Montreux

Politologe mahnt zur Geduld bei Syrien-Verhandlungen

Stühle für die Teilnehmer im Konferenzcenter "Le Petit Palais" im schweizerischen Montreux, in dem die Friedenskonferenz stattfindet.
Teilnehmer aus rund 40 Staaten suchen in Montreux nach einer Lösung im Syrien-Konflikt. © AFP / PHILIPPE DESMAZES
Markus Kaim im Gespräch mit Julius Stucke · 24.01.2014
Er rechne mit Rückschlägen während der Syrien-Friedensverhandlungen, sagte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er gehe noch nicht einmal davon aus, dass die syrischen Parteien sofort direkt miteinander verhandelten.
Julius Stucke: „Wir haben zu viel Zeit und Menschenleben verloren“ – wer will dem UN-Generalsekretär Ban Ki-moon da widersprechen? Fast drei Jahre Krieg in Syrien, mehr als 130.000 Tote, Millionen Flüchtlinge, und es glaubt wohl keiner, dass die Verhandlungen in der Schweiz wirklich Frieden bringen können, aber vielleicht einen Schritt auf dem Weg dahin. Und als großen Schritt werten es manche daher, dass Vertreter der Regierung Assad und Vertreter der Opposition überhaupt an einem Tisch sitzen – wobei das genau genommen noch offen ist, ob sie wirklich direkt miteinander sprechen oder nur über die internationalen Vermittler. Wie schwer ist es, Feinde an einen Tisch zu bringen und was kann das bringen? Markus Kaim, Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der SWP, der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Guten Morgen, Herr Kaim!
Markus Kaim: Guten Morgen, ich grüße Sie!
Stucke: Ja, Herr Kaim, wie bekommt man denn erbitterte Feinde mit völlig auseinanderliegenden Positionen an einen Verhandlungstisch, ganz praktisch?
Kaim: So allgemein kann man das nicht sagen. Das Einzige, was man aus der Vergangenheit, aus früheren Friedensverhandlungen aller Art sagen kann, ist, dass es – banal formuliert – darum geht, das Kosten-Nutzen-Kalkül der Beteiligten zu verändern, also das, was sie gestern wollten, dahingehend zu verändern, dass sie morgen etwas anderes wollen. Und das scheint mir auch im Falle Syriens der Fall zu sein, dass, wenn wir das Ganze mal in einer langfristigen Perspektive sehen und auch diesen politischen Übergangsprozess als Referenzpunkt nehmen, dass wahrscheinlich die Rebellen akzeptieren müssen, dass das Assad-Regime vergleichsweise stabil ist und auch der syrische Präsident auf absehbare Zeit weiterhin eine Rolle spielen wird, aber dass auch die Regierung akzeptieren muss, dass, wenn die internationale Gemeinschaft es ernst meint mit der Form der Übergangsregierung und einem politischen Übergangsprozess, dass es eine Form des politischen Übergangs wirklich gibt, der auch eine Beteiligung der Opposition am politischen System und an der Macht in Syrien vorsieht.
Stucke: Herr Kaim, heute will der UN-Sondergesandte für Syrien Brahimi die Konfliktparteien ja an den Tisch bringen. Ich habe es gesagt: Es ist noch unklar, ob sie direkt oder indirekt verhandeln. Womit rechnen Sie?
Kaim: Also ich gehe davon aus, dass die Konfliktparteien erst einmal indirekt verhandeln werden, wie das zum Beispiel auch vor wenigen Jahren die Israelis und die Palästinenser noch gemacht haben, als sie sich noch nicht gegenseitig anerkannt hatten. Dann wird zwischen einzelnen Hotelräumen gependelt und zeitversetzt verhandelt und die entsprechenden Tagesordnungspunkte sozusagen über Bande abgearbeitet. Und in der Sache gehe ich davon aus, dass wir überhaupt noch gar keine politischen Verhandlungen zu Beginn sehen werden, sondern dass sich das manifestiert, was viele Beobachter ja auch angedeutet haben, dass es am Anfang eher auf die humanitäre Dimension abzielen wird, die Gespräche, dass es also darum gehen wird, der leidenden syrischen Bevölkerung Erleichterung zu verschaffen, das heißt also, Waffenstillstände zu vereinbaren, die Versorgung von Flüchtlingen zu gewährleisten, einen Gefangenenaustausch zu vereinbaren und anderes mehr, also sozusagen der unpolitische Teil von diesen Verhandlungen.
Stucke: Ist es vielleicht auch besser sogar, dass sie sich nicht direkt gegenübersitzen, weil es eben so erbitterte Feinde sind, die sich bekämpfen, die jeden Tag Tod und Leid erleben und bei denen es vielleicht gar nicht so gut ist, wenn sie an einem Tisch sitzen, weil sie dann eben nicht ruhig miteinander sprechen können?
Kaim: Na ja, was sehr deutlich geworden ist – und das haben wir ja am Mittwoch auch noch mal gesehen bei den Auftragsverhandlungen –, dass die politischen Ressentiments zwischen den Konfliktparteien enorm sind. Und das ist auch kein Wunder nach knapp drei Jahren Bürgerkrieg, nach 130.000 Toten, Sie haben es angesprochen. Mehrere Millionen Flüchtlinge, also mehrere Millionen Syrer sind auf der Flucht, haben das Land verlassen oder aber sind im Lande auf der Flucht. Das heißt, angesichts dieser auch Gräueltaten, die von beiden Seiten verübt worden sind, ist es schwer vorstellbar, dass diese sich jetzt gegenübersitzen und von ihren Maximalforderungen sofort abrücken, und die Maximalforderung, die haben wir ja Mittwoch noch einmal gehört.
Stucke: Und abseits von diesen Maximalforderungen dieser Verhandlungspartner jetzt die Frage: In Syrien ist ja gar nicht mehr so klar zu sagen, da sitzen die einen auf der einen, die anderen auf der anderen Seite. Also es gibt die Rebellen, es gibt die pro-westliche freisyrische Armee, die islamistischen Milizen, es gibt al Kaida-nahe Gruppen. Das heißt doch auch: Selbst wenn jetzt hier Assads Vertreter und die der Exilopposition sich in der Schweiz einigen können oder einen Schritt zusammen gehen – es gäbe in Syrien immer noch genug Feinde, die sich gegenüberstünden, oder?
Kaim: Absolut. Gerade in den vergangenen Monaten haben wir noch einmal festgestellt, dass die sogenannte Opposition in Syrien gar nicht homogen ist, dass wir auch in militärischen Kategorien nicht von einer einheitlichen Befehlsstruktur sprechen können, sondern dass es sich um eine Vielzahl von unterschiedlichen Rebellengruppierungen – eher säkular-moderat bis hin zu islamistisch – handelt, die ja gerade in den vergangenen Monaten auch zum Teil gegeneinander gekämpft haben. Und hinzu kommt gerade das, was Sie angesprochen haben, dass ja eine Reihe von Akteuren in Montreux gar nicht vertreten sind, die aber für eine mögliche Umsetzung eines Abkommens oder von Vereinbarungen wichtig sind, zu allererst der Iran, und in anderer Perspektive auch die islamistischen Rebellengruppen, die in der Schweiz nicht vertreten sind. Aber wenn wir mal der Frage nachgehen, wie denn das umgesetzt werden soll, was in Montreux gegebenenfalls vereinbart wird, dann steht die Frage im Raum, ob die sich an diese Vereinbarungen eigentlich halten werden. Sie sind sozusagen stille Teilhaber an diesen Vereinbarungen, gleich, ob sie wirklich physisch präsent sind.
Stucke: Das heißt, es muss danach aber auch irgendwie weitere Verhandlungen geben mit den weiteren beteiligten Gruppen?
Kaim: Also mit historischen Analogien müsste man immer vorsichtig sein, aber man könnte ja zum Beispiel in die 90er-Jahre zurückschauen auf die Bosnien-Verhandlungen, auf die Kosovo-Verhandlungen, und da stellen wir auch fest, dass diese Verhandlungen, die unter völlig veränderten Vorzeichen stattgefunden haben, sich über Monate hingezogen haben, zum Teil unterbrochen gewesen sind, auch von einer erneuten militärischen Eskalation, ich glaube, die darf man auch hier nicht ausblenden. Wir werden mit Sicherheit, selbst wenn es Waffenstillstandsvereinbarungen gibt, auch wieder ein Aufflammen von Gewalt sehen, zumindest punktuell. Ich glaube, diese Geduld muss die internationale Staatengemeinschaft an den Tag legen und ich glaube, es wäre schlicht und ergreifend zu optimistisch, jetzt einen linearen Endprozess zu entwerfen, der in wenigen Monaten zu einer politischen Übergangsregierung führen würde.
Stucke: Was bringt es, wenn man Feinde an den Verhandlungstisch setzt, und wie setzt man sie an den Verhandlungstisch? Heute soll die Syrienkonferenz mit direkten Gesprächen in der Schweiz weitergehen – Einschätzungen von Markus Kaim, Leiter des Forschungsbereichs Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke, Herr Kaim, und Ihnen einen schönen Tag!
Kaim: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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