Mouhanad Khorchide

"Wir lassen uns nicht einschüchtern"

Mouhanad Khorchide, Leiter Zentrum für Islamische Theologie Münster, vor dem Schloss.
Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie, vor dem Schloss in Münster. © Rolf Vennenbernd / picture alliance / dpa
Moderation: Philipp Gessler · 23.11.2014
Begriffe wie Kalifat und Scharia würden "leider sehr stark missverständlich kommuniziert", sagt der Münsteraner Theologe Mouhanad Khorchide. Die Fundamentalisten benutzten das "Label Islam" für etwas, das mit Religion nichts zu tun habe.
Philipp Gessler: In dieser Woche hat Mouhanad Khorchide in Berlin mit anderen Wissenschaftlern das "Handbuch Christentum und Islam in Deutschland" vorgestellt. Professor Khorchide ist einer der führenden islamischen Theologen des Landes, er hat seinen Lehrstuhl in Münster. Seine Theologie der Barmherzigkeit lockt viele Studentinnen und Studenten an – provoziert aber auch die Feindschaft all derer, die diesen aufgeklärten, toleranten und friedlichen Islam als eine Bedrohung empfinden, warum auch immer.
Ich hatte die Möglichkeit, Professor Khorchide, einen der Protagonisten der modernen islamischen Theologie hierzulande, in Berlin zu interviewen. Meine erste Frage an ihn war, wie häufig er Morddrohungen erhalte – und ob diese Bedrohung in letzter Zeit, auch wegen der Radikalisierung des Islam in manchen Weltregionen, zugenommen habe.
Mouhanad Khorchide: Bei mir persönlich hat das abgenommen in den letzten Monaten. Also, der Höhepunkt war im vorigen Jahr im Zuge des Besuchs des Bundespräsidenten bei uns in Münster, weil die mediale Aufmerksamkeit sehr stark war. Aber mittlerweile bin ich ein bisschen in Vergessenheit geraten, zum Glück, was aber nicht heißt, dass man weiterhin aufmerksam ist, und der Polizeischutz ist weiterhin vorhanden.
Gessler: Können Sie das ein bisschen konkreter sagen? Was wird Ihnen dann da so angedroht?
Khorchide: Morddrohungen halt. Ich meine, ich kann mir vorstellen, es gibt Menschen, die also uns unterstellen, wenn wir an einer Universität sind, in einem nicht islamischen Land, dass wir hier angeblich Agenten seien, dass wir hier eine Agenda haben, Agenda des Westens. Und dann pauschaliert man Westen, alles in einen Topf geschmissen, sonst würden sie ja nicht diese Anerkennung bekommen in einer staatlichen Universität. Für diese Menschen, die so denken in einer Verschwörungstheorie, ist das ein Störfaktor, warum wir überhaupt existieren, warum wir so viele Studierende haben. Wir haben mittlerweile 650 Studierende muslimischen Glaubens, und die versuchen, einfach einzuschüchtern. Ob meine Person oder Studierende oder was immer, am liebsten wollen diese Menschen unser Zentrum in Münster einfach geschlossen sehen. Aber wir lassen uns nicht einschüchtern und er Weg geht weiter.
Gessler: Können Sie den Begriff Islamischer Staat im Augenblick überhaupt noch hören?
Khorchide: Ich meine, in der islamischen Theologie gibt es so etwas wie einen islamischen Staat nicht. Also, von der Begrifflichkeit her ist ein Staat ein politisches Gebilde. Ein islamischer Staat, was soll ein islamischer Staat sein? Es gibt den Staat, wo Muslime drin leben, aber ein Staat ist ein Staat. In der Tat, zurzeit gibt es einige Begriffe, die in Verruf geraten sind, ja, sogar der Begriff Allah an sich oder Allahu akbar, das, was wir jeden Tag im Gebet sagen, Gott ist größer, kommen in Verruf. Man sieht Enthauptungen im Fernsehen und religiöse Formen wie Allahu akbar oder überhaupt, das islamische Glaubensbekenntnis als Symbol auf den Flaggen von diesem sogenannten Islamischen Staat und so, auch Begriffe wie Kalifat, Scharia, Begriffe, die leider sehr stark mittlerweile missverständlich kommuniziert werden, gerade eben weil in diesen fundamentalistischen Milieus diese Begriffe instrumentalisiert werden.
Umso wichtiger aber ist, nicht zu verdrängen und zu sagen, das gibt es alles nicht und Punkt, sondern wirklich sich damit auseinanderzusetzen und Gegennarrative zu erzeugen, zu sagen, okay, was verstehen wir heute konstruktiv unter Scharia als ein spiritueller ethischer Weg zu Gott, zu Gottes Liebe, zu Gottes Barmherzigkeit? Was verstehen wir Muslime, wenn wir von Gott sprechen, eben von dem liebenden Gott, der eigentlich die Menschen als solche würdigt? Nicht nur Muslime, nicht nur Gläubige, sondern er will uns Menschen als solche und so weiter. Das heißt, wir haben die Aufgabe in der Theologie, nicht zu resignieren, nicht zu verdrängen, nicht einfach pauschal zu verurteilen, sondern auch ein Gegenangebot zu produzieren. Und das ist das, was die jungen Menschen von uns erwarten heute.
Gessler: Sind nicht die Muslime hierzulande in einem gewissen Dilemma? Einerseits ist es ja richtig, dass die IS-Deutung des Islam hier weder bei den islamischen Verbänden noch bei den islamischen Gelehrten hier in Deutschland anzufinden ist, man hat also eigentlich nichts damit zu tun; auf der anderen Seite bleibt diese, sagen wir mal, terroristische Deutung des Islam nun einmal eine Deutung des Islam. Das heißt, man muss sich damit beschäftigen und steht als Muslime in Deutschland damit wieder mit dem Thema in Verbindung. Wie kommt man aus diesem Dilemma raus?
Khorchide: Erstens muss man sich genauer angucken, was sind die theologischen Argumente von dem sogenannten IS oder auch Salafisten hier in Deutschland, was sind genau die theologischen Argumente, mit denen sie junge Menschen überzeugen, und auf das eingehen. Auf das eingehen bedeutet: Zeigen, dass man diese Stellen auch anders interpretieren kann und soll, wenn man sie in ihrem historischen Kontext versteht. Diese Stellen, die im Koran stehen, die aus dem siebten Jahrhundert stammen, auf der arabischen Halbinsel, in einem bestimmten Kontext wurden diese Stellen verkündet. Da muss man die kontextualisieren und fragen, was war damals los, waren das kriegerische Auseinandersetzungen, die im Koran kommentiert sind? Das sind keine ahistorischen, überzeitlichen Aussagen. Das ist wichtig, um genau hier theologisch etwas gegen Gewalt zu leisten.
Gessler: Aber helfen denn solche Erklärungen wie etwa, die Sie als islamischer Gelehrter an deutschen Universitäten machen, oder helfen solche Erklärungen wie etwa diese Erklärung der deutschen islamischen Theologen bei dem Frankfurter Kongress vor drei Monaten gegen diesen islamistischen Terror? Dringt man mit solchen Deutungen wirklich durch?
Khorchide: Wir bewegen uns auf unterschiedlichen Ebenen. Auf einer Ebene muss man schon der Mehrheitsgesellschaft signalisieren, dass hier die islamische Theologie genau das nicht vertritt, was IS vertritt oder auch Salafisten oder Fundamentalisten überhaupt. Auf einer anderen Ebene ist es auch wichtig, dass die muslimischen Theologen ein Signal setzen in Richtung der muslimischen Community, auch der muslimischen Jugendlichen, dass das, was da im Namen des Islam geschieht, nichts mit dem eigentlichen Islam zu tun hat, nur das Label Islam kriegt. Auf der anderen Seite haben wir andere Ebenen, wo solche Statements zu wenig sind. Die sind wichtig, aber noch zu wenig. Und deshalb arbeiten wir in der Ausbildung von Religionslehrern, von Imamen, eben an einer fundierten Auseinandersetzung mit Themen wie Religion und Gewalt, Religion und Demokratie, Religion und Rechtstaatlichkeit, Religion und Menschenwürde. Das sind die Themen, die wir dann von innen aus einer bekenntnisorientierten Perspektive behandeln, damit wir die jungen Menschen aufklären. Und diese Ebene ist genauso wichtig wie die andere Ebene, wenn man in die Öffentlichkeit klare Signale und klare Zeichen auch setzt gegen Terror und gegen Gewalt.
Gessler: Aber ist nicht noch immer ein Riesenproblem, dass tatsächlich ein großer Anteil der Imame hier in Deutschland tatsächlich eher aus Anatolien kommt als aus Baden-Württemberg? Das heißt, sie werden von einem anderen Islam geprägt und die islamische Theologie hier in Deutschland kann sie kaum prägen, diese Imame?
Khorchide: Wir dürfen jetzt die Imame nicht im Zusammenhang mit dem Terror und Gewalt oder IS jetzt bringen. Es gibt große Defizite jetzt natürlich dadurch, dass die Imame die Sprache – mit Sprache meine ich nicht nur die deutsche Sprache, sondern die kulturelle Sprache – des Landes hier nicht sprechen, die kennen die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen nicht, weil sie von woanders kommen, aus dem Ausland. Und das ist in der Tat ein Defizit, was nicht unbedingt dazu führt jetzt, dass Terror hier im Land sich verbreitet, aber die jungen Menschen fühlen sich nicht aufgefangen in den Moscheegemeinden, wenn ihre Lebenswirklichkeit dort nicht angesprochen wird, wo der Lebensbezug nicht hergestellt wird, wo sie sagen, wir verstehen zum Teil auch sprachlich das nicht, was die Imame predigen, geschweige denn, dass wir uns nicht angesprochen fühlen in unseren Anliegen.
Umso wichtiger ist es, dass wir hier Imame ausbilden in Deutschland für Deutschland. Und dieses Projekt der Etablierung der islamischen Theologie hat schon 2011 begonnen mit der Etablierung mehrerer islamischer Zentren, eins davon ist unser Zentrum in Münster. Und wie gesagt, wir haben mittlerweile 650 Studierende, das sind angehende Multiplikatoren, sei es jetzt Religionslehrer oder Imame. Wir sind mittendrin in diesem Prozess und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir in ein paar Jahren immer mehr Imame haben aus dem deutschen Kontext für den deutschen Kontext auch.
Gessler: Arbeiten Sie selbst als islamischer Religionspädagoge an Programmen, zum Beispiel zur Prävention gegen solche fundamentalistischen Tendenzen?
Khorchide: Die beste Prävention, die uns tagtäglich beschäftigt bei unserer Arbeit, ist die fundierte theologische, reflektierte Ausbildung von islamischen Religionslehrkräften und Imamen. Das heißt, was wir machen, ist, dass wir die jungen Menschen bei uns an der Universität, am Zentrum für islamische Theologie in Münster, befähigen, den Islam so zu reflektieren, dass man nichts einfach so hinnimmt und sagt, das ist so, weil es so ist oder weil es so stimmt oder weil jemand das sagt. Sondern ich habe Argumente, ich kann argumentieren, ich kann nachvollziehen, sodass die jungen Menschen letztendlich in der Lage sind, von sich aus zwischen menschenfreundlichen und menschenfeindlichen Angeboten im Namen des Islam zu unterscheiden, dass sie ihre Religiosität selbst entwickeln können, selbst verantworten können in Freiheit.
Das ist die beste Form auch von Prävention, wenn man die Menschen dazu befähigt, ihre Religiosität zu reflektieren und zu überlegen von sich aus, was will meine Religion eigentlich von mir und welche Angebote sind im Sinne meiner Religion und welche nicht. Gerade heute sieht man im Internet eine Bandbreite an Angeboten, junge Menschen brauchen keine Kataloge, wo man ihnen sagt, diese und jene Seite nicht, aber diese und jene schon, sondern sie müssen von sich aus das Handwerkzeug haben, selbst entscheiden zu können, welches dieser Angebote hat mit meiner Religion zu tun und welches hat nur das Label Islam, aber haben wenig mit meiner Religion zu tun.
Gessler: Gleichzeitig sind natürlich die Leute, die Sie erreichen, im Grunde eine Elite. Das heißt, Sie erreichen nicht den, sagen wir, Pizzaverkäufer, der dann irgendwann zu einem Enthaupter wird in Syrien.
Khorchide: Sie haben vollkommen recht, die Studierenden sind die eher Gebildeten, denen es besser geht. Aber vergessen Sie nicht, unsere Studierenden sind Multiplikatoren in der Gesellschaft. Wenn sie später dann als Seelsorger in Beratungsstellen, als Imame in den Moscheen tätig sind, als Religionslehrkräfte, da erreichen sie sehr viele junge Muslime dann als Multiplikatoren. Jetzt schon in den Familien kommt es auch zu einem theologischen Diskurs, wo die Jugendlichen berichten von dem, was sie an der Universität studieren, wo sie diskutieren auch mit den Eltern, mit den Geschwistern. Also, sukzessive bildet sich so ein Diskurs, wo diese Gedanken sich nicht elitär nur unter Studierenden oder Wissenschaftlern an den Universitäten bewegen, sondern hineingreifen in die muslimische Community, in die muslimische Gemeinschaft. Und das ist wichtig.
Gessler: Das heißt, man kann nicht den Vorwurf erheben, dass im Grunde der friedliche, der aufgeklärte, der kritische Islam, der an deutschen islamischen Fakultäten gelehrt wird, im Grunde in so einer Art Elfenbeinturm stattfindet?
Khorchide: In dieser Anfangsphase ist er vielleicht noch, in der Etablierungsphase, etwas abgeschnitten vielleicht von der Basis. Ich treffe Muslime, die noch nicht einmal wissen, dass es islamische theologische Zentren gibt in Deutschland. Es braucht noch ein bisschen Zeit, bis sich das verbreitet, es braucht auch ein bisschen Zeit, um hier nüchtern und realistisch auch eine Expertise zu geben. Es braucht Zeit, bis das alles, was wir an der Universität machen, wirklich Mainstream in der Gesellschaft wird. Und da erhoffen wir uns auch die Unterstützung der Moscheegemeinden, dass sie wohlwollend auch dieses Gedankengut weitertragen in die Moscheegemeinde, dass sie uns unterstützen, unserer Arbeit keine Stolpersteine, keine Hürden stellen, sondern umgekehrt uns auch die Wege ebnen, um in den Moscheegemeinden auch die jungen Menschen zu erreichen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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