Mode

"Deutschland kommt ästhetisch aus dem Windschatten"

Modedesigner Wolfgang Joop
Der Modedesigner Wolfgang Joop © dpa / picture alliance / Stephanie Pilick
Gerd Müller-Thomkins im Gespräch mit Dieter Kassel  · 18.11.2014
Zum 70. Geburtstag von Wolfgang Joop hat der Geschäftsführer des Deutschen Modeinstituts, Gerd Müller-Thomkins, dessen Bedeutung für die deutsche Modebranche hervorgehoben. Er habe mit seiner eigenen Kreativität das Bild der deutschen Mode im Ausland geprägt
"Ich denke, dass wir hier mit Wolfgang Joop ein sehr einmaliges Exemplar eines Kosmopoliten-Genius vor uns haben, der so schnell nicht wieder auftauchen wird oder zumindest in den letzten Jahren selten aufgetaucht ist", sagte der Modeexperte im Deutschlandradio Kultur. Neben Karl Lagerfeld und Jil Sander gehöre Joop international zu den ersten Namen, die genannt würden. Sein Label "Wunderkind" zeige dessen Liebe zur Mode und Bekleidung jenseits der Kommerzialität.
Müller-Thomkins nannte die deutsche Mode traditionell eher funktional, tragbar und unauffällig. Sie sei wenig schrill und habe einen "Hang zur Normalität und zum preiswerten Betrachten von Bekleidung". Deutschland stehe nur regional für Stil.
"Auf jeden Fall hat sich da eine ganze Menge getan", sagte Müller-Thomkins. "Deutschland kommt ästhetisch aus dem Windschatten heraus." Kommerziell sei das schon lange so, denn Deutschland mache große Umsätze und stehe beim Export weltweit an zweiter Stelle.
Der Modekenner bescheinigte den Deutschen in den letzten Jahren ein verändertes Bewusstsein und eine veränderte Selbstbetrachtung durch Ereignisse wie die Fußball-Weltmeisterschaft. "Wir trauen uns einfach mehr und der kreative Ausdruck in der Ästhetik, das ist ja etwas, was den größten Mut erfordert." Berlin sei eine Metropole der Moderne voller Kreativität.
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Wenn man in Deutschland Menschen auf der Straße anspricht und sie fragt, welche deutschen Modedesigner sie kennen, und wenn man vielleicht noch dazusagt, nur die Männer, die Frauen lassen wir jetzt mal weg, dann wird man in der Regel zwei Namen hören: Karl Lagerfeld und Wolfgang Joop. Letzteren Namen, den werden Sie heute nicht nur auf der Straße hören, sondern auch unter anderem bei uns mehrmals, denn Wolfgang Joop wird heute 70 Jahre alt, und wir nehmen das zum Anlass, um über seine Bedeutung zu reden, aber auch über die Bedeutung von Mode für und in Deutschland. Und wir wollen darüber mit Gerd Müller-Thomkins reden, dem Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts. Einen schönen guten Morgen!
Gerd Müller-Thomkins: Guten Morgen!
Kassel: Wolfgang Joop hat viel Mode entworfen und produziert und er ist auch seit Jahrzehnten eine öffentliche Figur. Hat er das Bild der Deutschen von Mode nachhaltig verändert?
Müller-Thomkins: Ja, zumindest das Bild der deutschen Mode im Ausland. Ich denke, wenn man international nachfragt, dann wird natürlich selbstverständlich neben Lagerfeld, neben Jil Sander Wolfgang Joop der erste Name sein oder einer der Namen sein, die genannt werden können. Das heißt, er hat also das Bild der Deutschen, der deutschen Mode im Ausland geprägt.
Warum oder womit hat er das getan? Natürlich mit seiner ihm eigenen Kreativität, mit seinen Farben, mit der Weiblichkeit, die in den Formen rüberkommt, den Details, mit dem zeitlosen Stil, den er geprägt hat und auch heute noch prägt mit dem Label, was er bis dato auch noch bedient, „Wunderkind", nachdem er sein ureigenes Label abgegeben hat, und da spiegelt sich auch die Moderne wider, im Druck, im Print, also in seinem ganz persönlichen Ausdruck. Und ich denke, dass wir hier auch mit Wolfgang Joop ein sehr einmaliges Exemplar eines Cosmopolitan Genius vor uns haben, der so schnell nicht wieder auftauchen wird oder zumindest in den letzten Jahren selten aufgetaucht ist.
Kassel: Joop selber hat aber mal vor ein paar Jahren sinngemäß gesagt, die deutsche Art, sich zu kleiden, werde im Ausland als wenig faszinierend gesehen – und ich finde, da hat er sich relativ vorsichtig ausgedrückt. Ist da grundsätzlich immer noch was dran? Sind die Deutschen Modemuffel?
Hang zur Normalität in der Mode
Müller-Thomkins: Er ist ja ein sehr höflicher Mensch und insofern auch eine sehr diplomatische Ausdrucksweise, das stimmt schon. Modemuffel – ich glaube einfach, wir müssen hier tief in unsere Geschichte einsteigen, das könnten wir zumindest, da haben wir heute morgen keine Zeit für. Aber wonach orientiert sich unsere Mode? Wonach orientiert sich unser Bekleidungsstil? Nach der deutschen Seele, die vielleicht viel mehr in den vergangenen Jahrhunderten sich an Wissenschaft orientiert hat, an Ingenieurwesen orientiert hat, meinetwegen auch an den Geisteswissenschaften, an der bildenden Kunst, aber doch weniger im Bereich der angewandten Kunst. Da haben wir auch Kulturbrüche hinter uns, die das mit forciert haben.
Ich glaube, die deutsche Mode ist tragbar, sie ist funktional, sie ist auch unauffällig, das muss man sagen, also wenig schrill, und sie hat einen Hang zur Normalität und zum preiswerten Betrachten von Bekleidung, das muss man wohl so sagen, und das ist wenig auffällig. Ja, Deutschland steht maximal, wenn man so will, regional für Stil, den norddeutschen Stil in der Bekleidung, den süddeutschen Stil in der Bekleidung. Aber wir Deutschen haben ja auch historisch betrachtet, zum Teil zumindest, unsere Identität verloren oder zumindest aus den Augen verloren für lange Zeit, und das hat sich auch ganz stark in der Architektur, in der angewandten Kunst und in der Mode widergespiegelt.
Kassel: Meinen Sie das mit dem norddeutschen Stil in der Bekleidung und dem süddeutschen nur historisch, oder würden Sie in der Regel heute noch erkennen, ob einer eher aus Hamburg oder aus München kommt?
Müller-Thomkins: Das kann man auf jeden Fall. Es gibt einen hanseatischen Stil, der natürlich auch wiederum von seiner Funktion her zu verstehen ist. Die Hanseaten sind Kaufleute, und als Kaufmann kleidet man sich in einer gewissen Art und Weise. Die Bayern sind, wie wir alle wissen, bodenständiger, und auch das drückt sich im Stil, aber auch in den Materialien und den Farben der Bekleidung aus, ja.
Kassel: Hat sich da in den letzten Jahren was verändert? Man sagt ja – man kann da auch einen Zeitpunkt durchaus nennen, seit 2006, seit der Fußball-WM in Deutschland –, die Deutschen seien lockerer geworden, sie gehen anders auch mit Themen wie Spaß, Schönheit, auch Design von mir aus um. Wirkt sich das aus auf die Deutschen und ihr Verhältnis zur Mode?
Berlin als Metropole der Moderne
Müller-Thomkins: Ja, ich denke, auf jeden Fall hat sich da eine ganze Menge getan. Wenn wir das veränderte Bewusstsein und die veränderte Selbstbetrachtung der Deutschen gerade in den letzten Jahren durch solche Ereignisse wie die Fußball-Weltmeisterschaft sehen, dann sind wir wieder ein Stück weit mehr zu unserer Identität gekommen. Zumindest wird die Frage nach dem „wer bin ich und wenn ja, wie viele" auch in der Literatur gestellt, aber eben auch in der öffentlichen Ästhetik beantwortet, wenn man genauer hinschaut. Wir trauen uns einfach mehr, und der kreative Ausdruck in der Ästhetik, das ist ja etwas, was den größten Mut erfordert. Und wenn wir sehen, wie sich dann auch Berlin entwickelt hat, wir haben Jahrestage gerade, die das markieren, wie viel Kreativität dort in dieser Metropole der Moderne in der letzten Zeit entstanden ist, die ja so wenig wirtschaftlichen Background und dafür dann so viel Spielfeld für Kreativität bietet, dann wissen wir auch, dass sich da was gedreht hat in Deutschland, dass also deutsches Design auch heutzutage in der Lage ist, international zu reüssieren, also auf den Catwalks, auch in den großen, dafür bekannten Metropolen eine Rolle zu spielen. Aber das ist etwas, was sich auch gerade erst entwickelt.
Also Deutschland kommt ästhetisch aus dem Windschatten heraus, kommerziell ist uns das schon lange gelungen. Wir stehen da exportorientiert an zweiter Stelle in der Welt, machen Riesenumsätze, aber diese Umsätze werden eben weniger auf dem Rücken – im übertragenen Sinne – der Ästhetik, sondern mehr auf dem Rücken der Logistik gemacht. Das heißt, wir sind Weltmeister eben in der Abfolge industrieller Prozesse, die letztlich punktgenau und vertrauenswürdig, verlässlich und dann auch noch profitabel im Handel landen. Darüber sind wir bekannt geworden, und davon ist allerdings auch eine Mode geprägt, die eben, wie gesagt, mehr funktional orientiert ist, als ästhetische Spitzen erreicht. Aber dann jemanden in unseren Reihen oder aus unserem Lande zu wissen, der das stilistisch überflügelt, ist ein schönes Erlebnis, und das tut Wolfgang Joop seit vielen Jahren.
Das Label "Wunderkind"
Interessanterweise hat er ja seinen Namen, wenn man so will, am kommerziellen Garderobenständer abgegeben. Das heißt, er hat ja seinen Namen verkauft. Joop ist also ein Name, der weiterlebt, aber auf der Ebene des Kommerziellen. Er hat sich da ausgeklinkt und macht ein Label, von dem böse Zungen behaupten, dass es sich überhaupt nicht rechnet, dass es gar nicht wirtschaftlich sei. Aber da sieht man wieder die Herkunft dieses Menschen, der aus der Kunst eigentlich kommt, der Künstler ist, der genial zeichnet und wahrscheinlich dem Kommerziellen nie so wirklich verhaftet war. Ich glaube, wenn man die Stilistik und die Mode von Wolfgang Joop, dessen Label wahrscheinlich auch nicht ohne Grund „Wunderkind" heißt, betrachtet, dann sieht man darin die Inkarnation der Liebe der Bekleidung und der Mode gegenüber, also eine bedingungslose Widmung auch jenseits der Kommerzialität. Und das ist eigentlich etwas, was man heute dann an diesem Tag feiern kann vor dem Hintergrund dessen, wo wir herkommen und wo wir vielleicht auch noch hingehen können mit der Hilfe solcher Persönlichkeiten.
Kassel: Sagt der Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts Gerd Müller-Thomkins über einen der erfolgreichsten, inzwischen auch dienstältesten und bekanntesten deutschen Modedesigner, Wolfgang Joop nämlich wird heute 70 Jahre alt. Herr Müller-Thomkins, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Müller-Thomkins: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Janina Erdmann
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