Monika Grütters über Meinungsfreiheit

"Stark bleiben und nicht einknicken"

Nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" gab es viele Zeichen der Solidarität - auch international (wie hier in Turin).
Nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" gab es viele Zeichen der Solidarität - auch international (wie hier in Turin). © dpa / picture alliance / Alessandro Di Marco
Die Kulturstaatsministerin im Gespräch mit Nana Brink · 09.01.2015
Satire, wie sie das Magazin "Charlie Hebdo" verbreitet, ist ein schützenswertes Kulturgut, sagt Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Eine Gesellschaft dürfe sich von Terroristen nicht diktieren lassen, was sie zu schreiben oder zu denken habe.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat den Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" als "fundamentalen Anschlag auf die Presse- und Meinungsfreiheit" verurteilt. Eine Beschränkung dieser Freiheit sei nicht hinnehmbar, sagte Grütters im Deutschlandradio Kultur:
"Es kann nicht sein, dass Bewaffnete bestimmen, was man sagen, schreiben, zeichnen oder sogar denken darf. Ein Meinungskampf dieser Art wäre das Ende einer freien und offenen Gesellschaft. Insofern muss man mit aller Deutlichkeit darauf reagieren und hoffen, dass wir uns alle nicht einschüchtern lassen von Hackerangriffen oder anderem Meinungsterror."
Nach Tucholsky: Satire darf alles
Grütters sagte weiter, schlimm finde sie auch den von Anhängern der Anti-Islambewegung Pegida geäußerten Vorwurf der "Lügenpresse", denn dahinter verberge sich - versteckt im Gewand der Meinungsfreiheit - der Versuch, "die Meinungsfreiheit eines pluralistischen Pressewesens zu beschneiden". Die spontanen Zeichen der Solidarisierung für die Redaktion von "Charlie Hebdo" seien vor diesem Hintergrund ein gutes Zeichen.
Sie stimme der Meinung Kurt Tucholskys zu, wonach Satire – unter Einhaltung eindeutiger rechtlicher Grenzziehungen wie dem Jugendschutz – alles dürfe. Generell seien Grenzen etwa hin zur Blasphemie schwer zu ziehen.
"Dahinter steckt aber die Stärke einer Gesellschaft, solche Dinge auszuhalten, wenn es erklärtermaßen im Gewand der Kunst, in diesem Fall der Satire, daherkommt."
Sie hoffe, dass "wir jetzt auch alle zusammen stark bleiben und nicht einknicken".
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Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" hätte eine Karikatur dazu gemacht. Und da wird einem erst richtig klar, wie groß der Verlust eigentlich nach dem Anschlag von Mittwoch ist: Sie hätten sich getraut, auch das Thema Naziraubkunst zu thematisieren. Ein Thema, das Politik, Museen und auch die Gesellschaft mit Sicherheit die nächsten Jahre noch beschäftigen wird. Der Fall Gurlitt hat Deutschland ja aufgeweckt, im November 2013 war bekannt geworden, dass bei dem inzwischen Kunsthändlersohn in München Hunderte Bilder gefunden worden waren, deren Herkunft unklar ist. Auch NS-Raubkunst war dabei.
Daraus hat man nun eine Lehre gezogen, um die Provenienzforschung – also die Forschung nach der Herkunft von Kunstwerken – zu beschleunigen. Seit 1. Januar arbeitet das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste. Und CDU-Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat die Gründung des Deutschen Zentrums letztendlich umgesetzt. Guten Morgen, Frau Grütters!
Monika Grütters: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Bleiben wir doch noch einen Moment im Hier und Heute, bevor wir uns den Kunstwerken aus der Vergangenheit widmen! Der Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" zielt ja auf unsere Grundwerte wie die Pressefreiheit. Wie muss man darauf reagieren?
"Pressefreiheit ist konstitutiv für den demokratischen Rechtsstaat"
Grütters: Ja, es ist ein Anschlag auf die Freiheit, der uns alle entsetzt, und es gibt ja Vergleiche, das wäre der 11. September für die Pressefreiheit gewesen. Das finde ich in seiner Dramatik nicht falsch. Und ich kann nur sagen, die Presse- und Meinungsfreiheit sind schlechthin konstitutiv für den demokratischen Rechtsstaat, das ist ein Fundament unseres Gemeinwesens und wir Deutschen wissen, wie mühsam genug wir uns das erarbeitet haben. Und es kann nicht sein, dass Bewaffnete bestimmen, was man sagen, schreiben, zeichnen oder sogar denken darf, ein Meinungskampf dieser Art wäre das Ende einer freien und offenen Gesellschaft. Insofern muss man da mit aller Deutlichkeit drauf reagieren und hoffen, dass wir uns alle nicht einschüchtern lassen, auch nicht von Hacker-Angriffen oder anderem Meinungsterror. Wir haben ja vergleichbare Dinge, erleben wir jetzt laufend. Und was ich besonders schlimm finde, ist der Vorwurf der Lügenpresse, wer auch immer ihn erhebt ...
Brink: Wie sie Pegida gerade benutzt, ja.
Grütters: Na, weil dahinter ja auch der Versuch steckt, gerade im Namen der Meinungsfreiheit die Meinungsfreiheit eines pluralistischen Pressewesens zu beschneiden. Was ja gerade aus einer Vielfalt heraus den gesamten gesellschaftlichen Wert bezieht. Ich hoffe nur, dass wir alle jetzt stark sind. Was man ja erlebt, ist eine ganz starke spontane Solidarisierung auch der Medien untereinander. Es hat ein kleines Blatt getroffen, aber in Wirklichkeit uns alle.
Brink: Ein großer Verteidiger der Meinungsfreiheit, Kurt Tucholsky, ist vor 125 Jahren geboren worden heute. Und er hat auf die Frage geantwortet, was darf die Satire: alles. Würden Sie das unterschreiben?
"Diese ganz spezifische Kunstform, die ja besonders wehtut"
Grütters: Ja. Das finde ich, ja. Wir haben ... Die Satire darf alles, das ist diese ganz spezifische Kunstform, die ja besonders wehtut. Es gibt rechtliche Grenzen, Antipornografiegesetz, solche Dinge, und natürlich sind Grenzziehungen zum Beispiel zu Blasphemie, also Gotteslästerung, immer schwer zu ziehen. Dahinter steckt aber die Stärke einer Gesellschaft, solche Dinge auszuhalten, wenn es erklärtermaßen im Gewand der Kunst – und das heißt in diesem Fall: der Satire – daherkommt. Das ist eine besondere Kunstform. Insofern glaube ich, wir haben gelernt damit umzugehen und können stolz darauf sein. Und ich hoffe, dass wir jetzt auch alle zusammen stark bleiben und nicht einknicken.
Brink: Kommen wir zum Zentrum für Kulturgutverluste! Das arbeitet ja seit 1. Januar, man versucht auch damit eigentlich die Lehren aus dem Fall Gurlitt zu ziehen. Wie wird das Zentrum arbeiten?
Grütters: Das Zentrum Kulturgutverluste, da bin ich auch ein bisschen stolz drauf, haben wir in Rekordtempo zwischen Bund und allen 16 Bundesländern in weniger als sieben Monaten tatsächlich errichten können im vergangenen Jahr. Und ich bin sehr stolz, ab 01.01. läuft es, es ist anerkannt als rechtsfähige Stiftung.
Wir haben es deshalb in Magdeburg angesiedelt, weil dort bereits aus diesem gesamten Kontext Restitution und Provenienzrecherche zwei große Einrichtungen, die Koordinierungsstelle und die Lost-Art-Datenbank, waren, und weil wir damit auch ein Zeichen setzen wollen der Dezentralität. Also, die Aufgabe Provenienzrecherche ist nicht eine zentrale, sondern sie gilt in ganz Deutschland, in den Kommunen, in den Ländern, bei den Einzeleinrichtungen, beim Bund, aber auch bei Privaten. Und wir werden deshalb dort alle Anstrengungen bündeln, die es schon gab, stärken. Ich habe die Mittel des Bundes verdreifacht, von zwei auf sechs Millionen Euro jährlich für diesen Zweck, und das heißt, wir bauen auch alles, was wir schon haben, aus.
Brink: Sie haben ja schon den Finger in eine Wunde gelegt, nämlich: Wie koordiniert man die Arbeit mit den Stellen, die ja bereits Provenienzforschung betreiben? Also zum Beispiel die Museen oder Sammlungen?
Die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, in ihrem Büro im Kanzleramt in Berlin
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) in ihrem Büro im Kanzleramt: "Dinge aushalten" © picture alliance / dpa
Grütters: Ja, und den Ländern und den Kommunen als größten Trägern dieser Einrichtungen, das ist tatsächlich die entscheidende Herausforderung. Der Bund kann da nur Anstoß geben, aber wir können erreichen nur Dinge, die wir gemeinsam wollen. Deshalb haben alle 16 Länder auf meinen Vorschlag hin im vergangenen März ja zugestimmt, ein solches gemeinsames Zentrum tatsächlich zu gründen mit allen Ländern. Wir setzen nur dieses Zentrum als gemeinsames Instrument oben drauf und verstärken das, was wir schon bisher gemeinsam getan haben.
Wir werden natürlich mit den wichtigen Gremien, aber mit einem Vorstand wie Uwe Schneede dem Ganzen auch ein großes Gesicht geben. Er hat als Hamburger Museumsmann vor Jahren bereits die erste feste Personalstelle für Provenienzforschung an einem deutschen Museum eingerichtet, die bis heute existiert, war wichtiger Berater der Arbeitsstelle für Provenienzforschung und ist jetzt unser neuer Gründungsvorstand. Das sind vielleicht nur Kleinigkeiten, aber insgesamt ganz wichtige Schritte nach vorne.
Brink: Der öffentliche Druck ist so stark, dass sich keiner mehr rausreden kann, das haben Sie Anfang Januar gesagt, Anfang dieses Jahres, in Richtung Museen. War das die herrschende Haltung, rausreden, was die eigenen Bestände angeht? Ist ja eine harsche Kritik!
"Kein seriöses deutsches Museum wird sich das leisten können"
Grütters: Es gibt zumindest immer wieder die Rückmeldung, wir können uns die teure Provenienzforschung in den notwendigen Umfang nicht leisten. Das ist deshalb teuer, weil man dafür Personal braucht, was sehr lange an Einzelfällen sitzen kann, ja. Aber erstens, der Bund verdreifacht seine Ausgaben, sechs Millionen Euro im Jahr nur bundesseitig! Und das Zweite ist: Wir haben ja deshalb die Arbeitsstelle für Provenienzforschung eingerichtet, weil ich akzeptiere, dass kleine Häuser sich keine ganzen Personen und Stellen dafür leisten können, aber sie können hier die Anträge stellen. Wenn das jetzt verdreifacht wird, gibt es diese Ausrede – sollte es eine sein – tatsächlich nicht mehr.
Und sollte man dahinterkommen, dass der Wille fehlt zu einer rückhaltlosen Aufklärung, dann ist der Druck inzwischen so groß geworden, dass ich glaube, ein seriöses deutsches Museum, in welcher Trägerschaft auch immer, wird sich das nicht mehr leisten können.
Brink: Aber das ist ja alles schön und gut, wenn sie das haben. Die Frage ist ja: Welche Handhabung hat das Zentrum?
Grütters: Na ja, das Zentrum kann nur ein Angebot sein. Eine rechtliche Handhabe oder Pflicht können wir hier nicht postulieren. Ich habe alle bundeseigenen BKM-bezogenen Museen schriftlich dazu aufgefordert, jährlich in ihren Rechenschaftsberichten ein Kapitel Provenienzforschung einzurichten, das wird von uns natürlich überprüft und eingefordert, sollte es das nicht ohnehin geben. Bei den Bundesmuseen ist das schon sehr verbreitet.
Tatsächlich ist es aber so, dass das Institut für Museumskunde herausgebracht hat, dass in ungefähr 60 Prozent der deutschen Museen, die wir jetzt adressiert haben, Sammlungsbestände liegen, die zumindest nicht unverdächtig sind, was Raubkunstmöglichkeiten angeht, und nur zehn Prozent dieser Häuser sind in der Lage, eine vernünftige Aufklärungsarbeit zu leisten. Ich glaube, künftig werden nicht nur in der Fachwelt Museen nicht nur an ihren Ausstellungen gemessen und an der Ankaufpolitik, sondern auch daran, wie sie mit ihrer Geschichte umgehen. Und das wird eingeklagt.
Brink: Kulturstaatsministerin Monika Grütters, danke für das Gespräch!
Grütters: Danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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