Monstermaschinen von zarter Poesie

Von Christian Gampert · 13.10.2009
Die beiden Künstler Robert Rauschenberg und Jean Tinguely hatten eine Vorliebe für das Recyceln von scheinbar nutzlosem Material. Anhand ihrer Werke wie dem "Geldschmeißer" dokumentiert das Museum Tinguely die Geschichte einer kreativen Freundschaft.
Robert Rauschenberg hatte mit Jean Tinguely eine gemeinsame Schwäche: Er ging gerne auf Schrottplätze. Und obwohl er eigentlich von der Malerei her kam, dann Konservendosen und Unterhemden in seine Bilder integrierte und so zunächst als Protagonist der Pop-Art bekannt wurde, sind seine reinen Schrott-Assemblagen zentraler Bestandteil des Werks.

"Gluts" heißen diese Eisen-Skulpturen aus den 80er- und 90er-Jahren, die jetzt in Basel ausgestellt sind; sie schlagen einen feinen Bogen zu Tinguely. Ein "Glut" ist ein Überangebot, das, was zuviel ist und nicht gebraucht wird: diese Plastiken sind gänzlich aus vorgefundenem Material komponiert, aus alten Verkehrsschildern und Wellblechverkleidungen, gestauchten Fensterjalousien und Schrottfahrrädern, verbeulten Flugzeugtragflächen und Autotrümmern. Trotz ihrer Klobigkeit entfalten sie eine zarte Poesie, den Zauber der Vergangenheit, die Melancholie toter Technik, und man glaubt dem im letzten Jahr verstorbenen Rauschenberg aufs Wort, wenn er sagte, er habe immer Sympathie für "herrenlose Gegenstände" gehabt.

Die hatte ja auch Jean Tinguely, wenngleich er die Schrottmaterialien dann ganz anders recycelte und ironische Monstermaschinen daraus machte. Dass die westliche Kultur enorme Destruktionskräfte produziert, das hatten beide Künstler früh begriffen. Und da Rauschenberg und Tinguely bereits in den 60er-Jahren zusammengearbeitet haben, rekonstruiert der neue Direktor des Basler "Musée Tinguely", Roland Wetzel, nun die Geschichte dieser Freundschaft.

Roland Wetzel: "Man könnte sie beide vielleicht als eine Art Meta-Dadaisten beschreiben. Für beide hatte Duchamp Vorbildfunktion. Beide versuchten, Kunst und Leben näher zusammenzuführen. Beiden war wichtig, die Interaktion mit der Kunst zu verknüpfen. Das war die Kunstsituation um 1960: bildende Kunst, Theater, Literatur kamen näher zusammen. Performances. In diesem Feld sind sie sich begegnet und haben Projekte gemacht."

Jean Tinguely kam 1960 erstmals zu einer Ausstellung nach New York, wo die Kunstszene völlig vom Abstrakten Expressionismus dominiert wurde. Tinguelys Zeichenmaschinen, kleine mechanische Wunderwesen, die selbst den Stift führen konnten, wirkten auf die Amerikaner wie ein sarkastischer Kommentar zu dem emotionalen, aber eben auch pathetischen Farbgespritze des Jackson Pollock.

Roland Wetzel: "Wenn man sich an Pollock erinnert, wie er vor der Leinwand steht und mit großer Geste die Farbe verteilt – das waren Malerheroen. Und wenn man sich nun Tinguely vorstellt, der eine Maschine konstruiert, die genau dasselbe macht – dann war das ein sehr ikonoklastischer Akt."

In dieser Situation bekam Tinguely 1960 die Erlaubnis, im Garten des MoMa, des "Museum of Modern Art", eine sich selbst zerstörende Maschine zu konstruieren, die er dann "Homage à New York" nennen sollte. Bei dieser Arbeit lernte er Bob Rauschenberg kennen, der sich für Tinguelys mechanische Ersatzteillager spontan begeisterte. Rauschenberg war so ergriffen von der Idee, die Überbleibsel der Industriekultur zu einem autoaggressiven Monument zu verarbeiten, dass er sich mit einer kleinen mechanischen Skulptur an Tinguelys Maschine beteiligte, dem sogenannten "Money Thrower", den Geldschmeißer: ein winziger Elektromotor treibt zwei Sprungfedern an, in die man Geldstücke stecken kann – und die werden dann in die Welt hinausgeschleudert.

Das war Rauschenbergs erstes kinetisches Objekt; in Basel kann man es anschauen. Auch ein Fragment der zerstörten Tinguely-Maschine ist da, und ein wandgroßes Foto des Happenings: drei Wochen Aufbauarbeit wurden in 27 Minuten kaputtgemacht. Auch Kunst ist vergänglich, sagt Kurator Roland Wetzel – im ewigen Zyklus von Werden und Vergehen legte Schöpfer Tinguely Hand an sein Werk.

Roland Wetzel: "Das passierte natürlich mit Feuer. Es gibt einen Menüplan, nach wie viel Minuten was in Betrieb genommen wird. Da gab es eine Zeichenmaschine, die integriert war, es gab ein Klavier, auf welches Tasten draufschlugen, die einen bestimmten Klang erzeugten; es gab Sägen, die die Konstruktion selber angesägt haben, und dann eben einiges an Feuer, an Rauchentwicklung, sodass sich die Maschine so langsam aber sicher zerlegt hat. Ein Stück weit auch auf Knopfdruck, nach 18 Minuten wurde das Benzin übers Klavier gegossen, und dann begann das zu brennen – das hat sich schrittweise vollzogen."

Die Provokation solcher Aktionen, mitten in Wirtschaftswunder, kaltem Krieg und atomarer Abschreckung, war immens. Tinguely und Rauschenberg bildeten sodann – mit anderen Künstlern - ein funktionierendes Netzwerk; auch Niki de Saint Phalle verklebte Gummistiefel und Besen mit Farbe und ließ Rauschenberg auf das Werk schießen. Rauschenberg wiederum bastelte Environments mit stehengebliebenen Uhren und leeren Vogelkäfigen, man schrieb einander tischdeckengroße Künstlerbriefe und performte spartenübergreifend mit John Cage und Merce Cunningham.

In Basel ist nun einiges von diesem Material zu sehen: Tinguelys grotesk quietschende, rostige "Madame Lacasse", die einen Frauenschuh und einen Yves-Klein-blauen Mond schwenkt; und Rauschenbergs flaggenartig drapierte LKW-Planen, die wie Bühnenvorhänge wirken vor Türen, durch die man gehen sollte für seinen Traum einer anderen Welt.

Dazu kommen dann Rauschenbergs "Gluts", in denen er mit gelben Propellern oder weißem Gestänge ironisch Sonnenuntergänge und Hochzeitsnächte beschwört, jedenfalls im Titel. Und der "Money Thrower", der Geldschmeißer aus Tinguelys Monstermaschine, der könnte sogar Guido Westerwelle gefallen.