Monografie über Adolph Menzel

Malen als permanente Selbstbehauptung

Eine Besucherin schaut sich das Gemälde "Blüchers Begegnung mit Wellington nach der Schlacht bei Belle-Alliance, 1858" von Adolph Menzel an. Im Vordergrund spiegelt sich die Gipsbüste Menzels, geschaffen von Reinhold Begas, in einer Glasscheibe.
Ausstellung "Adolph Menzel - radikal real" über den Maler und Zeichner Adolph Menzel 2008 in München © dpa / picture alliance / Peter Kneffel
Von Eva Hepper · 08.12.2015
Selten liest sich Kunstgeschichte so spannend: In der Monografie "Adolph Menzel. Auf der Suche nach der Wirklichkeit" stellt der Kunsthistoriker Werner Busch den berühmten Künstler zum seinem 200. Geburtstag auf völlig neue Weise dar. Eindringliche Bildbeschreibungen enthalten spektakuläre Beobachtungen.
Ein chaotisches Gewimmel, ein Hauen und Stechen – so ließe sich Adolph Menzels berühmtes Gemälde "Piazza d'Erbe in Verona" salopp formuliert auf den Punkt bringen. Es zeigt den überbordenden Trubel eines italienischen Marktes mit unzähligen Protagonisten und Detailszenen. Dem kleinwüchsigen Maler war angesichts dessen "scheußlich zumute", und diese Bedrängung fühlt auch der Betrachter.
Und doch: Auf Menzels letztem Ölgemälde (1882-84) herrscht in all dem lebendigen Treiben eine genau austarierte Ordnung. Es ist komponiert nach den Regeln des Goldenen Schnittes und hat einen Fluchtpunkt, von dem "alles Chaos ausstrahlt". Das zeigt Werner Busch in seiner herausragenden Monografie zum 200. Geburtstag des berühmten Künstlers.
Darin widmet sich der emeritierte Professor der Freien Universität Berlin sowohl künstlerischen wie auch persönlichen und psychologischen Motiven des Malers und stellt damit einen Menzel vor, von dem man so noch nicht gelesen hatte.

Meisterhafte Texte

Auch Busch feiert den 1815 in Breslau geborenen und 1905 in Berlin gestorbenen Maler als begnadeten Künstler mit einem ungeheuren Themenspektrum. Menzel schuf nicht nur Historiengemälde, Salon- und Krönungsszenen, sondern widmete sich auch "schmutzigen" Lebensbereichen wie Hinterhöfen, Baustellen und Gossen. Mit schier unglaublicher Detailversessenheit erfasste er die Wirklichkeit und hielt fest, was er sah. Soweit, so bekannt.
Busch jedoch geht weiter und bezweifelt, dass Menzel die Wirklichkeit lediglich abbilde. Vielmehr, so der Kunsthistoriker, forme er, was sich ihm zeige. Diese These führt der Autor mit eindringlichen Bildbeschreibungen aus. Das sind meisterhafte Texte, die mitunter große Entdeckungen enthalten. Etwa wenn Busch eröffnet, dass Malen für den 1,40 Meter messenden Menzel "ein unmittelbar körperlicher Vorgang" war, mit dem dieser die Wirklichkeit zu bewältigen versuchte.
So wird der große Meister des Realismus bei Busch zum "Abwehrkämpfer", sein Schaffen zur "permanenten Selbstbehauptung". Die "Piazza d'Erbe in Verona", die Menzel von einem erhöhten Standpunkt aus malte, steht beispielhaft für das andrängende Leben, dem sich der Künstler buchstäblich nicht gewachsen fühlte.

Psychologie bisweilen überstrapaziert

Selten liest sich Kunstgeschichte so spannend, auch wenn man dem Autor nicht in allem folgen will – bisweilen scheint die Psychologie überstrapaziert. Doch immer wieder gelingen Busch spektakuläre Beobachtungen: Seine Charakterisierung des berühmten Balkonzimmers (1845) als Darstellung einer Seherfahrung ist schlichtweg atemberaubend.
Quasi nebenbei hat Busch auch Menzels Biografie und die Zeitgeschichte im Blick. So kann er nachweisen, wie die Anfänge des Künstlers als Gebrauchsgrafiker und seine zeichnerische Meisterschaft mit der späteren Ölmalerei zusammenhängen: Das Fragile und Bedrängende seiner Motive ist dort ebenso zu finden, wie die kompositorische Ordnung und ein quasi "frei in der Luft schwebender Maler", der sich die Welt aus erhöhter Perspektive vom Leibe hält.
So muss man über Kunst schreiben.

Werner Busch: "Adolph Menzel. Auf der Suche nach der Wirklichkeit"
C.H. Beck Verlag, München 2015
304 Seiten, 58,00 Euro

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