Mützenich: UN-Sicherheitsrat nimmt Palästinenserantrag ernst

Rolf Mützenich im Gespräch mit Gabi Wuttke · 24.09.2011
Die Initiative von Palästinenserpräsident Abbas habe neue Wege eröffnet, um zu ernsthaften Nahostverhandlungen zu kommen, lobt der außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich.
Gabi Wuttke: Mahmud Abbas braucht die Botschaft vor allem für die Palästinenser, dass es eine Zukunft gibt – eine Zukunft, die anders aussieht als die Gegenwart und die Vergangenheit. Sein Antrag auf Vollmitgliedschaft bei den Vereinten Nationen, er ist symbolisch. Trotzdem: Benjamin Netanjahu hat sich zu neuen Friedensverhandlungen ohne Vorbedingungen bereit erklärt, und das Nahost-Quartett will noch dieses Wochenende einen neuen Zeitplan für die Wiederaufnahme vorlegen. Auch Deutschland setzt weiter auf eine Verhandlungslösung mit Israel. Um 6:51 Uhr begrüße ich im Deutschlandradio Kultur Rolf Mützenich, den außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

Rolf Mützenich: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Ist das mehr als Symbolpolitik, wenn der UN-Sicherheitsrat schon am Montag über den Antrag debattieren will?

Mützenich: Na, es ist ja ein deutliches Zeichen, dass der Sicherheitsrat auch diesen Antrag ernst nimmt, insbesondere ernst nimmt auch auf die politischen Herausforderungen. Es scheint mir nicht so zu sein, dass er bereits am Montag auch zu einem Ergebnis kommen wird, also zu einer Abstimmung, aber auch das muss man in den nächsten Stunden noch mal abwarten.

Wuttke: Dürfte Ihrer Ansicht nach Abbas’ Wort vom palästinensischen Frühling den ersten Debattentermin in New York beschleunigt haben?

Mützenich: Das glaube ich schon, und ich glaube, das ist auch die Wirkung, die insbesondere diese Initiative hat, dass sie offensichtlich wieder einen Weg eröffnet hat, dass es zu ernsthaften Gesprächen kommt, dass sich auch die internationale Gemeinschaft mit ihren Institutionen Sicherheitsrat, Nahost-Quartett auch wieder sehr stark eingeschaltet hat. Und wir sehen ja auch, offensichtlich hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen fast ja nur noch dieses Thema auf der Tagesordnung. Das sind schon wichtige Bedingungen, die aus dieser Initiative abzuleiten sind.

Wuttke: Was sagt das denn über die Vereinten Nationen als Institution aus?

Mützenich: Na, insbesondere – und ich glaube, das ist richtig –, dass dieses Weltparlament, was ja jetzt sozusagen zwar als Vertreter der Staaten immer am Ende des Jahres zusammentritt, natürlich weiterhin – und das haben wir seit Jahren, die Agenda Israel/Palästina – auf der Tagesordnung hat. Aber offensichtlich ist eben auch auf der palästinensischen Seite der Eindruck gewachsen, dass man eben nicht alleine nur durch Gespräche, sondern auch durch konkrete Forderungen hier vorankommt, und das haben ja auch die letzten Tage gezeigt.

Wuttke: Aber war es klug, vor diesem Forum zur Wiederaufnahme von neuen Friedensverhandlungen den Stopp des israelischen Siedlungsbaus zu fordern, wie Abbas es getan hat?

Mützenich: Ich glaube schon, insbesondere hat ja auch der amerikanische Präsident im letzten Jahr genau auf diese Frage auch hingewiesen. Auch im Nahost-Quartett besteht Einigkeit darüber, dass insbesondere der Siedlungsbau neben anderen Fragen ein großes Hindernis für die Friedensgespräche, aber auch für ein möglicherweise Friedensabkommen ist. Die Frage der Grenzen von 1967 ist in den letzten Monaten in die Diskussion eingeführt worden, und wir haben ja auch sehr stark von der internationalen Gemeinschaft die Quasi-Staatlichkeit im Westjordanland, also der Regierung Fajad unterstützt, und ich glaube, das sind sozusagen auch die Folgewirkungen auf den Antrag.

Wuttke: Der israelische Ministerpräsident hat einmal mehr angekündigt, keine Vorbedingungen zu stellen, ich hab es schon erwähnt, sehen Sie das angesichts der jetzt schon sichtbaren Folgen des arabischen Frühlings für Israel anders als in den Jahren zuvor?

Mützenich: In der Tat, und die israelische Regierung, ich glaube weniger die israelische Bevölkerung nimmt eher die Risiken wahr, die aus dem arabischen Frühling da sind, die es offensichtlich auch gibt. Das Problem ist nur, der arabische Frühling ist nicht wegen des Konflikts zwischen Israel und Palästina entstanden, sondern wegen innenpolitischer, wegen sozialpolitischer Herausforderungen, und jetzt kommt offensichtlich die Dimension Israel/Palästina wieder dazu, und das zeigt eben, der arabische Frühling wird durch einen tatsächlichen Frieden zwischen Israel und Palästina auch nicht gelingen. Deswegen haben wir als internationale Gemeinschaft auch großes Interesse daran, Hürden aus dem Weg zu räumen.

Wuttke: Hürden welcher Art?

Mützenich: Na, Hürden insbesondere – Sie haben den Siedlungsbau eben angesprochen, wir haben angesprochen, dass natürlich auch das Problem der Abriegelung des Gazastreifens eine große Rolle spielt, aber insbesondere – und das müssen die Palästinenser für sich beantworten – die Frage einer nationalen Regierung, also ganz konkret, wie geht Hamas auch mit diesen Fragen um. Das muss man den palästinensischen Präsidenten genauso fragen: Sind überhaupt wichtige Träger innerhalb der palästinensischen Gesellschaft bereit, einen Friedensprozess auch zu akzeptieren?

Wuttke: Welchen Wert hat es denn, wenn Benjamin Netanjahu sich jetzt in New York beklagt hat, Israel werde "mehr als jedes andere Land der Welt" verurteilt?

Mützenich: Die Wahrnehmung vonseiten Israels insbesondere gegenüber den Vereinten Nationen ist offensichtlich so, dass man sich hier nicht fair behandelt fühlt, insbesondere der Menschenrechtsrat hat kritikwürdige Entscheidungen gegenüber Israel getroffen. Das ist in der Tat so. Auf der anderen Seite, und das muss Ministerpräsident Netanjahu auch erkennen, macht Israel es den Vereinten Nationen, macht Israel es auch der internationalen Gemeinschaft nicht leicht.

Wuttke: In welcher Position sehen Sie dann, wenn wir jetzt davon ausgehen, am Montag der Antrag im UN-Sicherheitsrat, dann sagen Sie, möglicherweise vergeht dann nur eine ganz kurze Zeit, vielleicht Monate, aber offensichtlich keine Jahre, wie bislang prognostiziert, in welcher Situation sehen Sie dann Barack Obama mit seinem angekündigten Veto und die deutsche Bundesregierung, die an seiner Seite steht?

Mützenich: Es ist eben das große Problem, dass wir ja nicht nur zwei sozusagen Akteure auf dem Feld haben, die sich versuchen müssen zu einigen, sondern wir haben ja ganz verschiedene Akteure, die auch mit unterschiedlichen Interessen dabei sind. Und die innenpolitische Situation in den USA macht es Präsident Obama offensichtlich so schwer, überhaupt als Vermittler letztlich auf beiden Seiten akzeptiert zu werden. Das ist ein großes Problem für Europa, und ich glaube, das hat die Bundesregierung im März dieses Jahres falsch eingeschätzt, weil die frühzeitige Festlegung der Bundeskanzlerin auf ein Nein im Sicherheitsrat gegenüber dem Antrag der palästinensischen Autonomiebehörde aus meiner Sicht falsch gewesen ist. Es hat eine europäische Einigung erschwert und insbesondere hat es der israelischen Regierung möglicherweise signalisiert, dass Deutschland in der Lage ist, den Antrag, also den Gang zu den Vereinten Nationen durch die palästinensische Autonomiebehörde zu verhindern. Beide Dinge sind eben nicht so eingetreten, und das ist, glaube ich, etwas, was die Bundesregierung für sich auch wird beantworten müssen. Wir können nur als Europäische Union gemeinsam in dieser Frage auftreten.

Wuttke: Schon am Montag will der UN-Sicherheitsrat ein erstes Mal über den Antrag der Palästinenser auf Vollmitgliedschaft bei den Vereinten Nationen debattieren. Dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Mützenich, besten Dank und schönes Wochenende!

Mützenich: Ja, gerne, schönes Wochenende, Frau Wuttke!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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