Mörder als Retter des Vaterlandes

Moderation: Marietta Schwarz · 13.11.2013
Von den Gräueltaten der indonesischen Todesschwadronen in den 60er-Jahren unter Präsident Suharto handelt "The Act of Killing". Das Thema sei in Indonesien immer noch ein Tabu, so Franz Xaver Augustin, und er hebt die Bedeutung des Dokumentarfilms für die geschichtliche Aufarbeitung hervor.
Marietta Schwarz: Normalerweise schaffen es Independent-Filme aus Südostasien nicht in unsere Kinos, schon gar nicht, wenn es sich dabei um Dokumentarfilme handelt. Dieser Film aber ist anders: Er sorgte bereits bei der Berlinale in diesem Jahr für Aufsehen, und jeder, der ihn sah, verließ verstört das Kino. "The Act of Killing" ist ein Film über den Massenmord in Indonesien nach dem Putschversuch 1965. Hunderttausende, vielleicht sogar Millionen Menschen wurden von der Armee unter General Suharto getötet und das Verbrechen niemals aufgearbeitet. In "The Act of Killing" spielen die Täter, und das ist das Unglaubliche, ihre Morde von damals selbst nach, als Folterer und als Opfer.

Franz Xaver Augustin ist Leiter des Goethe-Instituts Indonesien. Ihn habe ich im Interview vor der Sendung zunächst gefragt, wie dieser Film auf ihn gewirkt hat.

Franz Xaver Augustin: Der Film ist ein ausgesprochen aufwühlendes Dokument, das sehe ich genauso wie alle anderen. Wenn man Indonesien kennt, wenn man die Menschen kennt hier, dann ist es vielleicht noch aufwühlender als für Leute, die dieses Land bisher nicht gesehen haben und erlebt haben. Es ist ein, ich glaube auch, sehr sehr wichtiger und entscheidender Film, der in diesen Jahren, fast 15 Jahre nach dem Ende der Suharto-Diktatur, ausgesprochen wichtig ist für dieses Land, für die Diskussion, für das Nachdenken über die eigene Geschichte. Dieser Massenmord von 1965/66 ist die Leiche im Keller vom freien Indonesien, das seit 1998, seit dem Sturz Suhartos, sich aus der Erinnerung dieser Diktatur versucht zu befreien, allerdings immer noch zu großen Teilen drin steckt. Dieser Film hat unter diesem Blickwinkel eine ganz entscheidende Funktion.

Schwarz: Herr Augustin, Sie haben den Film nur in Ausschnitten im Goethe-Institut gezeigt, habe ich gehört, weil das Thema so heiß ist.

Augustin: Das Thema ist nach wie vor ein Tabu und wird, obwohl heute die Presse frei ist, die Meinung durchaus ausgesprochen werden kann – es kann über sehr vieles gesprochen werden in Indonesien – das ist ein großer Vorzug gegenüber vielen anderen Ländern Südostasiens. Aber über dieses Thema kann man noch nicht frei sprechen. Es sind noch zu viele Leute am Leben, die damals sich beteiligt haben. Und es ist nicht nur ein Tabu, das wird in diesem Film sehr klar. Es ist ein ganz eigenartiger Umgang mit diesem grausamen Geschehen von damals.

"Zivilisten, die auf ihre Nachbarn eingeschlagen haben"
Bis heute gelten diejenigen, die damals gemordet haben, und das ist eben nicht nur das Militär gewesen, sondern in allererster Linie verführte, angestachelte, hasserfüllte Privatmenschen, Zivilisten, die auf ihre Nachbarn eingeschlagen haben. Das ist für unsere Verhältnisse nicht zu glauben, wie bis heute diese Menschen, diese Mörder, diese Täter weiterhin als Retter des Vaterlands gesehen werden und sich als solche auch fühlen dürfen. Das ist ja eigentlich der innere Kern dieses Films, denn Joshua Oppenheimer ist es gelungen, die Täter von damals zu ihren Taten sehr, sehr authentisch Stellung beziehen zu lassen. Das tun die mit Stolz und in voller Offenheit. Das kriegen Sie wahrscheinlich in kaum einem anderen Land noch mal so geliefert, dass Todesschwadronen, die vor 50 Jahren massenhaft Menschen umgebracht haben, dass die bis heute auch in einer relativ freien Gesellschaft sich so offen zu diesen Taten von damals bekennen können.

Schwarz: Aber erklären Sie uns das, Herr Augustin. Was ist das denn für eine Gesellschaft, in der ein solcher Genozid 50 Jahre unter den Teppich gekehrt beziehungsweise sogar, Sie haben es ja gesagt, gefeiert wird?

Augustin: Es gehörte zur Geschäftsordnung des Suharto-Regimes, der Suharto-Diktatur, die praktisch aus diesem Geschehen, aus diesem Übergang von Sukarno, dem Staatsgründer, hin zu der Diktatur von Suharto hervorgegangen ist. Da gehörte der Mythos, dass damals der General Suharto mit den Leuten, mit den Militärs und den Menschen, die ihn unterstützt haben, Indonesien befreit hat von den Kommunisten, von der kommunistischen Gefahr. Wir müssen im Hinterkopf behalten, 1965 war der Beginn des Vietnamkriegs nur einige Breitengrade nördlich von hier. Man kann dieses Geschehen, diese Morde von damals, nicht ohne die Konstellation des Kalten Krieges sehen.

Es ging um die Kommunisten, es ging um die Linken, und die Propaganda und die Ideologie des Suharto-Regimes hat den Menschen jedes Jahr aufs Neue im Herbst, Ende September, Anfang Oktober, zu den Jahrestagen dieses seltsamen Putsches, der damals dann den Anlass zu diesem Morden gegeben hat – jedes Jahr wurden die Menschen mit diesem Mythos belagert. Diese Propaganda war unglaublich erfolgreich. Sie war deswegen so erfolgreich, weil durchaus auch der Westen, Amerika, Westeuropa und die antikommunistischen Kräfte in der Welt Suharto gefeiert haben für diesen entschlossenen Kampf gegen die Linke. Wenn man sieht, wie der deutsche Botschafter, wie der amerikanische Botschafter damals begeistert war über den Aufstieg von Suharto, dann weiß man, dass mehr als ein Auge zugedrückt wurde in Bezug auf diese Morde. Und das hat dazu geführt, dass eben diese ideologische Verzerrung des Geschehens von damals durchaus auch haltbar wurde und erfolgreich war.

Schwarz: Das heißt, dass dirigieren nach wie vor die Sieger von damals, worüber geredet wird und worüber nicht?

"Die Verantwortlichen sind nie zur Rechenschaft gezogen worden"
Augustin: Natürlich sind die Herren von damals, die Militärs und diejenigen, die damals die Regie hatten, die sind niemals zur Rechenschaft gezogen worden. Der Übergang von Suharto in die heutige Demokratie hat solche Wahrheitskommissionen, solche Versöhnungsversuche, solche Aufdeckungskampagnen nicht vorgesehen. Deswegen ist bis heute das nicht ans Tageslicht gekommen beziehungsweise man kann mit den besagten Argumenten, damals wurde Indonesien geschützt gegen den Kommunismus, der in Vietnam und in Nordkorea gesiegt hat, mit diesem Argument kann man heute noch die Leute überzeugen in Indonesien.

Schwarz: Das heißt, unter den Betroffenen gibt es auch niemanden oder kaum jemanden, der politische Forderungen etwa nach einer Wahrheitskommission stellen würde?

Augustin: Es gibt durchaus lautstarke NGOs, Gruppen von Opferorganisationen et cetera, die konnten sich nach Suharto dann durchaus auch zusammenschließen, aber die Mehrheit der Bevölkerung sieht das nicht so oder ist indifferent diesen Fragen gegenüber. Das Goethe-Institut hat diverse Programme gemacht zu dem Thema, wir wurden vielfach angesprochen als internationale Organisation, die einigermaßen neutral in diesem Punkt ist, ob wir nicht die Plattform bilden können, um über dieses Thema zu sprechen, durchaus auch die deutsche Geschichte und die Art und Weise, wie wir in den letzten 60, 70 Jahren damit umgegangen sind, als Vorbild nehmen.

Schwarz: Der Film darf in Indonesien nicht gezeigt werden, aber es haben ihn doch viele gesehen, oder?

Augustin: Es haben ihn viele gesehen, er ist unter der Hand in mehr oder weniger privaten Veranstaltungen gezeigt worden. Er ist ja mittlerweile auch im Internet zugänglich. Der Film hat eine große Welle von Interesse für das Thema unter jungen Leuten ausgelöst. Und das ist auch einer der Gründe, warum ich ihn so wichtig und gut finde, dass mit einer solchen drastischen Darstellung, und drastischer geht es eigentlich nicht – es wird einem ja wirklich schlecht, wenn man manche dieser Szenen sieht –, dass eine solche drastische Darstellung diese Gesellschaft aufweckt und zumindest in den urbanen Zentren die jungen Menschen anfangen, Fragen zu stellen.

Schwarz: Ja, die Telefonleitung nach Jakarta war nicht ganz perfekt, dafür Entschuldigung. Franz-Xaver Augustin war das, Leiter des Goethe-Instituts Indonesien, über den Film "The Act of Killing", der morgen bei uns in den Kinos anläuft.

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