Münchner Festival "Radikal jung"

Theater ohne Menschen

Der Haupteingang am Münchner Volkstheater am 12. Mai 2015 in München.
Heimat des progressiven Theaterfestivals "Radikal jung": das Münchner Volkstheater © picture alliance / dpa / Tobias Hase
Von Sven Ricklefs · 25.04.2016
Das Theater-Festival "Radikal jung" am Münchner Volkstheater geht volles Risiko. Es zeigt Stücke, in denen Neonröhren anstelle von Menschen zu sehen sind und solche, in denen die Darsteller stundenlang schweigen. Festivalleiter Kilian Engels genießt "eine ungeheure Freiheit".
"Wir haben Theaterproduktionen da, die auskommen: ohne Sprache, die auskommen: ohne Männer, die auskommen: ohne Menschen und in letzter Konsequenz: mit Regie 2, Monstertruck, Theaterabende, die kein Theater mehr brauchen."
Sagt der Leiter des Festivals "Radikal jung" Kilian Engels und hat sich in diesem Jahr neben 6 weiteren Inszenierungen eine knappe Handvoll Produktionen eingeladen, die Bestandteile des Theaters weglassen, die eigentlich als unverzichtbar gelten. So wird der Blick auf blinde Flecken gelenkt, die durch angelernte Theaterwahrnehmung entstanden und längst zur Konvention geworden sind.
Sie ist schon unheimlich diese rothaarige Familie in Ersan Mondtags "Tyrannis" vom Staatstheater Kassel, die da mit blindem Blick und ohne Worte zwei Stunden lang in ihrem Wohnhaus ihren familiären und persönlichen Ritualen und Routinen nachgeht. Über der Szenerie schwebt dabei eine ständige undefinierbare Bedrohung, die schließlich in der Figur einer plötzlich eindringenden Fremden Gestalt annimmt.
Tyrannis, das auch zum Berliner Theatertreffen eingeladen ist, dringt tief ein in unsere Psyche, die am liebsten auf vordefinierten Bahnen funktioniert und alles, was diese Bahnen durchkreuzt oder stört, bekämpft. Ein Schelm, wer da auch an "Unser Haus Europa" und seine sogenannte Flüchtlingskrise denkt, steht doch die Fremde vor der Terrassentür von "Tyrannis" wie die Flüchtlinge an der Grenze. Doch über den versteckt-aktuellen Kommentar hinaus ist Ersan Mondtag als Künstler vor allem auch an dem Genre Theater und seiner ästhetischen Weiterentwicklung interessiert:
"Mich interessieren tatsächlich Vorgänge oder Beziehungen zwischen Körpern, das Visuelle am Theater und mich interessiert auch, dass ich als Zuschauer mein eigenes Wissen und mein eigenes Denken in einen theatralen Vorgang reinprojiziere und daraus Sprache erst entsteht. Diesen Vorgang finde ich ästhetisch und auch formal besonders spannend."

Scheinwerferbatterien, Neonröhren - und ein Mensch

Ästhetisch und formal interessant auch jene Produktion, die sich nach einer Augen- und Wahrnehmungskrankheit "Flimmerskotom" nennt. Zwar gibt es da noch einen Menschen auf der Bühne, als eine Art Bühnenarbeiter, doch gewahr wird man seiner erst nach der Hälfte des 60 Minuten kurzen Stücks, in dem Scheinwerferbatterien und Neonröhren zu kommunizieren scheinen oder in dem ein Lichtturm auf das Publikum zufährt und mit seinem aggressiven Lichtschub geradezu angreift. Raum, Sound und Licht stehen im Mittelpunkt dieser Komposition, wie Gregor Glogowski, Alisa Hecke und Benjamin Hoesch als Kollektiv ihre theatralen Auseinandersetzung nennen.
"Es ging darum, diesen Mitteln, die ohnehin immer im Theater präsent sind und ein sehr starkes Potential haben, denen einmal die Möglichkeit zu geben, anders erfahren zu werden. Und es hieß dann eben auch andere Sachen wie Narration oder Text rauszulassen, um das zu ermöglichen."
Es ist schon ein starkes Statement und zeigt zugleich die Risikobereitschaft von Festivalleiter Kilian Engels "Radikal jung" mit dieser durchaus abstrakt anmutenden Arbeit am vergangenen Freitag zu eröffnen. Doch die starke und durchaus positive Zuschauerreaktion zeigt, was Theater auslösen kann, wenn man gewohnte Dinge weglässt: 20
"In der Standardvorstellung gehen wir ins Theater und dann steht da ein Schauspieler, der verkörpert eine Figur und wir identifizieren uns damit und hier ist es halt, bei Flimmerskotom, die Frage, können wir uns auch zur Not mit einem Scheinwerfer oder mehreren Scheinwerfern identifizieren. Und macht unser Gehirn das mit."

Mutige Männer auf ihren fliegenden Kisten

In letzter Konsequenz diskutiert das Festival "Radikal jung" als Festival für junge Regisseurin und Regisseure in diesem Jahr durchaus auch den Regiebegriff und damit eigentlich seine eigene Grundlage. Kein Wunder, dass die Jury wie schon 2015 auch die Gruppe Monstertruck eingeladen hat, die in ihrer Produktion "Regie2" gleich den Zuschauer selbst zum Regisseur seines eigenen Theaters machen, wobei sich die Frage stellt, ob das in diesem Fall überhaupt noch Theater ist, wurde doch das Festivalpublikum vom Münchner Volkstheater in einer Überraschungsfahrt in die Olympiahalle gefahren zu: "Night of the Jumps" - einer durchchoreographierten Motorcross- Show, die als Sportveranstaltung verkauft wird und vor allem eins zeigt: mutige Männer auf ihren fliegenden Kisten. Auf den Weg hatte die Gruppe Monstertruck den Zuschauern gegeben, dass sie diesmal eine eigene Regiearbeit verweigere, dass es keine Interventionen durch die Gruppe Monstertruck geben würde und dass die nun besuchte Show auch als Theater zu rezipieren sei.
"Wir haben die Möglichkeit, etwas als Theater zu rezipieren, was nicht Theater ist und das ist eine ungeheure Freiheit."
Kilian Engels geht mit seinem Festival "Radikal jung" in diesem Jahr ein hohes Risiko ein, indem es sich betont konzeptionell gibt und vor allem Suchbewegungen einer jungen Generation zeigt.
"Ich bin kein Freund von nur noch Theater ohne, aber jeder dieser Abende vermittelt eine Erfahrung die über Weglassen zu mehr führt und das finde ich das Tolle und das Bereichernde."
Mehr zum Thema