Muhterem Aras

Die grüne Stimmenkönigin

Muhterem Aras mit einer großen Glocke in der Hand am Tisch der Landtagspräsidentin im Landtag von Baden-Württemberg.
Muhterem Aras schreibt Geschichte: Die Grüne leitet als erste Frau mit Migrationshintergrund ein deutsches Landesparlament, den baden-württembergischen Landtag. © Andreas Kaier
Moderation: Matthias Hanselmann · 30.05.2016
Muhterem Aras schreibt Geschichte: Baden-Württembergs neue Landtagspräsidentin ist die erste Frau mit Migrationshintergrund in einem solchen Amt.
Seit Mitte Mai sitzt Muhterem Aras dem baden-württembergischen Parlament mit seinen 143 Abgeordneten vor. Sie sei Politikerin aus Leidenschaft und sehr stolz dieses hohe Amt, übernehmen zu dürfen:
"Ich finde es einfach gut, dass es in dieser Gesellschaft möglich ist, dass jemand wie ich, der eindeutig auch sichtbar nicht ursprünglich aus diesem Land stammt, der keine deutschen Eltern hat, aber der sehr wohl sich als Deutscher fühlt und in dieser Gesellschaft eingebracht hat, Verantwortung übernommen hat, dass auch die Türen für solche Menschen offen sind. Wir sind eine plurale, vielfältige Gesellschaft – glücklicherweise. Und wir alle gemeinsam bereichern diese Gesellschaft. Wir haben eine wunderbare Verfassung, Grundwerte von denen viele andere auf der Welt nur träumen würden und alles dafür hergeben würden. Und deshalb geht es mir wirklich darum, dass wir eine Debatte führen in den nächsten Jahren, was macht diese Grundwerte so besonders, und warum lohnt es sich, für diese Grundwerte wirklich auch zu kämpfen und dass es keinen Automatismus gibt, dass diese Grundwerte, weil wir sie einmal haben, immer bestehen können. Und diese Debatte würde ich gerne führen."
Das Amt der Landtagspräsidentin ist vorläufiger Höhepunkt einer Bilderbuchgeschichte der gelungenen Integration: Aras war zwölf, als sie mit ihren Eltern aus einem Dorf in Ostanatolien Ende der 70er Jahre nach Deutschland kam. Während ihre Mutter noch heute Analphabetin ist, startete ihre Tochter in der neuen Heimat durch: Sie machte Abitur und studierte. Als Mutter von zwei Kindern gründete sie 1999 als erste Deutsch-Türkin in ganz Baden-Württemberg ein Steuerberatungsbüro mit inzwischen 10 Mitarbeitern. Im Rückblick sagt sie, ohne die große Unterstützung ihrer Eltern – insbesondere ihrer Mutter – hätte sie das nie geschafft: "Beide hatten einfach eine Perspektivlosigkeit in ihrer eigenen Heimat erfahren, und waren deshalb so dankbar für diese deutsche Gesellschaft, die Freiheiten gewährt und die einfach auch Bildung ermöglicht und damit Perspektiven und Aufstiegsmöglichkeiten."

Haltung zeigen

Ihr reichte es aber nicht, nur beruflich Karriere zu machen. Nach den ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock 1992 hatte Aras den Eindruck, auch sie müsse sich politisch engagieren, um den Hass gegenüber dem Fremden abzubauen. Sie wurde Mitglied der grünen Partei. Ihr Wahlkreis liegt mitten in Stuttgart. "Grüne Stimmenkönigin" wird sie genannt, weil sie schon 2011 ein Rekordergebnis erzielte. Bei den Landtagswahlen vor gut zwei Monaten errang sie sogar das beste Ergebnis aller Abgeordneten in ganz Baden-Württemberg.
Gefragt nach ihrem Erfolgsrezept antwortet sie: Anwesenheit im Wahlkreis nicht nur zu Wahlkampfzeiten und "Haltung zeigen". Toleranz hingegen fordert die zur Glaubensgemeinschaft der Aleviten gehörende Aras beim Thema Religion:
"Ich finde es einfach gut, dass wir in Deutschland eine Religionsfreiheit haben und diese Religionsfreiheit - auch wenn manche Parteien es nicht wahrhaben wollen-, die gilt natürlich für alle Religionen und nicht nur für die christliche Religion. Entscheidend ist, dass alle Religionen – egal welche – sich im Rahmen dieses Grundgesetzes bewegen. Und wer das macht und seine Religion ausübt im Rahmen dieser Verfassung, vor dem habe ich Respekt und Anerkennung – alles. Aber man muss natürlich auch die Freiheit haben, dass jemand sagt, ich bin Atheist, oder ich glaube nicht oder was auch immer."