Münkler-Watch

"Persönliche Diffamierung ist nicht in Ordnung"

Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler zu Gast in der ARD-Talkshow "Anne Will" am 6. Mai 2015
Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler zu Gast in der ARD-Talkshow "Anne Will" © picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler
Jürgen Treulieb im Gespräch mit Winfried Sträter · 13.05.2015
Die bloggenden Kritiker von Herfried Münkler sollten mit ihm diskutieren, fordert der Politologe Jürgen Treulieb. Er erinnert an Kampagnen von Studenten im Jahr 1967 gegen Berliner Professoren: Damals sei öffentlich und wissenschaftlich argumentiert worden.
Winfried Sträter: Ein namhafter Politikwissenschaftler wird im Hörsaal kritisch beäugt, und die Kritik an ihm wird öffentlich gemacht. Dieses Phänomen hat eine Vorgeschichte, die in die Frühzeit der Studentenrevolte zurückreicht. 1967 veröffentlichte an der Freien Universität Berlin die Studentenzeitung "FU-Spiegel" eine Rezension eines Seminars von Ernst Fraenkel. Fraenkel war einer der großen deutschen Politikwissenschaftler, insofern durchaus vergleichbar mit Herfried Münkler. Für Fraenkel war die Rezension ein Skandal, für die Studierenden ein emanzipatorischer Akt der Auseinandersetzung mit einem einflussreichen Wissenschaftler.
Um Münkler-Watch beurteilen zu können, lohnt sich die Auseinandersetzung, um die Fraenkel-Rezension noch einmal genauer zu betrachten. Im Studio begrüße ich den Politologen Jürgen Treulieb. Er studierte damals an der FU Berlin, war 1968/69 AStA-Vorsitzender und hat genau verfolgt, was damals geschah. Herr Treulieb, eine damals anonyme Rezensentin oder Rezensent schrieb einen Artikel über ein Seminar in der Zeitschrift der Studentenvertretung des AStA – was war der Beweggrund und worum ging es damals?
Jürgen Treulieb: Ja, damals war es ja so, dass Professoren wie Ernst Fraenkel sich öffentlichen Debatten zu seinem Seminar nicht stellten. Er hat damals gesagt, dass Oberseminar sei Privateigentum des Ordinarius.
Sträter: „Privateigentum"!
Treulieb: Privateigentum des Ordinarius und dürfe nicht von Studierenden, die davon noch gar nicht so viel Ahnung hätten, kritisiert werden, das gehöre sich nicht. Jedenfalls war das ein Tabubruch in der damaligen Universitätsöffentlichkeit, führte aber dazu, dass an allen Hochschulen plötzlich Seminarrezensionen verfasst wurden, unterschiedlicher Qualität, aber man kann sagen, dass dieser Konflikt sozusagen die Rezension von Seminaren öffentlich gemacht hat.
Der Berliner Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel (1898–1975)
Ernst Fraenkel (1898–1975)© dpa / picture alliance / Heirler
Sträter: Professor Fraenkel hatte ja den Eindruck, er würde bespitzelt. Ist das, was damals die Studierenden an der FU mit der Rezension machten, eine Bespitzelung gewesen?
Treulieb: Nein, das finde ich eine ganz falsche Wahrnehmung. Er war sehr empfindlich auf Kritik, als Ordinarius besonders. Zum Beispiel seine Kollegen Richard Löwenthal, Ossip Flechtheim gingen mit Kritik viel lockerer um und haben auch dann gern als Teil ihrer Vorlesung die letzte halbe Stunde diskutieren lassen.
Sträter: Kann man sagen, dass das, was die Studierenden damals mit der Rezension mit Ihnen gemacht haben, dass das ein emanzipatorischer Akt war?
Treulieb: Ja, das würde ich so interpretieren, eindeutig.
Sträter: Inwiefern?
Treulieb: Weil sie sich trauten, diese Kritik öffentlich zu äußern, und sie war auch, wenn man das heute mal nachliest, sehr sachlich, sehr an Wissenschaft orientiert, sie war gar nicht polemisch.
Sträter: Und dann passierte ja im Laufe der weiteren Studentenbewegungen, als sie mächtig wurde und dann halt eben sich in viele ideologische Wege zersplitterte, passierte ja etwas, was man eigentlich in unguter Erinnerung hat, dass reihenweise Professoren an den Pranger gestellt wurden. Was veränderte sich da?
Treulieb: Ja, also da ist mir in Erinnerung diese Kampagne gegen Alexander Schwan, der am Otto-Suhr-Institut Hochschullehrer war. Er musste seine Vorlesungen halten unter einem an die Wand gesprühten Spruch: "Schwan ist der Pleitegeier des Systems". Es war auch nicht in der Tradition so einer demokratischen Auseinandersetzung.
Sträter: Wenn man den Fall Fraenkel und die Rezension mit Münkler-Watch heute vergleicht, was kommt Ihnen dann in den Kopf?
Treulieb: Was ich davon mitbekommen habe, unter anderem durch diesen Artikel im "Tagesspiegel" von gestern, erinnert es mich mehr an die Kampagne gegen Alexander Schwan als an die Auseinandersetzung mit Ernst Fraenkel. Ich finde, man sollte da unterscheiden, ob es eine wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung gibt. Die kann auch sehr hart sein, aber wenn Menschen so persönlich attackiert werden wie Münkler, dass er auch den Eindruck hat, es würden Zitate von ihm ins Gegenteil verkehrt und dann ins Netz gestellt, das ist einfach unangemessen.
Und er hat ja angeboten, mit den Kritikern zu diskutieren öffentlich, und wenn die dann sagen, nein, sie möchten das nicht, weil da sei der dann immer besser, so geht das irgendwie nicht. Denn die wissenschaftliche Auseinandersetzung lebt von Öffentlichkeit. Und was bei Fraenkel damals das Bedeutende war, dass diese Auseinandersetzung von uns öffentlich gemacht wurde.
Sträter: ... und die Auseinandersetzung gesucht wurde.
Treulieb: Die Auseinandersetzung gesucht wurde, aber wir wären nie auf die Idee gekommen, Ernst Fraenkel persönlich zu attackieren, seine Integrität infrage zu stellen. Wir hatten großen Respekt vor dieser Persönlichkeit, und ... na ja.
Sträter: Mir ist bei dieser Geschichte um Münkler-Watch ein Gedanke gekommen. Münkler-Watch gehört eigentlich zu einem an den Universitäten grassierenden Phänomen, das ich mal so als Sprachüberwachung bezeichnen würde: Ist der Wortgebrauch korrekt? Mich erinnert das letztendlich an ein Grundmuster in der Französischen Revolution: Erst versucht man, gegen Verhältnisse aufzubegehren und rebelliert gegen Verhältnisse, dann kommen die Tugendwächter à la Robespierre und überwachen gewissermaßen die Reinheit des Denkens. Können Sie mit so einem Gedanken was in diesem Zusammenhang anfangen?
Treulieb: Ja, ich habe den Eindruck, dass bei der Münkler-Watch es in diese Richtung geht, und das finde ich sehr unangenehm und unangebracht. Also sobald die Auseinandersetzung über wissenschaftliche Positionen sich steigert zu persönlicher Diffamierung, da wird eine Grenze überschritten, was nicht in Ordnung ist.
Sträter: Wenn Professoren beobachtet werden – wir haben den Fall Münkler mit dem Fall Fraenkel aus dem Jahr 1967 verglichen. Herr Treulieb, ich danke Ihnen für dieses Gespräch!
Treulieb: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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