Moskauer Bolschoi-Theater

Mit Drill an die Spitze

Anna Tikhomirova am Moskauer Bolschoi-Theater
Anna Tikhomirova im September 2014, Tänzerin am Moskauer Bolschoi-Theate © picture alliance / dpa / Foto: Vladimir Vyatkin
Von Gesine Dornblüth · 18.03.2016
Das Moskauer Bolschoi-Theater genießt Weltruf. Es geriet in der Vergangenheit aber immer wieder mit Skandalen in die Schlagzeilen. Nun tritt der neue Ballettchef Machar Wasijew seinen Dienst an. Zeit für einen Besuch an der Bolschoi-Ballettschule, wo der Nachwuchs auf Erfolg getrimmt wird.
Das linke Bein auf halber Spitze, das rechte schnurstracks in die Höh‘, den Rücken durchgedrückt. Elf Mädchen bewegen sich an der Stange, hellblaue Kleidchen auf dem Rücken zusammengebunden, die langen Beine in weißen Strümpfen, die Haare streng zu einem Knoten gesteckt, ein Lächeln im Gesicht. Am Flügel steht Ljudmila Kowalenko, die Lehrerin, und gibt Kommandos: Die Fingerchen weicher, das linke Schulterchen gerade.
"Die Mädchen sind fleißig, und vieles können sie schon. Aber es geht immer noch perfekter. Wer im Ballett Erfolg haben will, muss den Beruf lieben, auf den Pädagogen hören und hart arbeiten."
Einen Raum weiter unterrichtet Michail Scharkow eine Jungenklasse. Starke, männliche Bewegungen sollten sie machen. Unter den hautengen Hosen der Jungs zeichnen sich Muskelpakete ab. Einem zittert das Bein vor Anstrengung.
"Ich bin immer unzufrieden. Wie wohl jeder Pädagoge. Sie geben sich Mühe. Aber Jungs sind nun mal keine Mädchen. Mädchen sind akkurater und disziplinierter. Die Jungs muss man dauernd antreiben."

Tanzausbildung beginnt mit zehn Jahren

Drill gehört zum Erfolgsrezept der Staatlichen Moskauer Ballett-Akademie. Und das seit mehr als 240 Jahren. Katharina die Große ließ die Schule gründen. Seit den 1960er-Jahren residiert sie in einem lichtdurchfluteten Funktionsbau in einem zentralen Moskauer Wohnviertel. Die Kinder sind zehn, wenn sie aufgenommen werden. Viele gehen bald wieder ab, weil der Ehrgeiz nicht ausreicht oder der Körper anders wächst, als es dem tänzerischen Ideal entspricht. Wer aber durchhält bis zum Abschluss mit 17 oder 18, dem stehen die Bühnen der Welt offen. Michail Scharkow hat selbst die Ballett-Akademie absolviert, danach tanzte er 20 Jahre am Bolschoi-Theater, nun unterrichtet er schon zehn Jahre.
"Der Linoleumboden ist neu. Wir haben hier noch auf Brettern getanzt. Sonst ist alles wie früher."

Auch der strenge Tagesablauf. Frühstück, Dehnen. Dann Schulunterricht. Ab mittags Tanzstunden: klassisches Ballett, Volkstanz, Kaukasischer Tanz, Moderner Tanz. Dann noch Proben. Manchmal Aufführungen. Hausaufgaben. Die eine Stunde, die die Schüler werktags Ausgang haben, nutzen die meisten gar nicht. Vitalina Alsufjewa kommt aus Donezk in der Ostukraine. Sie ist 16, doch ihr Körper sieht aus wie der einer Zwölfjährigen.
Bolschoi-Theater Moskau
Bolschoi-Theater Moskau © picture alliance / dpa / Foto: Britta Pedersen
"Das Leben im Internat ist lustig. Wir haben zwar nur sehr wenig Zeit und die Belastung ist groß, mir gefällt es aber."
Es gefällt Ballettnachwuchs aus aller Welt. 84 der derzeit 721 Schüler sind Ausländer. Im Aufenthaltsraum auf der Wohnetage macht Ted Pause. An der Wand stehen Sofas, doch der 15-Jährige sitzt auf dem Boden im Spagat. Ted kommt aus Australien.
"In Australien ist es ein Rotes Tuch, wenn du sagst, du gehst nach Russland. Aber Moskau ist schön und sicher, und ich lebe gern hier."
Für Ausländer gibt es Sonderklassen mit Russischunterricht. 17.000 EUR zahlen sie im Jahr. Für Russen ist die Ausbildung kostenlos. Präsident Wladimir Putin hat die Ballett-Akademie kürzlich zum russischen Kulturerbe erklärt. Damit dürfte die Finanzierung langfristig gesichert sein. Camilla Mazzi ist 17, sie kommt aus Italien.
"Alle denken, im Ballett gäbe es sehr viel Konkurrenz. Es gibt sie. Aber in Italien war es schlimmer. Überall auf der Welt stehen Leute auf der Bühne, weil sie privilegiert sind und wichtige Eltern haben. Hier kannst du auch etwas werden, wenn du keine Beziehungen hast. Du musst nur richtig gut sein. Dann kannst du hier viel erreichen, selbst als Ausländerin."

Ballett ist ein Aushängeschild Russlands

Marina Leonowa hört das gern. Sie ist 67, seit 13 Jahren Rektorin der Ballett-Akademie und hat dazu beigetragen, die Schule für internationale Kooperationen zu öffnen. Ballett ist ein Aushängeschild Russlands, Touristen nennen das Bolschoi in einem Atemzug mit dem Kreml, dem Rotem Platz, der Eremitage in St. Petersburg und der Transsibirischen Eisenbahn.
"Die Liebe zum Ballett hat in Russland tiefe Wurzeln. Die russische Lieder, Reigentänze. Wir haben so viele herausragende Künstler, Komponisten, Choreografen. Wir sind eben ein talentiertes Volk."
Doch das Ballett hat auch seine hässlichen Seiten. Das Bolschoi Theater gilt als Hort von Neid und Intrigen. Drei Jahre ist es her, dass der damalige künstlerische Leiter des Bolschoi Opfer eines Säure-Attentats wurde. Ein Solotänzer steckte dahinter. Für Negativ-Schlagzeilen sorgte auch, als Primaballerina die Proben zu Onegin schmiss, kurz vor der Premiere, weil sie nicht für die A-Besetzung vorgesehen war. Danach musste der Direktor des Bolschoi gehen. Und dann war da noch ein Skandal um verschwundene Millionen bei der aufwändigen Renovierung des Hauses.
In einem der Übungsräume trainiert Oleg Pschenitschnikow Sprünge. Er hat mit fünf Jahren angefangen zu tanzen, jetzt steht er kurz vor dem Abschluss.
"Die Skandale – ja, die kommen vor. Manch einer kann es eben nicht verkraften, wenn er keinen Erfolg hat. Ich bin in einem Jahr mit der Akademie fertig. Dann entscheidet sich, wohin ich gehe. Vielleicht ans Bolschoi, vielleicht ans Marijnskij-Theater in St. Petersburg, vielleicht sogar ins Ausland, nach England an die Royal Opera. Ich würde am liebsten ans Bolschoi."
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