Münchner Oktoberfest

"Was macht der Sozi Reiter?"

Oktoberfest-Bedienung Julia stellt den neuen Bierkrug für die Wies'n 2014 vor
Die Wiesn: "Ein unfassbar lustiges und unglaublich stimmungsvolles Fest" © dpa / Peter Kneffel
AZ-Kulturchef Adrian Prechtel im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 20.09.2014
20 Jahre hat Münchens Ex-OB Christian Ude den Anstich beim Münchner Oktoberfest gemacht und war am Schluss so gut, dass er nur noch zwei Schläge brauchte. AZ-Kulturchef Adrian Prechtel fragt sich, wie gut sich wohl der "Neue" schlägt, wenn es um 12 Uhr wieder heißt: "O'zapft is".
Liane von Billerbeck: So hören sie sich an, die "Wiesnhits", also die Songs, die beim Münchner Oktoberfest gedudelt werden bis zum Abwinken. Und genau das wird heute eröffnet – und das war auch meine Frage: Das alljährliche Oktoberfest, die Wiesn, darum geht es. Und das größte Volksfest weltweit, auf das ja immerhin so um die sechs Millionen Menschen strömen, darum soll es jetzt gehen. Allein das wäre ja schon Grund genug, darüber auch außerhalb Bayerns zu sprechen, aber es gibt noch mehr Gründe, und die soll uns jetzt ein Mann erläutern, der eigentlich alles weiß, was so passiert in und um die Münchner Gesellschaft, Adrian Prechtel, der Kulturchef der "Münchner Abendzeitung". Herr Prechtel, Guten Morgen und Grüß Gott nach München!
Adrian Prechtel: Ja, Grüß Gott aus München! In dieser aller Herrgottsfrühe haben Sie mich aus dem Bett gejagt.
von Billerbeck: Ja, Sie sind ein Held, Herr Prechtel.
Prechtel: Ich mach das gern für Sie, kein Problem. Sie haben mich ja schon so charmant eingeführt als Experten, da habe ich jetzt schon Angst, dass ich dem nicht genügen kann.
Kein Wiesn-Hit ohne "Flirtfaktor"
von Billerbeck: Ach, da bin ich ganz sicher, dass Sie das schaffen. Herr Prechtel, die erste Frage: Wir haben ja schon diese Titel gehört – was wird denn in diesem Jahr der Wiesnhit? Haben Sie schon eine Ahnung?
Prechtel: Also ich habe mich extra für Sie mit dem Bandleader, könnte man sagen, mit dem Kapellmeister der Otto-Schwarzfischer-Kapelle aus dem Schottenhamel unterhalten, der Christian Sachs, und der hat mir dann so drei extrem wichtige Sachen erzählt, was einen Wiesnhit ausmacht, und ich habe dann vergessen, ihm die entscheidende Frage zu stellen, nämlich: Was wird es dieses Jahr? Aber also einige sagen, "So gehen die Gauchos, die Gauchos, die gehen so". Ja, wenn ich da diesen Christian-Sachs-Otto-Schwarzfischer-Test mache – man muss also praktisch ... Erstens ein eingängiger Text – ja, würde gehen.
Zweitens: man muss mitmachen können – auch ganz gut, man muss dann so gehen, wie die Gauchos halt angeblich gehen. Und das dritte ist eben: Es muss einen hohen Flirtfaktor im Hit geben - und das ist dann schon die Frage, ob, wenn man so gebückt geht oder mit O-Beinen geht, ob das sozusagen den Flirtfaktor erfüllt. Und da gibt es ganz andere Songs, die das, glaube ich, besser tun.
von Billerbeck: Als nördlich des Weißwurst-Äquators geborene und jenseits des Rummelalters befindliche Frau verzeihen Sie mir sicher die Frage, die muss grundlegend gestellt werden: Was bitte ist so toll an einem Riesenrummel mit massenhaft Bier?
Prechtel: Na ja, das können Sie eigentlich den Kölner Karneval doch auch fragen. Da gibt es vielleicht weniger Bier, aber ...
Trachtentradition in Bayern ist jünger als man denkt
von Billerbeck: Das frage ich ihn auch.
Prechtel: Es ist einfach so: Es ist einfach ein unfassbar lustiges und unglaublich stimmungsvolles Fest. Und zwar – das darf man sich eben nicht so vorstellen, ... Sie haben ja so ein Medley jetzt gerade am Anfang gespielt, da waren diese ganzen Smash-Hits des Oktoberfests, aber das geht ja eigentlich am Morgen schon los, so um zehn, elf, ganz gemütlich.
Die Leute sind auch mit Tracht unterwegs, es ist auch nicht, wie Karneval, eine Verkleidung, es hat ja in Bayern auch wirklich eine Tradition, kürzer als man denkt, so 150 Jahre, da wurden diese ganzen Trachtenvereine gegründet. Warum? Weil es natürlich ausstarb sozusagen. Aber das hat sich dann ganz gut wieder erholt. Und ich meine, es ist eigentlich stimmungsvoll, es ist sogar traditionell. Und wenn Sie mal in diese Zelte reingehen – sie müssen ja so bis, na ja, also ich glaube, so 15 bis 17 Uhr, 18 Uhr, also fünf Uhr, sechs Uhr nachmittags müssen die ja traditionelle Musik spielen.
von Billerbeck: Also Blasmusik.
Prechtel: Ja, Blasmusik. Und wenn Sie mal überlegen, wie schön das ist und wie unglaublich das lässig ist. Und wenn das Wetter so einigermaßen stimmt, hat das eine unglaubliche Attraktion. Und Sie sehen ja, wenn die Leute aus Hamburg kommen und sich verkleiden bayrisch, dann scheint das ja eine unglaubliche Sogwirkung zu haben.
Anstich-Premiere für OB Dieter Reiter vor einer Millarde TV-Zuschauern
von Billerbeck: Und das geht Ihnen ja auch so. Sie werden da heute hingehen. Worauf freuen Sie sich am meisten an diesem Eröffnungstag?
Prechtel: Na ja, ich habe das Privileg, weil ich den Michael Graeter gut kenne, den größten Klatschkolumnisten Deutschlands. Das ist ein Kollege von mir aus der "Abendzeitung", und der hat mir einen Tisch besorgt im Anstichzelt.
von Billerbeck: Oha!
Prechtel: Ja. Und dann bin ich in der Nähe von der Ratsbox, also nicht von der Ratsbox, von der Anzapfbox, und da muss jetzt der neue Oberbürgermeister, der erst im Frühjahr gewählt worden ist, zum ersten Mal anzapfen, und der hat ja das Problem, dass der Vorgänger, der Christian Ude, 20 Jahre lang angezapft hat, und der hat zum Schluss nur noch zwei Schläge gebraucht.
Und diese Tradition, dass der Oberbürgermeister das erste Fass anzapft, die ist auch gar nicht so alt. Die ist nicht 200 Jahre, sondern die erst nach dem Krieg entstanden aus einem Zufall. Da ist der Oberbürgermeister vorbeigekommen beim Schottenhamel, und da hat der Schottenhamel gesagt: Ja, dann zapfst halt du das erste Fass an. Dann musste der spontan das erste Fass anzapfen und hat gleich mal, ich glaube, 17 Schläge gebraucht. Aber das war damals kein Problem, es war ja so, und dann wurde es irgendwie so ein Oberbürgermeistersport.
Und jetzt ist halt die große Frage: Was macht der Sozi Reiter, wenn er zum ersten Mal das Fass anzapfen muss, vor, ich glaube, einer Millarde Menschen, die zuschauen?
Lustig wäre "mal eine gescheite Bierfontäne"
von Billerbeck: Ja, man kennt ja dieses Bild, das jedes Jahr auch aus der in Hamburg produzierten "Tagesschau" in die Welt ausgestrahlt wird, und dann guckt man immer und dann kommt dieser Ruf "O'zapft is" und man muss geradezu mitfiebern, dass der Typ das eben möglichst mit ganz wenigen Schlägen schafft.
Prechtel: Ja, lustig wäre natürlich schon mal eine gescheite Bierfontäne, das würde dann wenigstens ... Medienwirksam wäre das dann.
von Billerbeck: Die Reservierungen für die Bierzelte – also Sie sind ja da in einer Luxussituation, weil Sie da sozusagen direkt am Ort des Geschehens sind und das wahrscheinlich auch noch kostenlos –, aber die Reservierungen für Bierzelte, die werden ja schon bei Ebay versteigert, habe ich gelesen. Was kostet denn so ein Zelt und so ein Tisch?
Prechtel: Also da muss man sagen, ganz fair, das kostet eigentlich gar nichts. Sie müssen einfach nur den Wirt überzeugen, dass Sie da ein Verein sind oder eine Gruppe sind und Sie müssen das rechtzeitig machen und Sie müssen hinfaxen und so weiter.
von Billerbeck: Rechtzeitig heißt wann, fünf Jahre zuvor, wie in Bayreuth?
Prechtel: Ja, genau, und jedes Jahr wieder. Nein, nein, da gibt es ... Also es geht einfach ganz normal im Frühjahr los, also das ist ganz harmlos. Sie müssen halt irgendwie ... Wenn Sie schon ganz oft da waren, haben Sie bessere Chancen – das ist alles richtig. Aber es kostet gar nichts, sondern es ist nur ... so eine Art Verzehrpflicht gibt es da in Höhe von ... Bei manchen Zelten ist es 35 Euro pro Person, aber wenn Sie überlegen, eine Maß kostet 10 Euro, dann sind Sie ja schnell mit im Reinen. Und das Problem ist ja nur, dass Leute sich sozusagen Tische unter den Nagel reißen und sie dann teuer im Internet oder irgendwo verkaufen, und das ist natürlich ... hat aber mit der realen Zahlung an den Wirt eigentlich dann gar nichts zu tun.
Dirndl und Lederhose als Reaktion auf die Globalisierung
von Billerbeck: Sie hatten das schon erwähnt, diesen Trend zum Dirndl, den es ja noch nicht so lange gibt, und zur Lederhose. Hand aufs Herz, Herr Prechtel: Gehen Sie auch in Lederhose hin?
Prechtel: Ja, natürlich! Das ist klar. Das macht man dann auf jeden Fall. Ein bisschen lächerlich ist es schon.
von Billerbeck: Wir stellen uns das jetzt gerade vor und freuen uns.
Prechtel: Also ich habe da so ein bisschen zwiespältiges Verhältnis dazu. Das ist ja erst so vor 20 Jahren aufgekommen, vorher galt man ja als Depp vom Land, wenn man so was anhatte, und dann kam das plötzlich. Das ist natürlich auch eine Reaktion auf die Globalisierung, auf diese ganze Amerikanisierung, dass man einfach plötzlich sagt, nein, das ist was Besonderes und da ziehen wir uns auch was Besonderes an.
von Billerbeck: Und die Dinger sind teuer!
Prechtel: Ja, ja, das ist wahr.
von Billerbeck: Also als ich in Bayern war, in so einem Laden, habe mir die angeguckt, ...
Prechtel: Ja, aber die hat man ja auch ein Leben lang, kann man noch seinen Enkeln vererben. Also das ist kein Problem.
von Billerbeck: Das ist die Lederhose von Opa Prechtel.
Bürgersöhne in Bauerntracht
Prechtel: Also ich habe Freunde, die haben das noch von ihrem Urgroßvater, das ist also sehr lustig. Aber ich finde ja deswegen so was albern natürlich in der letzten Konsequenz, weil es sind ja Landtrachten. Wir sind ja Münchner, also kommen aus der Stadt, und die Stoderer, also die Städter, die haben eigentlich nie eine Tracht in dem Sinn getragen. Die hatten eine Bürgertracht und keine Landtracht. Und das ist natürlich schon lustig, wenn, sagen wir mal, Münchner Bürgersöhnchen dann irgendwie mit Tegernseer oder Miesbacher Bauerntracht rumlaufen.
von Billerbeck: Adrian Prechtel war das, der Kulturchef der "Münchner Abendzeitung", über Rolle und Bedeutung des Oktoberfestes für München, Bayern und den Rest der Welt. Ganz lieben Dank Ihnen und viel Vergnügen!
Prechtel: Ja, einen schönen Tag Ihnen auch!
von Billerbeck: Ihnen auch!
Prechtel: Servus!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.