"Mozart hat jeden Tag Geburtstag"

Moderation: Vladimir Balzer · 27.01.2006
Der Opernregisseur Harry Kupfer geht vor Mozart in die Knie. In jedem Mozart-Werk gebe es Passagen, "wo man denkt, da singt der Himmel selbst", sagte Kupfer im Deutschlandradio Kultur anlässlich des 250. Geburtstags des Komponisten.
Balzer: "... weil heute Dein Geburtstag ist". Am Tag, an dem Wolfgang Amadeus Mozart geboren wurde, sozusagen der kalendarische Höhepunkt des Mozart-Jahres, an diesem Tag ist einer der renommiertesten deutschen Opern-Regisseure bei uns zu Gast: Harry Kupfer. Herr Kupfer, berühmt geworden sind Sie ja als Chef-Regisseur an der Komischen Oper in Berlin, aber auch als Veränderer von Bayreuth mit dem "Fliegenden Holländer" und nicht zuletzt mit dem "Ring" von 1988, von dem ja viele heute noch schwärmen.

Aber natürlich sind Sie ja auch ein Mann Mozarts. Sie haben nicht nur seine Opern inszeniert. Sie haben sogar ein Musical über Mozart auf die Bühne gebracht, das war vor sieben Jahren in Wien. Herr Kupfer, wenn Freunde Geburtstag haben, dann sollte man sich ja zumindest mal melden oder doch wenigstens auf sie anstoßen. Was machen Sie eigentlich am Geburtstag von Wolfgang Amadeus Mozart?

Kupfer: Eigentlich nichts Besonderes. Höchstens vielleicht - wie immer - mir Musik anhören von ihm. Aber das tue ich nicht nur am Geburtstag, sondern das tue ich öfter, weil das so einer meiner Lieblingskomponisten ist. Und den Geburtstag, finde ich, muss man überhaupt nicht groß zur Kenntnis nehmen, muss ihn auch nicht feiern, weil der hat das nicht mehr nötig. Der hat jeden Tag Geburtstag.

Balzer: Das heißt, es ist für Sie auch ein bisschen viel: das Mozart-Jahr, Mozart-Kugeln, Mozart-Bier?

Kupfer: Na ja, das gibt es ja nun schon eine ganze Weile und ich meine, das Schlimmste ist Salzburg, nicht? Wenn man dort also inszeniert oder arbeitet, da wird man ja beschossen mit Mozart-Dingen. Aber das stört mich eigentlich nicht weiter, weil der Mann ist so groß, so erhaben über all diese Dinge, so dass man sagen kann: Jeder Tag ist ein Mozart-Tag, nicht? Aber vielleicht hilft es einigen, die vielleicht noch keine Begegnung hatten mit ihm, sich damit doch zu beschäftigen oder vielleicht einfach durch die Beschallungswelle, die jetzt auf uns zukommt, damit konfrontiert zu werden und dann vielleicht Lust zu kriegen, sich doch näher oder ausführlicher mit diesem Komponisten zu beschäftigen.

Balzer: Kann man Mozart eigentlich verbauen mit so einem Mozart-Jahr?

Kupfer: Kann man, kann man. Aber wir haben noch die Möglichkeit, immer abzudrehen, wenn wir nicht wollen.

Balzer: Wann hören Sie eigentlich Mozart, zu welchen Gelegenheiten?

Kupfer: Ganz unterschiedlich. Das liegt überhaupt nicht fest. Wenn ich Lust habe, wenn ich denke: So, jetzt möchte ich mal ein Klavierkonzert hören oder jetzt möchte ich mal ein Klarinettenkonzert hören, dann suche ich mir das raus, wozu ich gerade Lust habe und das mache ich. Opern höre ich mir grundsätzlich auf Schallplatte nicht an.

Balzer: Haben Sie eigentlich den kompletten Mozart zu Hause?

Kupfer: Nicht. Das kann man nicht haben, das geht nicht. Also die Opern natürlich alle, auch die unbekannten, die frühen, das habe ich. Aber ich bin kein Sammler. Was mir so in die Hände kommt oder wo ich manchmal draufstoße, sind besonders schöne Einspielungen, die kaufe ich mir dann oder die lege ich mir zu. Aber nicht, dass ich direkt jetzt also alles vollständig haben muss.

Balzer: Bei Popsongs sagt man ja immer gerne, es gibt so bestimmte Stellen bei bestimmten Songs, wo einem irgendwie das Herz bricht oder wo man irgendwie losheulen muss oder so. Wie ist das bei Ihnen, Harry Kupfer? Gibt es bei Mozart Stellen, wo bei Ihnen regelmäßig das Herz bricht?

Kupfer: Ja. Und zwar die gibt es in jedem seiner Werke - und wenn es nur fünf Takte sind, wo man sagt: Da singt der Himmel selber.

Balzer: Welche?

Kupfer: Das müsste ich jetzt aufzählen. Zum Beispiel nehmen Sie das erste Finale in der "Entführung aus dem Serail", da gibt es eben ein Allegretto, da geht man in die Knie, nicht? Das Finale vom "Figaro", da geht man in die Knie. Und ich würde sagen: Der ganze "Giovanni", von Anfang bis Ende.

Balzer: Dabei ist doch Mozart ein Mann des 18. Jahrhunderts. Man sagt doch irgendwie: Eher im 19. Jahrhundert war so die totale Passion, die romantische Liebe, das Ausleben aller Gefühle. Passt da Mozart eigentlich rein in dieses extreme Gefühl?

Kupfer: Na, das sind doch so ein bisschen Klischees, nicht? Wenn man Musik macht, Musik komponiert, dann ist die Emotion natürlich immer beteiligt, in welchem Jahrhundert, in welcher Stilrichtung das nun auch passiert. Und so ist es bei Mozart genauso. Bei Mozart ist es so schön, es ist so ehrlich, es ist ohne Überschwang. Und das unterscheidet ihn von manchem romantischen Komponisten.

Balzer: Ist er dadurch modern?

Kupfer: Ich würde sagen: Ja. Weil er eigentlich jeder Zeit und jeder Epoche mit kleinen graduellen Unterschieden eigentlich immer wieder die Brücke gebaut hat zu seiner Empfindung und zur Empfindung der Zeitgenossen.

Balzer: Und gibt es irgendwelche Momente bei Mozart, die Ihnen peinlich sind?

Kupfer: Eigentlich nicht. Peinlich sind mir solche, sagen wir mal, abgedroschenen Interpretationen. Die also billig sind und schlecht gemacht sind, aber sein mussten ...

Balzer: Zum Beispiel? Ziehen Sie doch mal vom Leder.

Kupfer: Nee, das tue ich nicht.

Balzer: Nun haben Sie sich ja, soweit ich weiß, praktisch an allen Mozart-Opern versucht. Kann das sein?

Kupfer: An allen großen. Also sozusagen mal die frühen Werke, so wie "Lucio Silla" und "Finta giardiniera", die habe ich nie gemacht, die sind mir nicht angeboten worden, obwohl sie großartige Musik haben. Aber ich lebe ja noch eine Weile, vielleicht kommt es noch. Aber die anderen Hauptwerke habe ich alle - mehrmals - gemacht.

Balzer: Haben Sie ihn besser begriffen nach der Arbeit?

Kupfer: Eigentlich von Mal zu Mal, umso mehr habe ich dann, sagen wir mal, gestutzt oder mich geschämt für das, was ich vorher gemacht habe, wo ich noch nicht diese Ecke oder diese ausgeleuchtet habe. Am schlimmsten ist es mir mit der "Zauberflöte" gegangen. Die habe ich also nun fünf, sechs Mal gemacht und immer wieder, muss ich sagen, nicht geschafft. Weil das Werk ist so total und man kann eigentlich nur immer Aspekte herausholen in einer Interpretation, alle… zumindest mir ist das nicht geglückt und ich war immer unzufrieden mit den Inszenierungen, habe es dann immer wieder versucht, immer wieder neu.

Und irgend..., entweder ist das Populare auf der Strecke geblieben, was ja in der "Zauberflöte" enthalten ist, oder der große geistige Bogen ist untergegangen im Popularen. Also alle Dinge, die die "Zauberflöte" fordert oder bietet, die ist nicht gelungen, in einer Inszenierung irgendwie darzustellen.

Balzer: Es gab ja mal, soweit ich weiß, im Jahr 1986 eine legendäre Inszenierung von Ihnen der "Zauberflöte" an der Komischen Oper, die Sie tatsächlich direkt in die DDR verlegt haben, auf der Bühne?

Kupfer: Ja, ja.

Balzer: Die auch, glaube ich, die DDR-Oberen nicht so gut oder lustig fanden.

Kupfer: Na, bis zur Generalprobe wussten wir nicht, ob das durchgeht. Ob wir verboten werden. Wenn die Generalprobe raus war und mit vielen klugen Manipulationen und Begründungen Ministerium und so weiter gegenüber kam es zur Premiere und dann war es vorbei, dann konnte man es nicht ...

Balzer: Die spielte zum Teil im Zentralkomitee?

Kupfer: Ja. Die Priester, das war so eine Versammlung, die nicht das Zentralkomitee war, aber wer Augen und Ohren hatte, der hat das mitgekriegt. Und das Publikum damals war doch hellhörig, die haben doch die Flöhe husten hören. Die kleinste politische Anspielung oder Andeutung wurde doch sofort aufgenommen. Und so ist das eigentlich richtig verstanden worden. Und die "Zauberflöte" spielte in einer Großstadt, zwar mit barockisierenden Elementen, aber es war eben eine Stadtwelt, die unserer Welt heute - oder der damaligen DDR-Welt - sehr nahe war.

Balzer: Wie haben Sie denn Ihre Mozart-Inszenierungen dann unterschieden? Sie mussten sich ja groß unterscheiden, Sie waren ja immer jemand, Harry Kupfer, der zumindest seit Mitte der 70er, Ende der 70er zwischen Ost und West gependelt ist. Wie hat sich Ihr Mozart im Osten von dem im Westen unterschieden?

Kupfer: Das kann ich nicht sagen, weil ich doch nicht in der Lage war, überhaupt, sagen wir mal, die wichtigsten Inszenierungen im Westen zu sehen oder mitzukriegen. Was ich darüber gelesen habe, das macht mich einfach immer nur zweifelhaft. Weil der eine sieht das so, der andere so, der beschreibt es so. Also man muss das selber zur Kenntnis nehmen, um sich da ein Urteil bilden. Aus den Rezensionen kann man nichts entnehmen.

Balzer: Aber haben Sie selbst Mozart im Westen anders inszeniert?

Kupfer: Nein, da genauso. Aber ich habe ja eigentlich, den meisten Mozarts habe ich ja in dem östlichen Bereich gemacht. Es war in Stuttgart mal ein "Idomeneo", der sehr viel Aufsehen erregt hat, weil das natürlich also ein Stück der Aufklärung, was aber hundertprozentig in unsere oder in die damalige Zeit passte, in einer Betonwelt spielte, das ist bloß das Äußerliche, dass die, die ..., die Konzeption, die kann ich Ihnen jetzt nicht erläutern, da brauchten wir drei Stunden. Aber das war schon damals auch in Stuttgart eine sehr aufregende Sache.

Balzer: Deutschlandradio Kultur heute im Gespräch - am Mozart-Geburtstag - mit dem Opern-Regisseur Harry Kupfer. Nun haben Sie mal gesagt, dass Sie nie im Westen geblieben sind, weil Ihnen der westliche Opernbetrieb einfach zuwider war. Wie ist das eigentlich mit dem heutigen Opernbetrieb?

Kupfer: Der ist mir genauso zuwider. Deshalb suche ich mir jetzt nur noch Theater aus, wo ich die Bedingungen kriege, die ich will. Das heißt also, erstmal ein Umfeld mit Gleichgesinnten, die also mit mir an einem Strang ziehen. Dann eben die Besetzungen, die ich haben will. Und die Arbeitsbedingungen - die Zeit vor allen Dingen. Also ich bin ein Langsamarbeiter, obwohl manches auch sehr schnell geht. Aber ich muss die Bedingungen haben. Und da ist mir der deutsche Opernbetrieb im Augenblick durch und durch suspekt.

Balzer: Was ist Ihnen da genau suspekt daran?

Kupfer: Die Entfernung vom Wesen des Werks in der Interpretation. Das heißt also: die Selbstdarstellung überwiegt und das Werk spielt keine Rolle mehr. Und die ehrliche Auseinandersetzung mit den Problemen des Stücks werden ja immer mehr in den Hintergrund gedrückt, weil irgendwelcher modischer Schnickschnack - damit er ja auffällt und die Presse aufmerksam wird und man damit vielleicht Karriere machen kann. Das interessiert mich nicht, da gehe ich nicht hin und das will ich auch nicht machen, das kann ich auch nicht machen. Und die Stücke, sagen wir mal, auf die ..., gerade die Mozart-Opern - was die Komische Oper ja zum Teil gemacht hat - jetzt auf die Porno-Ebene zu schieben - nee, also da sträubt sich bei mir alles Gefieder.

Balzer: Sie meinen wahrscheinlich die Arbeit des katalanischen Regisseurs Calixto Bieto?

Kupfer: Ja, die meine ich insbesondere. Und das weiß ..., das liegt so weit eigentlich vom Ethos der Mozart’schen Werke weg - damit muss ich mich nicht auseinander setzen.

Balzer: Aber das sagen Sie, der doch eigentlich als jemand bekannt war, der das Regie-Theater auch hochgehalten hat?

Kupfer: Ja, wissen Sie: Regie-Theater ist ja nicht Regie-Theater. Es gibt ehrliches Regie-Theater und es gibt die Scharlatanerie. Und über die muss man nicht reden. Und das ehrliche Regie-Theater bleibt ja am Stück, bleibt ja am Inhalt, bleibt ja an der Aussage, ...

Balzer: Wer weiß genau, was wirklich das Wesen des Stückes ist? Wer kann das bestimmen?

Kupfer: Na, ich meine, da müsste man eigentlich bloß das Stück lesen, so wie es dasteht, und dann fällt einem das von den Schuppen, was da möglich, notwendig ist und was unnötig ist und was eine Schweinerei ist.

Balzer: Harry Kupfer, Sie sind 70 - das ist ja eigentlich kein Alter. Was ist Ihre nächste Mozart-Oper?

Kupfer: Meine nächste Mozart-Oper, die steht noch ein bisschen in den Sternen. Weil ich also jetzt erst mal Mozart für mich abgebucht habe. Ich habe alles, was ich machen wollte, mehrmals gemacht. Und jetzt kommt es darauf an: Wenn es bei einem Stück plötzlich wieder mal Piep macht, und ich sage: Jetzt habe ich das Konzept, was ich bisher noch nicht gesehen habe oder Dinge, die ich im Werk übersehen habe, und jetzt juckt mich das, dann mache ich die nächste Mozart-Inszenierung, aber nicht vorher.
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