Mugabes letztes Gefecht

Von Claus Stäcker · 18.10.2012
Seit fast vier Jahren muss Simbabwes greiser Diktator Robert Mugabe die Macht mit seinen Erzrivalen von der Bewegung für Demokratischen Wandel teilen. Ein Abkommen verpflichtet beide Lager zu einer schrittweisen Demokratisierung. Weit ist das Land bisher damit aber nicht gekommen.
Sie stand nie unter einem guten Stern, Simbabwes künftige Verfassung, eine demo-kratische, die erste überhaupt. Sie ist Voraussetzung für wirklich freie, faire Wahlen. So ist es vereinbart zwischen den großen politischen Kräften des Landes, auf Druck von außen.

Drei Jahre ist gerungen worden um das Dokument, mehr als heftig: Ein parlamentarisches Komitee, COPAC, zog über Land und versuchte, die Meinung des Volkes einzuholen. Diese heimlichen Tonaufnahmen der ARD dokumentieren, wie es zuging bei diesen Volksbefragungen. Gerade wird die COPAC-Delegation von Robert-Mugabe-Anhängern beschimpft und bedroht. Die Auseinandersetzung gipfelt in einem Faustkampf.

Ständig versuchten Provokateure der Mugabe-Partei ZANU-PF, den verfassungsbildenden Prozess zu torpedieren. Soll die Amtszeit des Präsidenten begrenzt und ein Höchstalter festgelegt werden? Soll er schier unbegrenzte exekutive Vollmachten haben wie bisher oder der Premierminister Regierungschef sein? Sollen Provinz-Gouverneure direkt gewählt werden oder nicht? Die Dörfler wussten meist gar nicht so genau, worum es ging. Politisch geschulte Kader, oft aus der Hauptstadt Harare herangekarrt, übernahmen die Meinungsführerschaft.

"Es gibt nur einen Präsidenten", ruft da jemand dazwischen. Und meint natürlich Robert Mugabe. "Wozu noch Vizepräsidenten und Premierminister", ergänzt eine Genossin. Drei Jahre ging das so, und der Prozess schien zum Scheitern verurteilt. Prominente Verfassungsstreiter zogen sich zurück, weil das Volk in einem Klima der Angst nicht wirklich mitreden, geschweige denn mitentscheiden könne. Zanu-PF und die beiden Splitterparteien der Bewegung für Demokratischen Wandel (MDC) hätten den Verlauf der Debatte bestimmt. In der Tat wurde gefeilscht, gestritten, gezerrt, taktiert und gehandelt zwischen den Dreien, die seit 2009 gemeinsam regieren - und doch kam am Ende eine Einigung zustande. Der Verfassungsentwurf liegt vor! Und der Politik-wissenschaftler Professor John Makumbe von der University of Zimbabwe findet schon das erstaunlich genug:

"Als das COPAC-Komitee gegründet wurde, waren die Hardliner der Zanu-PF, wie Jonathan Moyo, der Ansicht, dass dieser Prozess scheitern würde. Jetzt aber setzt sich COPAC durch und vollendet den Entwurf - und die Falken sind schockiert. Sie wollen erreichen, dass der Prozess scheitert."

Bis heute dient das "Lancaster House Agreement" Simbabwe als Grundgesetz, mit dem vor 33 Jahren der Übergang Südrhodesiens in die Unabhängigkeit geregelt wurde. Robert Mugabe, 88 inzwischen, und seine Partei , die drei Jahrzehnte praktisch allein herrschte, ließ den Lancaster-Vertrag 19 mal ändern. Immer zu seinen Gunsten. Das Interesse an einem neuen, fairen, demokratischen Grundwertekatalog ist bei den Seinen nicht besonders groß.

"Wir sind eine erleuchtete Partei, und wir werden nichts als beschlossen akzeptieren, solange es nicht endgültig ist und nicht das Prinzip durchgesetzt wurde, dass die Ansichten des Volkes einbezogen wurden."

Das sind ganz ungewohnte Töne des Autokraten. Volkes Meinung soll zählen? Seine Jugendbrigadisten preschen vor. Wie Yvonne Mutasa, die bei den Volksbefragungen dabei war:

"Es wurde doch einfach ignoriert, was die Menschen an der Basis eingebracht haben. Warum zum Beispiel Rechte für Homosexuelle? Fast 95 Prozent waren bei den Befragungen dagegen. Oder die Machtbefugnisse des Präsidenten. Das Volk hat laut und deutlich erklärt, dass es einen Präsidenten mit Regierungsvollmacht haben will, der Provinzgouverneure ernennt, den Noten-bankchef, den Generalstaatsanwalt - aber jetzt haben wir einen Entwurf, der dem Willen des Volkes fast völlig widerspricht."

Gerade dieser Punkt aber ist besonders umstritten: Wer wurde überhaupt gehört, wer traute sich aufzustehen in den Versammlungen unter den Argusaugen der Mugabe-Spione und Prügeltruppen? Linus Mushonga, Vize-Geschäftsführer der kleineren MDC-Abspaltung, war als Teamleiter bei den Volksbefragungen dabei. Aber wurde das Volk überhaupt befragt?

"Ich denke nicht, mein Bruder. Warum? Weil viele Leute gar nicht erst daran teilgenommen haben. Vielerorts war offensichtlich, dass nur die Parteizellen selbst präsent waren. Sie haben sich nicht mal die Mühe gemacht, die Ansichten der Bürger einzubeziehen. Wir wurden Zeuge, wie immer neue Inhalte angesprochen wurden, die nichts mit der Verfassung zu tun hatten. Die Leute wussten nicht, worum es überhaupt ging."

So blieb der Verhandlungsprozess zwischen den Parteien ohne größere Impulse von unten. Zugleich aber auch ohne Alternative: In vielen Punkten sind die beiden MDC-Fraktionen der ZANU-PF seither entgegengekommen. Zum Beispiel soll es kein Höchstalter für Präsidenten mehr geben, das Robert Mugabe ausschließen würde. Auch würden bei der Begrenzung der Amtszeit die bisherigen Regierungsjahre nicht berücksichtigt. Mugabe könnte also noch einmal antreten. Und er macht kein Geheimnis daraus, dass er das auch vorhat, wie er kurz nach seinem 88. Geburtstag im staatlichen Rundfunk ZBC verkündete:

"Die Menschen in all ihrer Weisheit, die Mitglieder unserer Partei, werden sicher jemanden auswählen, sobald ich sage, dass ich in den Ruhestand trete. Aber noch nicht jetzt. In meinem Alter habe ich doch wohl noch ein Stückchen vor mir, oder?"

Im selben Interview tönte Mugabe auch, dass er mit seiner präsidialen Allmacht Wahlen anordnen werde, notfalls auch ohne neue Verfassung. Ein Affront gegen die globale Regierungsvereinbarung, die ihm und der MDC die Staatengemeinschaft Südliches Afrika, SADC, 2008 auferlegt hatte. Ein Affront also gegen die Nachbarn, gegen den gesamten Verfassungsprozess. Eine Kampfansage an die Rivalen der MDC, an das ganze Volk!

"There must be elections!"

Simbabwe ist noch immer Mugabe-Land. Obwohl Morgan Tsvangirais MDC seit drei Jahren mitregiert. Aber gerade das hat seinem Ansehen und dem seiner Partei geschadet. Eine Studie, finanziert von der unverdächtigen US-Nichtregierungsorganisation Freedom House belegt: die Bewegung für Demokratischen Wandel hat dramatisch an Popularität verloren. Die nächste Wahl, selbst wenn sie frei und fair verläuft, wird nicht automatisch von den Mugabe-Gegnern gewonnen.

Die MDC fiel in der Wählergunst in nur 18 Monaten von 38 Prozent auf 20 Prozent, die Zanu-PF kletterte im Ansehen dagegen von 17 auf 31 Prozent. Mugabes Partei ist mit diesem Barometer natürlich hoch zufrieden, die Landreform und die Umverteilung der Wirtschaftsmacht in schwarze Hände würden vom Wähler endlich honoriert, frohlockte Zanu-PF-Sprecher Rugare Gumbo:

"Menschenrechte können die Simbabwer nicht essen! Mit guter Regierungsführung können sie nichts anfangen. Sie wollen Essen auf dem Tisch haben, es geht um das täglich Brot. Was hat die MDC dazu beizutragen? Die Menschen beginnen anzuerkennen, dass die MDC nichts zu bieten hat."
In der Tat gibt die MDC ein klägliches Bild ab zurzeit: Parteichef Tsvangirai ist in einen hässlichen Heirats- und Scheidungskrieg involviert - er sei in eine klassische Honigfalle getappt, freute sich ein Geheimdienstler. Tsvangirai entschuldigte sich bei seinen Anhängern. MDC-Minister bekleiden im Kabinett undankbare Posten und werden damit direkt für Misserfolge verantwortlich gemacht, einige Regierungsmitglieder und MDC-Räte wurden zudem bei korrupten Aktivitäten erwischt.

Mugabe ist im Aufwind und lässt das seine Gegner spüren. Gerade wurde Energieminister Elton Mangoma von der MDC verhaftet, weil er auf einer Kundgebung Mugabes Ansehen herabgewürdigt habe - eine Straftat in Simbabwe. Deshalb wollen Mugabe und Co. Wahlen so schnell wie möglich, die günstige Stunde nutzen, ohne lästige neue Verfassungshürden. Der Zanu-PF-Jugendsekretär Innocent Hamandishe spricht es am deutlichsten aus:

"Wir als Zanu-PF-Jugendliga, und das ist keine Drohung, sondern ein Ver-sprechen, wir werden diesen COPAC-Leuten eine Frist setzen. Und wir werden sie zwingen, sie einzuhalten. Tun sie das nicht, werden wir sie dazu bringen, den COPAC-Prozess zu beenden - und Wahlen ansetzen. Wir sind diese Scheinehe leid."

Und so stellen sie immer neue Forderungen an das vermeintliche Gesetzeswerk der Zukunft, obwohl ihre eigenen Leute in der parlamentarischen Verfassungskommission COPAC mitredeten und dem Dokument zustimmten. Plötzlich, nach all den Monaten zäher Diskussionen und Kompromisse, aber torpedierte die ZANU-PF den Ver-fassungsprozess. Ein durchsichtiges Manöver, findet Professor Makumbe von der Simbabwe-Universität in Harare.

"Der wahre Grund für die Ablehnung ist: Wo immer ‚Präsident‘ in dem Entwurf steht, gehen sie davon aus, dass Robert Mugabe gemeint ist. Der nächste Präsident könnte aber Morgan Tsvangirai heißen. Und der ist vielleicht damit einverstanden, dass die exekutiven Vollmachten des Präsidenten eingeschränkt werden. Die Zanu-PF ist gegen den Entwurf, weil sie überzeugt ist, dass er nur dazu dient, sie und Robert Mugabe zu entmachten."

Die Zanu-PF legte nun einen eigenen Entwurf vor: Die Todesstrafe soll plötzlich bleiben, das Abtreibungsverbot. Sogar die Prügelstrafe. Der Grundrechtekatalog ist verschwunden - vom Schutz gleichgeschlechtlicher Liebe mal ganz zu schweigen: Mugabe hat sie als abartig und unafrikanisch verunglimpft. Vor allem geht es aber um die Direktwahl der Provinzgouverneure, um die Dezentralisierung der Macht, Einschnitte bei den Ernennungsvollmachten und anderen Befugnissen des Präsidenten - die für Mugabe unannehmbar sind. Sein angeschlagener Rivale, Ministerpräsident Morgan Tsvangirai ist entsprechend aufgebracht:

"Der von unseren Zanu-PF-Kollegen eingebrachte Entwurf ist keine Ergänzung, sondern ein völlig neues Dokument, der allem widerspricht was die Menschen wollen und was zwischen uns vereinbart war. Eine totale Umkehrung sämt-licher Verhandlungsergebnisse!"

Tsvangirai, der trotz seiner Eskapaden, Führungsschwäche und dünner Programm-inhalte gute Chancen hat, Mugabe abzulösen, Tsvangirai weiß, dass er nur mit einigermaßen freien und fairen Wahlen eine Chance hat gegen seinen alten, aber immer noch mächtigen Gegner.

"Eine neue Verfassung ist die Basis für eine Reformierung Simbabwes, wenn dieser Prozess scheitert, sind auch freie und faire Wahlen gescheitert."

Der unabhängige Analyst Dr. Ibbo Mandaza sieht das genauso. Denn das unter Aufsicht der SADC-Nachbarstaaten 2009 geschlossene sogenannte "Globale Regierungsabkommen" lässt keinen Zweifel am Fahrplan.

"Eine neue Verfassung ist zwingend erforderlich! Ich glaube nicht, dass es Wahlen unter der alten Verfassung geben wird. Das Regierungsabkommen ist sehr eindeutig in dieser Frage. Und ich denke, auch den Politikern, Herr Mugabe eingeschlossen, ist klar, dass es eine neue Verfassung geben muss, bevor gewählt werden kann. So sehe ich das jedenfalls und so ist die Mehrheitsmeinung. Ich glaube, sogar in der Zanu-PF."

Das Volk, das kaum befragt wurde, soll also abstimmen jetzt. Das Referendum statt-finden. Über den ursprünglichen Entwurf, meinen die MDC-Anhänger. Vielleicht sogar über beide Entwürfe, halten andere für möglich. Der prominente Vorsitzende der unabhängigen Nationalen Verfassungsversammlung (NCA), Lovemore Madhuku, hat die Simbabwer aufgerufen, das Referendum wegen der Parteiendominanz zu boykottieren. Nicht viele sehen das so. Denn das würde Mugabe in die Hände spielen. Vimbai Gweshe, der aus Frust über die unversöhnlichen Positionen die NCA verlassen hat, ist für das Referendum.

"Die guten Dinge im Leben kommen nie von allein! Es liegen immer Stolper-steine, Bremsklötze und Hürden auf dem Weg. Die Leute sollten nicht länger ihre Zeit verschwenden, es ist wie ein Tsunami - sie können den Prozess nicht aufhalten, ob sie das gut finden oder nicht. Für mich ist klar, dass alle Simbabwer von der neuen Verfassung profitieren werden. Deshalb sollten wir jetzt unsere Parteibrillen absetzen und uns ermahnen, dass die Verfassung nicht für uns allein da ist, für unsere Partei, sondern für alle."

Halb Simbabwe ist unter 30 und nach der Unabhängigkeit geboren. Diese Jungen haben das Land nie ohne Robert Mugabe erlebt und können es sich auch schwer vorstellen. Am wenigsten aber kann es wohl der greise Herrscher selbst. Wie sagte er doch so aufgeräumt-diabolisch? - 'In meinem Alter kann ich doch wohl noch ein bisschen weitermachen, oder?'

Er ahnt wohl, dass auch seine Stunde schlägt, wenn das Volk über die Verfassung abstimmt, so unvollkommen sie auch sein mag. Es ist Mugabes letztes Gefecht. Dabei geht es gar nicht mehr um ihn. Es geht um das Simbabwe von morgen und übermorgen.
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