Museen jenseits der Norm (5)

Ein würdiger Platz für misslungene Kunst

Mitbegründerin Louise Sacco in einem der drei Ausstellungsräume des Museums of Bad Art in Somerville bei Boston im US-Bundesstaat Massachusetts
Mitbegründerin Louise Sacco in einem der drei Ausstellungsräume des Museums of Bad Art © Deutschlandradio / Jürgen Kalwa
Von Jürgen Kalwa · 05.08.2016
Es ist mehr als der bizarre Spaß von ein paar Kunstliebhabern: Seit fast zehn Jahren gibt es in Boston das Museum of Bad Art. Dort können interessierte Menschen ihr Auge schulen - indem sie schlechte Kunst betrachten.
Schon der Weg hinab in den Keller in dem alten Gebäude am Davis Square ist so etwas wie Programm. Oben, in vier Kinosälen, laufen Filme mit einem Off-Broadway-Gefühl für ein junges, studentisches Publikum. Unten erlischt – gleich hinter den Toiletten und einer Abstellkammer – jeder Glamour. Das Souterrain vom Somerville Theatre bietet nicht mehr als nackte weiße Wände und derbes Neonlicht.
Das Ambiente schreckt die Macher des Museum of Bad Art, dem Museum für schlechte Kunst, nicht ab. Der große Raum kostet keine Miete. Genauso wie die beiden anderen Ausstellungsorte. Ebenfalls an der Peripherie von Boston. Zumal: Das Projekt hat längst eine gewisse Reputation, sagt Louise Sacco. Sie ist Mitbegründerin und nennt sich – höchst selbstironisch – "ständige geschäftsführende Interimsdirektorin":
"Wir waren auf der Titelseite des 'Wall Street Journal'. In der Londoner 'Times'. In 'Die Welt'. In jedem Bordmagazin, das ich kenne. Und in welchen, von denen ich noch nie gehört habe. Vermutlich 150 Radio- und 100 Fernsehstationen haben weltweit berichtet.”
Mit anderen Worten: Schlechte Kunst geht ganz gut.

Ein kunsthistorisch frisches Thema

Das Museum schickte sogar schon eine Wanderausstellung auf Reisen. Nach Taiwan, wo neugierige Chinesen wissen wollten, was Amerikaner wohl unter "Bad Art” verstehen.
Die Neugier kann man nachvollziehen. Denn kunsthistorisch ist das Thema noch sehr frisch. Louise Sacco und ihre Freunde, die das Projekt auf die Beine gestellt haben und ehrenamtlich betreiben, sind echte Pioniere.
Es begann alles damit, dass der Antiquitätenhändler Scott Wilson 1994 die Straßen von Boston durchkämmte, an einem Tag, an dem die Leute Sperrmüll auf die Straße stellten. Da entdeckte er ein Gemälde, an dem ihn eigentlich nur der Rahmen interessierte. Das Bild selbst wollte er wegwerfen:
"Mein Bruder Jerry, einer von Scotts Freunden, hat ihm gesagt: 'Mach das nicht. Das ist so schlecht, dass es schon wieder gut ist.' Das war 'Lucy in the Sky with Flowers', auf dem eine ältere Frau vor einem gelben Himmel...vielleicht sitzt oder steht oder auch tanzt. Nichts passt zusammen. Und wo du dich fragst: Was hat sich der Künstler gedacht? Jerry hat das Bild in seinem Haus aufgehängt, und Freunde halfen ihm, weitere zu finden – in Trödelläden, bei Wohnungsauflösungen, im Müll. Und so entstand diese Sammlung."

Was ist gut an schlechter Kunst?

Was an schlechter Kunst gut sein soll, ist vermutlich die Kernfrage überhaupt. Wie grenzt man sich konsequent ab – zum Beispiel von den Autodidakten von Kategorien wie naiver Malerei oder Folk Art? Es gibt da ein paar Anhaltspunkte. Louise Sacco:
"Folk Art und Naive Malerei sind gar nicht unbedingt schlecht. Da mangelt es einfach nur an handwerklichem Können. Wir halten uns aber bewusst von naiver und abstrakter Malerei fern. Und von dem, was Kinder machen. Wir interessieren uns auch nicht für die Arbeiten von Kunststudenten. Und auch nicht für Kitsch, wo schlechter Geschmack bewusst eine Rolle spielt."
Nicht zu vergessen jene billige Landschaftsmalerei, die in Kaufhäusern oder Touristendestinationen angeboten werden.
"Das ist für uns industrielle Kunst. Eigentlich ist es gar keine Kunst.”
Also fragen wir andersherum: Woran erkennt man die gute schlechte Kunst?
"Uns geht es um Malerei, wo der Erschaffer etwas ernsthaft versucht hat, aber irgendetwas schief lief. Viele unserer Künstler haben Probleme mit Händen oder Füßen. Oder sie haben ein beachtliches Können, aber sind bei der Bildkomposition in einen Irrgarten geraten."

Gemälde als Doppelgänger

Das lässt sich am anschaulichsten mit Ausstellungen zu bestimmten Sujets und Themen demonstrieren.
"Wir hatten Religion. Und Nacktheit. Zur Zeit zeigen wir 'Doppelhänger', angelehnt an den Begriff Doppelgänger. Wir haben gemerkt, dass viele unserer Gemälde Fotos nachempfunden sind, vor allem Bilder aus den Nachrichten.”
Sacco macht sich übrigens keine Hoffnungen, dass sie mit ihrem Projekt den Marktwert der Bilder ihrer unbekannten Künstler steigern wird. Oder dass Fachleute gar in einigen Werken eine bislang nicht gesehene, wertvolle Qualität erkennen:
"Our art? Every authority agrees that none of this is good. None of it is ever going to make into a museum.”
Jeder Experte bestätigt, dass nichts von unserer Kunst gut ist. Nichts davon wird jemals in einem Museum hängen. In einem richtigen Museum.

"Fazit"-Sommerreihe "Sonder-Ausstellung: Museen jenseits der Norm". Vom 1. bis zum 6. August stellen wir Museen vor, die nicht unbedingt groß in der Öffentlichkeit stehen, die kurios sind, manchmal auch schräg, in jedem Fall aber ungewöhnlich.

Museen im Porträt:
1.8. Museum für das Unterbewusstsein in Wiesbaden
2.8. Museum sowjetischer Spielautomaten in Moskau
3.8. Museum für Bestattungskultur in Novosibirsk
4.8. Phallusmuseum in Reykjavik
5.8. Museum of Bad Art in Boston
6.8. Spedale degli Innocenti in Florenz