Möhra in Thüringen

Buddhisten wandeln auf Luthers Terrain

In Möhra (Thüringen), Luthers Geburtsort, gibt es seit zehn Jahren ein Buddha-Zentrum.
In Möhra (Thüringen), Luthers Geburtsort, gibt es seit zehn Jahren ein Buddha-Zentrum. © picture-alliance / Staatliche Museen zu Berlin / Collage Deutschlandradio
Von Michael Frantzen · 07.06.2016
Seit mehr als zehn Jahren leben Buddhisten im Dharma-Zentrum im 700-Seelen-Dorf Möhra, dem thüringischen Stammort der Familie von Martin Luther. Anfangs gab es Widerstand gegen die neue Nutzung des ehemaligen Ferienheims. Doch inzwischen hat sich die Stimmung gedreht.
Siegmar Kallenbach: "Wie will ich Möhra beschreiben?"
Vielleicht mit: Religiös?
Ilse Pohlan: "Wow! Das is' ja das Nest hier von Luther."
Historisch betrachtet.
Hannes Knott: "Das Dharma-Zentrum?!"
Ist dagegen neueren Datums. Ergo gibt es:
Rudolph Mader: "Einen großen Spannungsbogen."
Am Fuße des Thüringer Waldes.
Lama Tilmann: "Willkommen zu dem heutigen Abend. Ich bin Gastlehrer hier in Möhra."
Er ist einer der Stars der Buddhisten-Szene Deutschlands: Lama Tilmann, der Referent. Doch das mit dem Star hören sie im "Dharma-Zentrum Möhra" nicht so gerne. Star – das klingt irgendwie nach RTL2 und Dieter Bohlen.
Tilmann: "Zähe Muster! Wie viel Geduld hast du mit zähen Mustern?"
Frau aus dem Publikum (lachend): "Ich hab mehr Geduld als die Muster."
(Publikum lacht)
Geduld bringt nicht nur die bunt-gekleidete Frau aus der ersten Reihe mit, sondern auch das restliche Publikum: Es wird ein langer Abend, mag die Luft im Meditationssaal mit der überlebensgroßen Buddha-Figur auch noch so abgestanden sein. Doch die rund hundert Teilnehmer stört das kaum. Stephan Siedler schaut entgeistert. Wenn der IT-Experte aus der Nähe von Mannheim etwas gelernt hat in Möhra, dann duldsam zu sein.
"Es gibt viele Dharma-Zentren bestimmt, aber für mich is' das hier einzigartig. Die Lehrer; die Leute, die hier leben. Und auch die schöne Umgebung hier. Sanft hügelig. Und das grüne Gras. Die Bäume. Der Wald. Gefällt mir sehr gut."
Ein Loblied auf die "Hofmannshöhe" – das dürfte ganz nach dem Geschmack der Frau sein, die dafür gesorgt hat, dass in der Thüringer Fachwerk-Idylle heute tibetanische Gebetsfahnen wehen.
Pohlan: "Wir missionieren ja nicht",
betont Leiterin Ilse Pohlan.
"Hier im Dharma-Zentrum heiß' ich Jeshe Sangmo."
Übersetzt bedeutet das: Gute Weisheit.
"Oder ausgezeichnete Weisheit. Nicht schlecht, nicht schlecht." (lacht)
Eine buddhistische Nonne mit Humor: Darauf wird man noch häufiger stoßen in der 600-Seelengemeinde hinter den Bergen; den thüringischen. Mittwochvormittag, kurz vor elf. Kerzengerade sitzt die Frau mit dem kurzen, grauen Haar auf dem Stuhl ihres Apartments im ersten Stock. Sie hat gerade eine OP hinter sich. Nichts Dramatisches, aber die Ärzte haben ihr geraten, sich die nächsten Tage zu schonen. Muss der Laden halt ohne sie laufen.
"Hier in der Umgebung kennen uns die Leute inzwischen. Wir sind ja jetzt das elfte Jahr hier. Die kennen uns alle. Und ich wundere mich, wie bekannt wir sind."

Der knorrige Dorfpfarrer tippt sich an die Stirn

Im Luther-Stammort. In 17. Generation leben hier noch Luthers, Nachfahren von Martin Luthers Onkel, Hans dem Kleinen. Mit Luther hat es Yeshe Sangmo nicht so – weder dem Großen noch dem Kleinen. Mit Buddha umso mehr.
"Der hat immer gesagt: Ich bin 'nen Spiegel für euch. Ich bin nicht einer, der euch retten kann. Das müsst ihr selbst machen."
Eine Religion ohne Gott, ohne Messias, ohne Jenseits: Für Yeshe Sangmo war es eine Offenbarung. Damals, Anfang der 80er, in Hannover, als sie daran ging ihre bürgerliche Existenz hinter sich zu lassen. Ihren Mann, die gemeinsame Tochter, ihren Job als Kunstlehrerin.
"Ich hab' gesucht. Also, das Spirituelle war für mich immer wichtig. Bin Nachkriegs-Kind. Da is' man mit Zerstörung aufgewachsen. Und mit ungeklärten, nicht ausgedrückten Sachen. Die Schuld, die da doch spürbar war. Und niemand sprach drüber. Da hab ich schon was Spirituelles gesucht. Und eigentlich leider keine passende Person da gefunden. Die hab ich dann erst später als Erwachsene in meinem Lehrer gefunden."
In Frankreich, bei Gendün Rinpoche, einem Exil-Tibeter. Yeshe Sango ging zu ihm ins Kloster. Blieb acht Jahre. Bis ihre Lehrer sie auf Wanderschaft schickten, um Buddhas Weisheiten nach Deutschland zu tragen. Idealerweise in die Mitte, die geographische. So kam Buddha nach Möhra. 2004 kauften Yeshe Sangmo und CO das "Kosmos", das alte Betriebsferienheim aus DDR-Zeiten.
"Es war völlig vermüllt. Alkoholiker lebten hier. Die Bedingungen waren schwierig. Und es war die dritte Versteigerung, und nur deshalb konnten wir uns das leisten. Das Geld kam dann genau hin. Aber das Wichtige war: Das ist der Platz, den wir suchen. Wenn man meditiert: ideal. Gute, gesunde Natur. 'Nen bisschen ab vom Dorf. 'Nen weiten Blick. Für 'nen Meditierer is' das hier ideal."
Buddhistische Nonnen – mit komischen Roben und noch komischeren Namen: Hakts jetzt?! Dachte sich der eine oder andere "Ureinwohner".
"Leute, die Angst hatten: Wir sind 'ne Sekte. 'Nen bisschen bedrohlich. So was gab's auch. Aber im Großen und Ganzen war es extrem freundlich. Wir hatten ganz große Unterstützung durch Pfarrer Neumann, der damals hier Pfarrer war. War klar: Hier geht es nicht um Konkurrenz. Sondern: 'Nen friedliches, ganz freundschaftliches Nebeneinander."
Christoph Martin Neumann: "Es sind doch Menschen!"
Die Buddhisten.
"Die selber ihre Entscheidung gefällt haben."
So schnell bringt Möhras Alt-Pfarrer nichts aus der Ruhe. Buddhistische Nonnen genauso wenig wie die "üblichen Bedenkenträger", die anfangs meinten, ein protestantischer Mann Gottes müsse mobil machen gegen "die Fremden". Christoph Martin Neumann, der ungefähr so aussieht, wie man sich immer schon einen knorrigen Dorfpfarrer vorgestellt hat, tippt sich an die Stirn: Nicht mit ihm.
"Dass ich immer auch bestrebt bin, Menschen zu Jesus Christus zu bringen: Das is' ja das, was ich erfahren habe und gerne lebe. Und auch gerne weitergebe. Aber: Ich kann die doch akzeptieren."
Neumanns Nachfolger, Rudolph Mader, sieht das an diesem sonnigen Freitagvormittag ähnlich. Der junge Geistliche ist gebürtiger Bremer. In Bremen kamen zu den Gottesdiensten seiner Heimatgemeinde 200, 300 Gläubige, in Möhra kann er froh sein, wenn es 20 sind. Aber Möhra ist ja auch ein Dorf, noch dazu im Osten: Die Wende brachte zwar Freiheit und Demokratie, aber auch die Schattenseiten des neuen Systems: den Niedergang der Industrie, den demografischen Wandel. Die Schule hat längst dicht gemacht, genau wie die Arztpraxis und der kleine Supermarkt. Rentiert sich nicht mehr. Mader versucht das Beste daraus zu machen – und seine Schäflein bei Laune zu halten. Das Casting mit "Wohlfühlpotential" Ende April etwa, bei dem er Darsteller suchte, die eine historische Luther-Szene nachstellen sollen: ein voller Erfolg.
"Wer so ein markantes Luther-Denkmal hat, der kann nicht drum herum, immer wieder daran erinnert zu werden und es auch zu leben, dass dieser Ort in besonderer Weise mit Martin Luther und der Reformation verbunden is'."
Neumann: "1988 wurde ich gefragt, ob ich hierher gehen kann. Und da hat mir mein Vorgänger gesagt: Das sind aber Lutherische Dickschädel. Ja?! (lacht) Das hat uns aber nicht abgehalten. Es sind Leute, die ihren eigenen Kopf haben."
Geräusch: Hühner gackern

"Es sind: normale Menschen. Ordentlich. Sauber."

Seinen eigenen Kopf hat nicht nur der eine oder andere Gockel in Möhra, sondern auch er hier:
Siegmar Kallenbach: "Ich will mal sagen: Solange unser Martin Luther auf dem Denkmal steht, is alles o.k.." (lacht)
Idyllisch hat er's: Siegmar Kallenbach. Sein "Geflügelpark" liegt am Ortsrand. Rechts ein paar Schrebergärten, links ein Ackerfeld, auf dem ein Trecker stoisch seine Runden zieht. Und am Horizont: gelbe Rapsfelder soweit das Auge reicht. Doch für die landschaftlichen Reize seiner Heimat hat der Vorsitzende des "Rasse- und Geflügelzuchtvereins Möhra" keinen Sinn. Ganz zu Schweigen von buddhistischen.
"Ich selber hab' etwas weniger Bezug dazu. Aber ich sage mal: Möhra is' schon weltoffen. Wenn man denkt, dass von hier aus die Reformation losging."
Von Möhra ging nicht nur die Reformation los, in Gestalt von Martin Luthers schwangerer Mutter, sondern auch Christine Lieberknecht, die alte Thüringer Ministerpräsidentin, auf ihrer Sommerreise 2011. Kallenbach stürmt los, Richtung Schautafel: Da sind noch Fotos vom ihrem Besuch, neben dem Exkurs über das "A und O der Rassezucht."
"Das A und O der Rassezucht?! Man züchtet Tiere und möchte sie dem Standard, den es für jede Rasse gibt, so nah wie möglich bringen."
Das ist zuweilen leichter gesagt als getan - in Zeiten wie diesen.
"Aus dem Ausland kommen viele neue Rassen dazu. Und unser altes Kulturerbe, gerade auch hier in Thüringen, unsere Thüringer Heimatrassen, gehen verloren."
22 Tauben-Rassen hat Möhras Geflügel-König in seinem Gehege versammelt - Thüringer Rassen. Plus vier Hühnerarten. Ganz schön viel Arbeit. Deshalb hat er auch die ganze Familie eingespannt:
"Vor allen Dingen meine Frau. (lacht) Das is' ja im Prinzip klar: Man geht noch an die Arbeit. Wenn man dann Nachzucht hat: Die Küken müssen versorgt werden. Und das muss ja auch noch jemand machen."
Alle Hände voll zu tun hat auch Elisabeth Kirschner. Die Rentnerin schaut abends häufiger im Geflügelpark vorbei. Vorne am Eingang, die Bank: Das ist ihr Lieblingsplatz. Hier sitzt sie immer zehn, fünfzehn Minuten, um den Tag Revue passieren zu lassen. Der heutige hatte es mal wieder in sich. Erst Baby-Sitting bei den Nachbarn: drei quietsch-fidele Kleinkinder. Kurze Mittagspause. Und dann ist sie gleich rüber zum "Lutherzimmer": Aufschließen für die Touristen.
"Kam 'nen Bus. Stiegen Koreaner und Vietnamesen aus. Die begrüßten mich aber alle: Hallo Frau Kirschner, keine Angst."
Die Asiaten entpuppten sich als Religions-Studenten auf Exkursion durchs Lutherland. Ist sie auch noch mit fertig geworden. Kirschner fuchtelt mit ihrem Gehstock: Das Leben in Möhra: Es war kein Zuckerschlecken. Acht Tage vor ihrer Hochzeit starb die Schwiegermutter.
"Da stand ich da. Mit 15 Hektar Landwirtschaft. Drei Männern! Mann, Schwiegervater und noch 'nen ledigen Schwager. Ich hatte auch schon drei Semester Tiermedizin studiert, ich wollte Tierarzt werden. Hab ich das aufgegeben. Sechs Kühe im Stall. Und Schweine. Dann als LPG wurde, hab ich die Sauen-Anlagen übernommen."
Nach der Wende hat Elisabeth Kirschner noch ein bisschen weiter gearbeitet, Sauen kastriert – dann war Schluss. Sie steht langsam auf. Natürlich hätte sie gerne noch ein paar Jahre dran gehängt, meint sie beim Hinausgehen. Doch da sei nichts zu machen gewesen. Hat sie sich halt ehrenamtlich engagiert. Und bei der Gelegenheit auch die Buddhisten oben vom Dharma-Zentrum kennengelernt.
"Sind prima Menschen. Man kann mit ihnen auskommen. Die sind nicht aufdringlich und nichts. Und wenn wir im Ort irgend ne Veranstaltung haben, kommen se und fragen: Sollen wir helfen? Sollen wir auch 'nen Kuchen backen? Es sind: normale Menschen. Ordentlich. Sauber."

Vom Bevölkerungs-Aderlass nicht verschont

Margit Göpfert: "Ja, was soll ich davon halten?!"
Von den Buddhisten. Fragt sich manchmal auch Margit Göpfert. Der Bäckersfrau sind die "Zugezogenen" fremd geblieben. Sie reißt die Augen auf. Wie soll sie das jetzt erklären?! Die sind einfach: anders. Als die Einheimischen.
"Die meisten sind evangelisch. Die Einheimischen schon."
Göpfert fegt einen Krümel von der Theke. Als Kunden sind die Buddhisten schon o.k.. Immer höflich. Zuvorkommend. Letztens hat eine sogar ein "Reformations-Brot" genommen: das dunkle Kornmisch-Brot mit dem Kreuz in der Mitte.
"Die sind halt so ganz gelassen und ruhig und ausgeglichen, würd' ich sagen."
Ruhig und ausgeglichen: Mit diesen buddhistischen Attributen kann auch Hannes Knott etwas anfangen.
"Erweitert sozusagen den Weitblick unserer ländlich geprägten Gemeinde in Thüringen."
Knott ist seit dem 1. April Bürgermeister von Moorgrund – und damit vom Ortsteil Möhra. Ein Christdemokrat, noch keine 30, religiös ungebunden. Sein Credo lautet: Möhra kann frischen Wind gut gebrauchen – selbst wenn der aus Tibet angepustet kommt.
"Ich finde es eigentlich immer gut, wenn Neuerungen stattfinden. Denn Neuerungen bringen auch Gemeinden, auch die Dorf-Gemeinden, weiter. Und schaffen auch Zukunfts-Perspektiven für die eine oder andere Region im ländlichen Bereich, die ja durch den demographischen Wandel gebeutelt sind."
Auch Möhra ist vom Bevölkerungs-Aderlass nicht verschont geblieben. Weniger als 600 Leute leben noch hier. Doch seit ein, zwei Jahren geht es wieder aufwärts. Weil die Leute wieder mehr Kinder bekommen. Und einige Buddhisten ins Dorf gezogen sind. Der Rückzug aufs Land: Hannes Knott ist das nicht fremd. Er hat vier Jahre in Berlin gelebt – und als Diplom-Verwaltungswirt im Bundeskanzleramt gearbeitet. Irgendwann musste er sich entscheiden: In der Hauptstadt Karriere machen. Oder zurück in die alte Heimat; die Provinz.
"Es is ja so, dass es auch 'nen Prozess is', der dann stattfindet, und man sich selbst klar werden muss, was für einen wichtig is'. Is' es jetzt, den beruflichen Weg zu gehen? Möchte man sein soziales Umfeld vernachlässigen? Möchte man Karriere machen? Wo ich jetzt auch sozusagen seit zwei Jahren auch darauf hingearbeitet habe, wieder zurückzukommen. Weil: Hier is' meine Familie. Meine Freunde. Meine Vereine, in denen ich tätig bin. Und hier is' die Luft besser als in Berlin." (lacht)
Beate Göbel: "Das is' auch für unsere Gäste einfach wunderschön. Die kommen und in so 'ner Natur entspannen die sich."

Alles halb so wild in Möhra

Zurück zu den Buddhisten vom Dharma-Zentrum – und damit zu Beate Göbel.
"Wir fahren jetzt in den Ort Möhra. Dort haben wir am Ortsrand Richtung Ettenhausen... Seit 2011 bauen wir dort. Ein sogenanntes Wohnprojekt Möhra."
Die blonde Frau mit den melancholischen Augen ist Geschäftsführerin des Wohnprojekts. Wenn man so will, ist das Wohnprojekt Göbels Baby: Die vier bunten Privathäuser und das große Gemeinschaftshaus. Es war keine leichte Geburt. Anfangs war das Projekt im Dorf umstritten. Einige Anwohner hatten etwas gegen das geplante Bio-Entwässerungssystem, andere gegen die Zufahrtsstraße. Bei einer Bürgerversammlung ging es hoch her. Beate Göbel tat das, was sie als Buddhistin gelernt hat: Die Ruhe bewahren. Und nicht auf Konfrontation setzen. Stattdessen überarbeitete sie die Pläne - bis auch der letzte Kritiker zufrieden war.
"Wir haben hier in der Mitte des Hauses einen Meditationsraum. Hier kommen auch Leute aus der Umgebung. Das freut uns auch: Dass das Haus genutzt wird als nachbarschaftliche Begegnungsstätte."
Es war ein weiter Weg für Beate Göbel – bis nach Möhra. Die Mittvierzigerin ist von Hause aus Schauspielerin und Regisseurin. Sie hat in Innsbruck und New York studiert, lange Zeit in Wien gearbeitet. Keine schlechte Zeit, meint sie. Gedankenversunken schaut sie durch das Fenster nach draußen, auf die grünen Gipfel der Rhön.
"Ich hab' einfach die Sehnsucht gehabt, mich zu verändern. Ich wollte zunächst mal ein Jahr nach Möhra. Einfach probieren. Und habe während des ersten Jahres einfach verlängert. Auf zwei Jahre. Auf drei Jahre. Dann hab ich aufgehört weiter zu verlängern in Jahren. Sondern einfach da zu sein. Und ja: Es gefällt mir."
Da ist sie nicht die einzige.
"Ich weiß jetzt gar nich': Wir können ja hier noch mal probieren. Die war jetzt, glaube ich, vorhin da."
(Beate Göbel klingelt an Haustür - Christine Jens macht auf.)
Göbel: "Guck-Guck."
Jens: "Guten Tag."
Autor: "Guten Tag."
Göbel: "Ständest du für 'ne kurze Befragung zur Verfügung?"
Jens: "Mal gucken, ob mir was einfällt."
(alle lachen)
Das ist Christine Jens – eine Frau mit Humor. Und einer Berufung.
"Ich bin buddhistische Nonne. Bin schon etwas älter. Und konnte mir nicht mehr vorstellen, in so einem sehr turbulenten Zentrum zu leben. Und da war’s für mich natürlich ideal, in die Nähe des Zentrums zu ziehen. Zu Fuß geht man 30 Minuten, mit dem Auto fährt man fünf Minuten."
Vor drei Jahren ist die knapp 70-Jährige in ihrer Reihenhaushälfte gezogen. Anfangs, erinnert sie sich, habe sie ein flaues Gefühl im Magen gehabt. Sie als Nonne, im roten Gewand: Wie würden die Einheimischen darauf reagieren? Sie hat da so ihre Erfahrungen gemacht: Warum Buddhisten sich ausgerechnet in der Nähe der Wartburg niederlassen müssen, dem Ort, an dem Luther das Neue Testament ins Deutsche übersetzte? Hieß es da. Umso erleichterter war die gebürtige Westfälin, als sich herausstellte: Alles halb so wild in Möhra.
"Keine großen Widerstände. Oder: Die da! Oder sonst irgendetwas. Klar gibt es solche Stimmungen, die tauchen ja bei jedem zu irgendeinem Zeitpunkt irgendwann mal auf. Aber im Großen und Ganzen sind wir wirklich sehr gut angenommen worden."
Christine Jens will in Möhra alt werden. Und sich, so lange es geht, engagieren.
"Ich bin auch engagiert hier bei der ambulanten Hospizbewegung. Da trifft man sich auf 'ner Ebene, die nicht religionsgebunden is'. Wenn jemand stirbt, geht's nicht darum: Bist du katholisch? Evangelisch? Oder sonst irgendwas? Sondern dann geht’s darum, den Menschen auf seinen letztem Weg zu begleiten, da zu sein."
Es ist spät geworden. Die letzten Sonnenstrahlen haben sich hinter den Hügeln der Rhön verkrochen. Christine Jens mag diese Abendstimmung.
"Gestern hatten wir 'nen wunderschönen Mond. Sterne. Klarer Himmel."
In gut einer Stunde, wenn es dunkel ist, wird die Nonne noch einmal zum Wohnzimmerfenster gehen, um nach draußen zu schauen. Auf Möhra, den Lutherstammort mit dem buddhistischen Touch.
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