Mordfall Jo Cox

Verbalattacken im Netz entschieden sanktionieren

Die britische Labour-Abgeordnete Jo Cox stirbt nach einem Attentat (16. Juni 2016).
Die britische Labour-Abgeordnete Jo Cox stirbt nach einem Attentat. © dpa / picture alliance / Jon Super
17.06.2016
Nach dem Mord an der Abgeordneten Jo Cox diskutieren die Briten, ob sich die politische Kultur im Land ändern muss. Denn tätliche Angriffe und verbale Attacken im Internet hat dort schon jeder zweite Abgeordnete erlebt. Friedbert Meurer meint: Es ist höchste Zeit, Beleidigungen und Bedrohungen im Web auch bei uns entschieden zu sanktionieren.
Bei allem Streit in der Sache sind die Briten stolz auf ihre Demokratie, die auf der Verbindung der Abgeordneten zu ihren Wahlkreisen beruht. Jeder zweite Abgeordnete hat unlängst angegeben, schon einmal Opfer physischer Gewalt oder einer solchen Drohung geworden zu sein. Alle Abgeordneten, die einen mehr, die anderen weniger, erleben täglich, wie sie im Internet beschimpft, beleidigt und bedroht werden.
Das sind die Themen, die hier auf der Insel diskutiert werden – nicht, ob es einen Zusammenhang zur Brexit-Debatte gibt. So groß der Schock ist: Die Briten warten nüchtern den Fortgang der Ermittlungen ab. Der Täter, ein 52-jähirger Brite, war offensichtlich ein psychisch kranker Einzelgänger. Es gibt Hinweise, dass der Täter sporadisch rechtsradikale Schriften las. Er soll unmittelbar, bevor er rasend dreimal auf Jo Cox schoss und sieben mal auf sie einstach, gerufen haben: "Britain first", Großbritannien zuerst.

Gab es einen rechtsradikalen Hintergrund?

Gab es also einen rechtsradikalen Hintergrund, neben einer Psychose? Vielleicht, man weiß es noch nicht genau. Entsprechend werden keine voreiligen Debatten geführt. Wohl diskutieren die Briten, ob sich die politische Kultur im Land ändern muss. Ob die fremdenfeindliche UKIP-Partei Plakate aufhängen darf, auf denen endlose Kolonnen von Flüchtlingen auf die Insel strömen. Jo Cox engagierte sich ganz besonders für syrische Flüchtlinge. Aber die Briten hüten sich vor vorschnellen Urteilen und Spekulationen.
Bei aller Auseinandersetzung ist die Diskussion um EU- oder Nicht-EU-Mitgliedschaft mitnichten auf der Insel aus dem Ruder gelaufen. Die Bürger diskutieren über ihre Zukunft, die Brexit-Befürworter mit großem Enthusiasmus, mitunter auch in nationaler Verblendung. Die EU-Befürworter sind eher leidenschaftslos, idealistische Begeisterung für die EU findet man in Großbritannien fast nicht. Großbritanniens Brexit-Debatte wird aber keineswegs jetzt mit Gewalt ausgefochten.

Initiative gegen den Hass im Netz

Das Grundproblem steht zurecht im Fokus: Woher kommt der ganze Hass? Helen Joanne Cox war eine gebildete, engagierte, begeisterungsfähige Bilderbuchpolitikerin. Sie lebte mit Mann und zwei Kindern auf einem Hausboot, nicht in einem Palast. Letzte Woche erst haben sich Frauen aller Fraktionen im Unterhaus zusammengeschlossen, um etwas gegen den Hass im Internet zu tun – gegen die Drohungen und Vergewaltigungsphantasien. Das Phänomen gibt es auch in Deutschland und anderswo. Es ist höchste Zeit, dass verbale Beleidigungen und Bedrohungen im Internet entschieden sanktioniert werden, bevor sie im realen Leben zu brutalen Attentaten führen.
Mehr zum Thema