Molnars Europa

Wie ein ungarischer Maurermeister die EU erlebt

Blick vom Burgberg auf die Donau und das Parlamentsgebäude am 11.12.2013 in Budapest (Ungarn) bei Sonnenuntergang am Abend.
Blick vom Burgberg auf die Donau und das Parlamentsgebäude - Sandor Molnar lebt in der Nähe von Budapest (Ungarn). © picture-alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Jan-Uwe Stahr · 17.01.2017
Seit Ungarn EU-Mitglied geworden ist, steht das Leben des Maurermeisters Sandor Molna Kopf: überteuerte Kredite, unsichere Jobs im Ausland und hohe Lebensmittelpreise, dazu noch jede Menge Vorschriften. Wenn Molna mal zu Hause in seinem ungarischen Dorf ist, erholt er sich von Europa.
"Gyere, gyere, gyere", ruft Sandor Molnar seinen kleinen Terrier, streichelt das struppige Fell. Sein Hund darf auf dem Grundstück in Fedémes, 130 Kilometer nordöstlich von Budapest, frei herumlaufen. Denn die Kettenhaltung ist heute auch in Ungarn verboten, laut Tierschutzbestimmung der Europäischen Union.
"Das ist eine gute Regelung. Hunde brauchen doch einen Auslauf", sagt Sandor Molnar, nimmt die Bohnensuppe von dem Holzfeuer vor der Gartenlaube, stellt sie auf den Tisch, schenkt einen belgischen Whisky ein. Hausgemachten Palinka, den traditionellen ungarischen Obstschnaps, habe er leider nicht mehr, entschuldigt er sich.

Das Schnapsbrenn-Verbot

Erst vor ein paar Jahren hatte die ungarische Regierung Schnapsbrennen für den privaten Bedarf ausdrücklich erlaubt. Nun wird sie von Brüssel zurückgepfiffen. "Und jetzt hör ich im Radio: Man darf kein Palinka mehr brennen!", empört er sich: "Wenn es einmal heißt, es geht, und dann kommt die Europäische Union und sagt: Man darf ihn doch nicht selber machen – ja, was sollen denn dann die ganzen Leute tun, die sich für viel Geld ein Brenngeschirr angeschafft haben?"
Hund
Darf nun frei herumlaufen: der Hund des ungarischen Maurermeisters Sandor Molnar. Kettenhaltung ist auch in Ungarn per EU-Tierschutzbestimmung verboten. © Deutschlandradio Kultur / Stahr
Die Europäische Union hat so manches verändert in Ungarn, sagt der 49-jährige Maurermeister. Er füllt den Teller, erzählt dann seine Geschichte: 1986 angefangen als Maurerlehrling. 2000: die Meisterprüfung. 2004 dann die eigene Firma, mit sechs Angestellten. 2004 ist das Jahr, in dem Ungarn Vollmitglied in der Europäischen Union wird.
"2004 war es noch gut", sagt Sandor Molnar. Aldi und Obi, Penny, Lidl und Tesco – Europas große Supermarktketten erobern den ungarischen Markt. Tomaten aus Spanien und Holland sind jetzt billiger als die heimischen aus Ungarn. Genauso wie das Fleisch aus Europas Tierfabriken. Banken bieten nun günstige Kredite – in ausländischen Währungen. Unzählige Ungarn greifen zu; bauen Häuser, kaufen Wohnungen und neue Autos.

Finanzkrise und Firmenpleite

Auch Bauunternehmer Sandor Molnar nimmt einen größeren Betrag auf – in Schweizer Franken. Die Währung sei besonders stabil, heißt es damals. "Sie vergaßen allerdings zu erwähnen, dass es nicht nur um die Stabilität des Schweizer Franken geht, der wird immer stark bleiben. Sondern es geht auch darum, dass der ungarische Forint schwächer werden kann."
Mit der Weltfinanzkrise 2008 rutscht der ungarische Forint in den Keller. Der auf Pump finanzierte EU-Boom ist vorbei. Auch in Ungarns Bauwirtschaft. Unternehmer Molnar hat keine Aufträge mehr. Dazu den nun sündhaft teuren Kredit. 2010 ist seine Firma pleite. Jetzt sucht sich Molnar Arbeit im europäischen Ausland, wie Zehntausende andere Ungarn auch.

Betrogen, ausgenutzt, gekündigt

"Ich habe mit Gipskarton gearbeitet bei einem anderen Ungarn, in Hamburg war das. Aber der hat mich verarscht und um 1500 Euro betrogen", erzählt er. Es folgen weitere Hilfsarbeiter-Jobs in Belgien, Frankreich, dann in Österreich und wieder Deutschland. Von heute auf morgen muss er zur Stelle sein. Von heute auf morgen wird er auch gekündigt.
Einmal wird der Ungar als Schwarzarbeiter festgenommen, weil der deutsche Bauunternehmer ihn nicht angemeldet hatte. Der Maurermeister hat viel Lehrgeld bezahlt bei seinen Jobs in Europa. "Scheiße", sagt er. "Aber ich musste es machen, wegen des Geldes."
Jetzt hat der Ungar eine Arbeit in der Schweiz gefunden. Gutes Geld und nicht so stressig, sagt er. Aber: Die Schweiz gehört nicht zur Europäischen Union. Bei einer Zollkontrolle wird er mit einem Kofferraum voller Lebensmittel erwischt. 500 Franken Strafe. "Und ein anderes Mal 320 Franken", erzählt er. Rund 800 Schweizer Franken Zoll für den Proviant auf der Baustelle - in Ungarn ist das mehr als ein Monatslohn.

Whiskey statt Pflaumenschnaps

Ein Jahr braucht Molnar noch, um seine Schulden aus dem europäischen Beitrittsboom zurückzuzahlen, glaubt er. Danach will der Maurermeister endlich sein eigenes Haus fertig renovieren. Wieder, wie früher, ein eigenes Schwein mästen. Und vielleicht noch einen Pflaumenschnaps brennen, einen Palinka. Auch wenn es gegen EU-Vorschriften verstoßen sollte. Doch jetzt gibt es erst noch einmal einen belgischen Whisky. – "Prost!"