Formen von Selbstwirksamkeit, von Autonomie, von Perspektiven in ihrem eigenen Leben, und er benutzt dort das Bild vom elften September, um quasi genau diese Macht, diese Autonomie und die Gewalt zu symbolisieren, die sich viele Jugendliche – wie gesagt, insbesondere junge Männer – wünschen.

Heise: Wenn Sie sagen, provozieren, ist es dann nicht so ernst zu nehmen, oder für wie gefährlich halten Sie das?

Müller: Diese Musik bedient sich religiöser Termini, religiöser Bilder, hat aber mit Religiosität überhaupt nichts zu tun. Ich sehe das nicht als besonders gefährlich an, im Unterschied allerdings zu den Provokationen von salafitischen Musikern, die natürlich auch auf der einen Seite provozieren wollen, aber auf der anderen Seite geht es da eben nicht nur um Provokation, sondern es geht da ganz konkret darum, Jugendliche und junge Erwachsene zu mobilisieren bis dort hin, sie eben aufzufordern, nach Afghanistan in den Krieg zu ziehen. Das ist bei Bushido ganz anders.

Heise: Ab wann, würden Sie denn sagen, ist Musik sozusagen ein Feind der Demokratie – das ist ja so eine Frage, die heute auf der Tagung auch erörtert werden soll.

Müller: Musik ist dann ein Feind der Demokratie, wenn sie dazu auffordert, andere abzuwerten, andere zu bekämpfen, andere zu diskriminieren, das heißt, Gleichheitsgrundsätze der demokratischen Gesellschaft in Frage zu stellen. Und dazu dient diese Musik, die wir hier eben gehört haben, von radikalen salafitischen Strömungen in jeden Fall.

Heise: Jetzt haben wir zwei Ausschnitte gehört beziehungsweise zitiert, die in deutscher Sprache angeboten werden. Aber ich denke, auch diese Rapmusik wird ja nicht unbedingt die große Masse der vielleicht auch migrantischen Jugendlichen anziehen. Es gibt auch noch was anderes, nämlich den Islampop. Was verbirgt sich da eigentlich dahinter?

Müller: Das ist eine ganz andere Strömung, das sind auch ganz andere Jugendliche. Hier handelt es sich nämlich um wirklich religiöse Jugendliche, die ihre Religion auf eine ganz bestimmte Art und Weise leben, die sehr stark friedensorientiert sind, die sehr stark auf Dialog orientiert sind, die aus ihrer Religion ein moralisch einwandfreies, ein gutes Leben in dieser Gesellschaft ableiten, und da gibt es auch eine ganz große musikalische Industrie, die von den Salafiten im übrigen ganz klar abgelehnt wird. Für die ist auch diese Musik eindeutig Haram, weil sie zum Beispiel Verführung enthalten könnte, weil dort mit Instrumenten gearbeitet wird, et cetera.

In dieser Popmuslim oder Popislam – wie man das mittlerweile nennte –, da gibt es auch einige Stars. Sami Yussuf ist etwa einer, den man als Weltstars beschreiben könnte, der hier in Deutschland die Hallen füllt, der aber auch überall in der arabischen und türkischen Welt. Und der vertritt wie gesagt ein Bild vom Islam zwischen Moderne und Tradition, das wird da verbunden, es geht um einen Islam, in dem man Karriere macht, aber gleichzeitig auch einen Islam, der eine – würde ich sagen –, eine konservative Weltanschauung oder ein konservatives Weltbild enthält. Auch dort geht es um ... sexuelle Freizügigkeit wird da abgelehnt, Sexualität vor der Ehe zum Beispiel, auch dort geht es um Bekleidung et cetera – aber nicht in dieser rigiden, krassen und abwertenden Form, wie das bei den Salafiten der Fall ist.

Heise: Wie soll die Deutsche Gesellschaft eigentlich mit diesen unterschiedlichen Musikstilen, die ja doch einiges transportieren, umgehen?

Müller: Erst mal gilt es, zu differenzieren. Das ist ganz wichtig! Auf der einen Seite haben wir die radikal-salafitischen Musiken – beziehungsweise Musik ist ja da letztendlich nur der Ausdruck einer bestimmten Ideologie –, und da gilt es ganz klar, zu intervenieren, und zwar sowohl pädagogisch und politisch, als auch im Extremfall geht es dann natürlich um sicherheitspolitische Fragen. Wenn es darum geht, dass wir wissen, dass einige Dutzend von Anhängern dieser Strömung derzeit in Ausbildungslagern in Afghanistan und Pakistan sitzen.

Da muss man ganz klar differenzieren zwischen diesen radikal-salafitischen Strömungen auf der einen Seite und diesen popmuslimischen, wo ich in größtem Umfang sagen würde, das ist in keiner Weise demokratiefeindlich, sondern im Gegenteil, kann man beinahe sagen, dient, indem Jugendliche und junge Erwachsene sich auf die Religion, auf den Islam beziehen, auch ein Kampf und ein Ringen um Anerkennung. Und zwar um Anerkennung hier in Deutschland als Muslime, als deutsche Muslime hier zu leben.

Heise: Aufklärung also ist erst einmal notwendig, dazu wird ja wahrscheinlich heute die Tagung beitragen. Der Brandenburger Verfassungsschutz lädt heute zu einer Tagung über Extremisten und Musik ein. Jochen Müller, Islamwissenschaftler und Gründer von ufuq.de, einer Diskussionsplattform über Jugendkultur, Medien und politische Bildung in der Einwanderungsgesellschaft hat uns Auskunft darüber gegeben, wie es auf der islamischen Seite aussieht, was die Musik anbetrifft. Herr Müller, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!

Müller: Vielen Dank!